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Hans Joachim Neubauer: Einschluss

Hans-Joachim Neubauer ist als Theatermacher in eine große deutsche Haftanstalt gekommen. Mit dem Theaterspielen verbinden die Institutionen den Gedanken der Resozialisierung. Neubauer bewies sich selbst mit diesem Projekt in Berlin-Tegel, dass man im Knast nicht Theater spielen kann. Einer anderen Generation als Sofri zugehörig, liegt ihm der Gedanke der frontalen Kritik, die Idee der hoffnungsfrohen Veränderung fern. Seine Arbeit in diesem riesigen überbelegten Männergefängnis trug ihm aber die intime Kenntnis und, was noch wichtiger ist, das Vertrauen vieler Insassen ein. Sie erzählen, was sie keinem Sozialarbeiter erzählen würden, der Autor bemerkt, was so leicht kein Experte beobachten könnte.

Katharina Rutschky |
    Hans-Joachim Neubauer ist als Theatermacher in eine große deutsche Haftanstalt gekommen. Mit dem Theaterspielen verbinden die Institutionen den Gedanken der Resozialisierung. Neubauer bewies sich selbst mit diesem Projekt in Berlin-Tegel, dass man im Knast nicht Theater spielen kann. Einer anderen Generation als Sofri zugehörig, liegt ihm der Gedanke der frontalen Kritik, die Idee der hoffnungsfrohen Veränderung fern. Seine Arbeit in diesem riesigen überbelegten Männergefängnis trug ihm aber die intime Kenntnis und, was noch wichtiger ist, das Vertrauen vieler Insassen ein. Sie erzählen, was sie keinem Sozialarbeiter erzählen würden, der Autor bemerkt, was so leicht kein Experte beobachten könnte.

    Entstanden ist ein sorgsam gewebter Textteppich aus Bekenntnissen und Geständnissen auf der einen, aus Analysen und Resümees auf der anderen Seite. Neubauer hat offenbar Wert darauf gelegt, seinen konstruktiven Anteil nicht zu unterschlagen und jedwede sozialpädagogische Larmoyanz zu neutralisieren. Genau wie bei Sofri begreift man, dass der Gefängnisalltag eine Eigenbedeutung, ein Schwergewicht hat, das man berücksichtigen müsste, ehe man von Resozialisierung oder Strafe träumt. Neubauers auf den ersten Blick eher unpolitischer Zugang zum Strafvollzug und zu den Strafgefangenen eröffnet dem Leser Perspektiven, die sich nicht auf mehr Personal, mehr Therapie oder größere Zellen beschränken. Mögen Reformen im Strafvollzug eine chronische Notwendigkeit darstellen - dem Leser dieser sehr literarischen Aufarbeitung des deutschen Strafvollzugs drängen sich an allen Ecken und Enden der Erzählungen viel radikalere Ideen auf. Wie bei Sofri begreift der Leser auch bei Neubauer, dass das Gefängnis, die Justiz und die Kriminalität insgesamt uns helfen, persönliche Schicksale und vor allem die soziale Ungerechtigkeit handhabbar zu machen. Man lernt aber auch Leute kennen, die nicht aus Dummheit und anderen Unzuträglichkeiten auf die schiefe Bahn geraten sind, sondern aus wahrer Leidenschaft für das Böse. Das bürgerliche Leben, das den meisten Gefangenen als unerreichbares Ideal vorschwebt, ist ihnen schnuppe. "Dieses ganz normale Bürgertum, das langweilt so ... Zufriedenheit, Stillstand, das ist wie der Tod", sagt einer von Neubauers Bekannten im Tegeler Knast.

    Ja, die Hälfte der Männer in Tegel oder sonst einem Knast ist gar nicht notorisch kriminell. Irgendetwas ist schief gelaufen in ihrem Leben und läuft weiter schief, auch in einem Strafvollzug, der auf Resozialisierung und gegebenenfalls Therapie aus ist. "Was sein soll, soll sein", resigniert ein Mann, der, selbst am Ende, eine schwer depressive und alkoholkranke Frau erschlagen hat...

    Neubauer erreicht es durch seinen strikt undogmatischen, rein literarischen Zugang, im Leser wilde Wünsche zu wecken. Könnte man nicht die echten Kriminellen, die Bohemiens gewissermaßen, von den Sozial- und Schicksalsfällen sondern? Könnte man mit den Kosten für einen Haftplatz nicht manchen Sozialfall billiger subventionieren als im Gefängnis? Beide Bücher lehren eins: Das Gefängnis, auch das reformierte, ist wahrscheinlich eine Idee von gestern.