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Hans Sarkowicz (Hrsg.): Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus

Unterhaltung war für das NS-Regime so wichtig wie die Propaganda. Ablenken, beschönigen, beschwichtigen und lügen waren zentrale Ziele des ideologischen Apparates. Dazu konnte man die Künste gut gebrauchen. Heinrich George und Emil Jannings, Gustaf Gründgens und Heinz Rühmann, Gerhart Hauptmann und Gottfried Benn, Wilhelm Furtwängler und Leni Riefenstahl: Diese Namen stehen für Kulturschaffende, die sich dem Nationalsozialismus auf die ein oder andere Weise angedient haben oder sich durch die Diktatur willig instrumentalisieren ließen.

Von Jochen Stöckmann | 14.03.2005
    Während in Vernichtungslagern die Leichen brannten und deutsche Soldaten halb Europa in den Krieg rissen, sang Zarah Leander: "Davon geht die Welt nicht unter". Meistens haben die Künstler nach der Niederlage des Regimes über ihr Verhalten nicht sprechen wollen oder es sogar verleugnet. Wie die Vereinnahmung durch die nazistische Ideologie und Politik im Einzelnen vonstatten ging, damit befassen sich die Essays des Sammelbandes "Hitlers Künstler". Jochen Stöckmann hat das von Hans Sarkowicz herausgegebene Buch für uns gelesen:

    Hans Sarkowicz, Herausgeber dieses Sammelbandes, belässt es nicht bei Fragen von der Art, mit welcher Inbrunst sich die Filmregisseurin Riefenstahl ihrem geliebten "Führer" Adolf Hitler denn nun tatsächlich an die Brust warf, welches Vermögen der Bildhauer Breker mit seiner vom NS-Staat geförderten "Steinbildhauerwerkstätten GmbH" anhäufte, wie sehr der Theatermann Gründgens den gönnerhaften Schutz des preußischen Ministerpräsidenten Göring gegen die Intrigen des obersten Kulturwächters Goebbels suchte. Für die Liebhaber bunter Prominenten-Geschichten mag so etwas von Interesse sein, in einer wirklich profunden Kulturgeschichte des Nationalsozialismus aber kommt bunten Details allenfalls Indiziencharakter zu. Und so sparen die Autoren dieser ursprünglich für den Hörfunk konzipierten Reihe anekdotische Fußnoten zwar nicht aus, nutzen sie aber vor allem zur anschaulichen Beweisführung für übergreifende Thesen.

    "Eine Kulturgeschichte der NS-Zeit ist noch nicht geschrieben worden, und sie wird auch nicht einfach zu schreiben sein. Denn die Menschen, die das kulturelle Leben während des Dritten Reichs prägten, hatten mit ihrer künstlerischen Arbeit meist schon in der Weimarer Republik begonnen und blieben auch nach 1945 aktiv – und nicht selten erfolgreich. Weder Literatur noch Film und Theater, Architektur und Design, Musik und bildende Kunst der NS-Zeit lassen sich aus ihren historischen Zusammenhängen herauslösen und isoliert betrachten."

    Um dahin zu kommen, gilt es erst einmal, den allzu schönfärberischen Autobiographien der damaligen "Kulturschaffenden" zu begegnen. Darauf versteht sich insbesondere Wolfgang Benz, der mit seinem Beitrag zur "Rolle der Propaganda" biographische Glanzlichter setzt:

    "Von den fetten Pfründen und Ehrungen, von Liebedienerei und Denunziation, von gern genossenem Glanz am Hofe Hitlers oder Görings oder Goebbels’ war keine Rede mehr. In den Memoiren haben sie gelogen und sich aus der Verantwortung gestohlen. Die gedruckten Erinnerungen von Veit Harlan und Kristina Söderbaum, Emil Jannings und Heinz Rühmann, Fritz Hippler - oder Leni Riefenstahl und wie die Gehilfen des Propagandaministers alle hießen - folgen einem Muster der naiven Beteuerung, nichts gewusst zu haben, nichts als künstlerische oder andere edle Ambitionen gehabt und unter enormem Druck gestanden zu haben."

