Montag, 29. April 2024

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Hans Otto Hemmer + Hartmut Simon: Auf die Wirkung kommt es an - Gespräche mit Heinz Kluncker.

Erinnern Sie sich noch an Heinz Kluncker, den fast schon legendären Vorsitzenden der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr? Er feierten im vergangenen Jahr seinen 75. Geburtstag. Zu diesem Anlass ist das Buch erschienen: "Auf die Wirkung kommt es an". Hier dokumentieren die Autoren Hans Otto Hemmer und Hartmut Simon ein 215 Seiten langes Interview mit dem einstigen Gewerkschaftsboss - ergänzt um Zeitdokumente und private Bilder. Renate Faerber-Husemann stellt es vor.

Renate Faerber-Husemann | 08.01.2001
    Das hätte auch ins Auge gehen können: Ein 200 Buchseiten langes Interview mit Heinz Kluncker, dem vielleicht interessantesten und erfolgreichsten Gewerkschaftsführer der Bundesrepublik. Denn die Frager sind aus dem "eigenen Stall-": Hans Otto Hemmer, Chefredakteur der "Gewerkschaftlichen Monatshefte" und Hartmut Simon , Leiter des Archivs der Gewerkschaft ÖTV in Stuttgart. Oft wird in solchen Büchern bei allzu großer Nähe mehr verschwiegen als erhellt. Doch Heinz Kluncker ist nicht der Mann, der sein Leben für die Nachwelt schönt, dafür hat er zu viel Selbstbewußtsein, er kann zu seinem Leben stehen, wie es bisher war. Und diese im Frage-Antwort-Spiel erzählte Biographie ist - wie so viele Lebensgeschichten des Jahrgangs 1925 - durchaus ein Stoff, aus dem Romane sind.

    Was dieses Buch zu etwas Besonderem macht, ist nicht die hundertste Deutung der berühmt-berüchtigten Tarifverhandlungen von 1974, die nach Meinung vor allem jener, die nicht dabei waren in Stuttgart, das Ende von Willy Brandts Kanzlerschaft einläuteten. Kluncker hat sich immer dagegen gewehrt, daß der 11 -Prozent-Abschluß dem Bundeskanzler politisch das Genick gebrochen habe.

    Tatsächlich ging ja Wehners Kritik an Brandt den dramatischen Verhandlungsnächten lange voraus . Danach gab es die schmutzigen Andeutungen über Brandts Privatleben in den billigeren Sensationsblättern und die Spionage-Affäre Guillaume, Dennoch aber klebt an Kluncker das Etikett, er und seine Müllmänner hätten mit dem Streik und dem dadurch erstrittenen hohen Lohnzuwachs für den Öffentlichen Dienst den Kanzler gestürzt, weil sie für alle im Lande sichtbar dessen Ohnmacht vorgeführt hätten. Das mag zu tun haben mit dem äußeren Bild, das Kluncker stets pflegte. Der massige Mann vertrat seine Forderungen und Meinungen stets druckreif und mit unbewegtem Gesicht, ließ nie Unsicherheit erkennen, verriet nichts über sich selbst, war und blieb für die Öffentlichkeit, die ihn ständig auf den Fernsehschirmen sah, ein Rätsel. Die wenigen, die ihm näher kamen, wußten um seine andere Seite: Die Weichheit, den Spaß an Witzen, die Fähigkeit, intensiv zuzuhören, seine ehrliche Empörung darüber, wie beispielsweise in früheren Zeiten (bis er das abstellte) das Krankenhauspersonal im Namen der Nächstenliebe ausgenutzt und ausgebeutet wurde. Wer den Wuppertaler Arbeitersohn besser verstehen möchte, der 1982 aus gesundheitlichen Gründen von einem Tag auf den anderen von der öffentlichen Bildfläche verschwand und den Platz räumte für die von ihm favorisierte Monika Wulf-Mathies, der lese dieses Buch. Es eröffnet den Zugang zu dem Mann, der fast zwanzig Jahre lang zu den mächtigsten Menschen in der Bundesrepublik gehörte, an dem sich viele rieben, an dem nicht der Hauch eines Skandals klebt. Heinz Kluncker wuchs während der Nazizeit in einer sozialdemokratischen Familie in Wuppertal auf. Die Eltern tolerierten, daß er zunächst begeisterter Hitlerjunge war, bis er (früher als die meisten anderen) seinen Verstand wiederfand. Erst nach dem Kriege hat er erfahren, daß seine Mutter sich das Leben genommen hatte, aus Angst vor einem zweiten Verhör durch die Gestapo. Sie war bestialisch gefoltert worden, weil sie polnischen Zwangsarbeiterinnen half und verraten wurde. Ihrem Sohn hatte sie bei der letzten Begegnung, da war er schon junger Soldat, das Versprechen abgenommen, nicht auf die Befreier zu schießen. Heinz Kluncker,- nahm das wörtlich und desertierte bei der ersten Gelegenheit, die sich fand, ohne Kameraden mit ins Unglück zu ziehen. Es folgte die Kriegsgefangenschaft in den USA, und bis heute hat er die Zuneigung zu Amerika bewahrt, weil er dort Demokratie, Freiheit und vor allem Menschlichkeit auch dem deutschen Gefangenen gegenüber erlebte.

    Der Rest ist Geschichte. 1952 wurde Kluncker Tarifsekretär bei der ÖTV in Stuttgart, 1964 mit 39 Jahren ihr jüngster Vorsitzender. Seine von vielen gefürchteten Direktheit zeichnet ihn heute noch aus. Zu Oskar Lafontaine fällt ihm ein: "Er war mir nie ganz seriös", zu Gerhard Schröder nur, daß der sich wohl redlich um einen politischen Neuanfang bemühe.

    Heute forscht Heinz Kluncker mit großem Vergnügen über Tarifpolitik im 20. Jahrhundert und das Ende der Weimarer Republik. Bis nach Harvard treiben ihn seine Quellenstudien, weil dort die Akten des Reichskanzlers Brüning liegen. In Harvard hat er nach 1982 auch Vorlesungen gehalten zum Thema Privatisierung und Deregulierung. Über sein außergewöhnliches Leben sagt Heinz Kluncker am Ende des langen, spannenden Gesprächs, in dem er mehr von sich preisgegeben hat als in all den Jahrzehnten zuvor:

    "Auch die Nachfolgenden sollten sich daran orientieren, welches die Nebenfolgen ihres Tuns sind. Es gibt immer Folgen und Wirkungen negativer Art, die vermeidbar wären, wenn alle mehr nachdächten und ihre Entscheidungen verantwortlich träfen. Ich will hier kein Vermächtnis loswerden, sicher habe ich im Eifer des Gefechts auch manche Ungerechtigkeit produziert oder zu verantworten. Aber ich habe den Willen nicht aufgegeben, mich unter Kontrolle zu halten, mich für Humanität einzusetzen und selbst Opfer zu bringen."

    "Auf die Wirkung kommt es an - Gespräche mit Heinz Kluncker" herausgegeben von Hans Otto Hemmer und Hartmut Simon, Bund-Verlag Frankfurt am Main, 215 Seiten, 39.90 DM.