    Um aber ein realistisches - und das heißt hier: ein vielfach gebrochenes - Bild zu geben, widmen sich die Kenner der Musik, des Films oder der Theaterkunst insbesondere jener Zweifelsfälle wie dem Zeichner A. Paul Weber oder dem Karikaturisten Erich Ohser, der mit seiner Serie "Vater und Sohn" unter dem Pseudonym e.o. Plauen berühmt wurde. Weber galt aufgrund seiner Illustrationen für Ernst Niekischs Pamphlet "Hitler – ein deutsches Verhängnis" schon vor 1933 als dezidierter Gegner der Nationalsozialisten – worüber seine antisemitischen und geradezu bösartigen Auftragsarbeiten für das NS-Regime in Vergessenheit gerieten. Ohser wiederum war als Freund von Erich Kästner und Mitarbeiter des sozialdemokratischen "Vorwärts" nicht in den Reichsverband der deutschen Presse aufgenommen worden, konnte dieses Arbeitsverbot nur mit dem nachmals so berühmten Pseudonym umgehen. Als e.o. Plauen aber ließ er nicht nur "Vater und Sohn" für das nationalsozialistische Winterhilfswerk auftreten, sondern zeichnete in Goebbels Auftrag niederträchtigste Feindbilder von Roosevelt, Churchill oder Stalin für die Wochenpostille "Das Reich". Im Februar 1944 allerdings wurde Ohser, der mit seiner privaten Meinung nicht hinter dem Berg hielt, von einem Spitzel wegen "Verhöhnung des Führers" denunziert und zum Tode verurteilt.

    Täter und Opfer in einer Person also – und das waren nicht einmal die kompliziertesten Fälle. Wie soll man Werk und Wirkung, persönliches Verhalten und politisches Auftreten der Schriftsteller Gottfried Benn, Arnolt Bronnen oder Gerhart Hauptmann bewerten, die sich ohne großen Erfolg bei den Nazis anbiederten, darüber mehr oder weniger ins Abseits gerieten und allenfalls verhaltene Opposition übten. Was ist von Luise Rinser oder Günter Eich zu halten, die nach den Enthüllungen der jüngsten Zeit kaum noch jene lupenreinen Antifaschisten abgaben, als die sie sich nach 1945 erfolgreich in Szene setzten?

    Dass es mit Antworten auf diese eher biographischen Fragen nicht getan ist, deutet Dieter Bartetzko in seinem Beitrag über "die Architekten des Dritten Reichs" an. Denn dabei geht es wohlgemerkt nicht um eindeutig identifizierbare "NS-Architektur", sondern um ein eher untergründig-strukturelles oder sozialpsychologisches Phänomen:

    "Das Vokabular war banal und raffiniert zugleich, sublim und plakativ in einem. Seine Grundbegriffe waren Ergebnis eines unwissentlichen Gemeinschaftswerks, an dem gleichermaßen Architekten wie Regisseure und Bühnenbildner der Jahrhundertwende und der Moderne mitgewirkt hatten. Neu, wie die NS-Propaganda behauptete, war der Stil des so genannten 'Bauens im Neuen Reich’ keineswegs."

    Neu war allerdings die perfekte Organisation einer Propaganda, mit der Goebbels die Menschen "durchtränken" wollte, ohne dass der Einzelne davon überhaupt etwas merkte. Reklame, so verriet Hitlers Minister für "Volksaufklärung", sei eine Technik und erlernbar, Propaganda jedoch sei eine Kunst, weil sie ihre Absicht verbergen müsse. Das aber ließ sich nur mit "Künstlern" bewerkstelligen, die weit mehr willig als fähig waren, deren Anbiederung, Liebedienerei und auch serviles Kriechen vor dem Diktator bereits als Ausweis kultureller Kompetenz galt. Kommandiert wurden diese Hilfstruppen der Schriftsteller, Maler oder Musiker von den jeweiligen "Kammern", Standesorganisationen, deren fachlich allenfalls mittelmäßige Präsidenten als Marionetten des Goebbelschen Propagandaministeriums Tagesbefehle ausführten. Geködert waren sie allesamt mit der Aussicht auf reichlich Honorar: Schon 1934 hatte Hitler reichlich Aufträge für regimetreue Künstler versprochen, als er mit der verhassten Moderne abrechnete.

    "Diese Scharlatane täuschen sich, wenn sie meinen, die Schöpfer des neuen Reichs wären ängstlich genug, sich von ihrem Geschwätz benebeln zu lassen. Sie werden sehen, dass die größte kulturelle und künstlerische Auftragserteilung aller Zeiten über sie so zur Tagesordnung hinweggehen wird, als ob sie nie existiert hätten."

    Für angepasste Künstler aber begann 1933 eine lukrative Karriere: Ein Monumentalmaler wie Werner Peiner, der im Auftrag von Hitlers Erstem Architekten, Albert Speer, die "Bildteppichwerkstätten GmbH" gründete und satte Gewinne erwirtschaftete, setzte seine Wandteppiche nach 1945 an zahlungskräftige Kunden wie den äthiopischen Kaiser Haile Selassi oder den Kölner Gerling-Konzern ab. An einer Produktgeschichte, und nicht am Lebensweg von Prominenten, analysiert auch Heiner Boehncke die Kulturgeschichte des Dritten Reichs. Im Gegensatz zu allzu groben Manipulations- und Überrumpelungstheorien untersucht er die subtile Wirkung des Designs auf die Alltagswahrnehmung, die Entstehung so genannter "Volks-Produkte" wie Volksempfänger oder Volkswagen. Der Spitzname "Käfer" übrigens soll auf Hitler zurückgehen und dessen Vorliebe für die Urformen der Natur. Auch auf dem Theater, wo die Figur des "Führers" Hitler selbst verpönt war, hatte die nationalsozialistische Ideologie weit und tief reichende Folgen. Weniger bei renommierten Intendanten wie Gründgens oder Hilpert, als mit einem der wenigen dezidiert politischen Zeitstücke, das 1943 auf die von Eugen Klöpfer geleitete Berliner Volksbühne kam – und dessen Weg Henning Rischbieter mit einem Verweis auf die Probleme jeder Geschichtsschreibung der NS-Zeit darstellt:

    "Geschrieben hatte "Das Dorf bei Odessa" der damals 28-jährige Herbert Reinecker, der in der Bundesrepublik zum erfolgreichsten Autor von Filmen und Fernsehserien wurde. Das Stück stand an etwa achtzig Theatern auf dem Spielplan – bis zur Schließung aller Bühnen im September 1944. Ob diese massive Aufführungsserie auf eine Weisung der Reichsdramaturgie zurückgeht, ist heute nicht mehr zu klären. Denn am Ende des Krieges verschwand ein wesentlicher Teil der Akten."

    Auf diese Quellen aber, auf die präzise Analyse der Dokumente und Details, ist die noch zu schreibende Kulturgeschichte des Nationalsozialismus angewiesen. Und zwar mehr denn je – in einer Situation, da zum einen die Flut vorgeblich authentischer Berichte von Zeitzeugen und deren Nachfahren weiter anschwillt und zum anderen Theoretiker wie der Kulturwissenschaftler Boris Groys ihre Einschätzung des Nationalsozialismus auf die Edition allein von "Hitlers Reden zur Kunst- und Kulturpolitik" gründen.

    Jochen Stöckmann war das über "Hitlers Künstler - Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus", herausgegeben von Hans Sarkowicz. Der 452 Seiten starke Band ist im Insel Verlag erschienen und kostet 24.80 Euro.