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Hans Wollschläger: Die bewaffneten Wallfahrten. Geschichte der Kreuzzüge

Im ideologischen Krieg gegen das Böse hat der fundamentalistische Islam den Kommunismus von Platz eins verdrängt. Die Rädelsführer im Kampf der Kulturen sind nahezu ausschließlich Christen. Nicht ganz zufällig dürfte der amtierende US-Präsident vom Kreuzzug gegen den Terror gesprochen haben. Dieser neue Kreuzzug soll nun die Zivilisation vor dem Untergang retten. Der Wallstein Verlag hat sich vor dem Hintergrund dieser Debatte entschlossen, ein Werk wieder herauszubringen, dass sich mit eben dieser Geschichte der christlichen Kreuzzüge auseinandergesetzt hat. Autor ist Hans Wollschläger, vielen vor allem wegen seiner Übersetzungen von James Joyce und Edgar Allen Poe bekannt. "Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem", heißt seine Studie.

Bernd Leineweber | 18.08.2003
    Als das vorliegende Buch in einer von Karlheinz Deschner herausgegebenen Reihe "Kirche und Krieg" 1970 zum ersten Mal erschien, fehlte es nicht an heftigen Reaktionen: da wagte es ein Autor, nicht nur die kirchliche, sondern die gesamte Geschichtswissenschaft herauszufordern und eine wenn auch übel beleumdete, aber lange zurückliegende, aus dem historischen Kontext zu erklärende und längst erklärte Episode der Kirchengeschichte mit wütender Polemik und der Attitüde eines selbsternannten Richters herauszugreifen, um die Kirche als "verbrecherische Organisation" zu denunzieren. Das Buch war ein Skandal. Jetzt ist es in einer schönen Neuausgabe in fünfter Auflage erschienen.

    Mit seiner Geschichte der Kreuzzüge stellte Wollschläger die anerkannten Regeln der historischen Forschung selbstbewusst in Frage. Das Buch ist ein hervorragendes Beispiel für jene in den sechziger Jahren spektakulär in Erscheinung getretene wissenschaftskritische Einstellung, die sich gegen die so genannte Wertfreiheit der Wissenschaften richtete und die Parteinahme für die Opfer von Herrschaft und Unterdrückung und die moralische Empörung über Unrecht und Gewalt als Kriterien unvoreingenommener und unkorrumpierter Wissenschaftlichkeit reklamierte. Der moralische Blick auf die Geschichte kennt keine mildernden Umstände: die diachrone Zeitachse, auf der unterschiedliche und sich verändernde gesellschaftliche Verhältnisse, Mentalitäten, kognitive Modelle und moralisch-rechtliche Bewusstseinslagen eingetragen werden, tritt hinter der Synchronizität der Einfühlung in vergangenes Unrecht und Leiden zurück, als wäre es gestern geschehen. In Wollschlägers brillanter, ebenso eloquenter wie sarkastischer Darstellung wird die mit reichhaltigem Quellenmaterial belegte historiographische Darstellung zum Beweismittel für eine Anklage und zum Plädoyer an den Leser, als Mitkläger aufzutreten: Schuld an den Gräueltaten der Kreuzzüge trägt die Kirche, namentlich das "römische Syndikat", die päpstliche Kurie. Um ihr Ziel, die geistliche Weltherrschaft, zu erreichen, scheute sie vor keinem Mittel zurück. Sie hetzte die Volksmassen auf, köderte sie mit Ablassversprechen, bedrohte und erpresste weltliche Herrscher mit Exkommunikation und Kirchenbann und nahm Massaker an Juden, Muslimen und sogenannten Ketzern stillschweigend oder billigend in Kauf. Und all dies im Namen der Religion der Liebe und der Vergebung. Wollschlägers Text ist so aggressiv, so bitter und voller Verachtung wie das berühmte Verdikt der Aufklärung über die Kirche, Voltaires "Ecrasez l`Infame!", "Tilgt sie aus, die Verruchte!"

    Aufklärung pur, das war die Entdeckung der sechziger Jahre. Sie tat Not, wenn man sich den Aufklärungsbedarf vergegenwärtigt, der angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen bestand. Fast erscheint es manchmal, als ob in Wollschlägers Anklage gegen die Kirche ein Affekt mitspielte, der dem Nationalsozialismus galt und in den die Kirche einbezogen wurde, um das Problem der historischen Schuld in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Die Verantwortung des Kreuzfahrers und späteren Kaisers Friedrichs I. für ein "mittelalterliches Lidice übelster deutscher Tradition" oder die an Hitlers Überfall auf die Sowjetunion erinnernde Bezeichnung des von ihm geleiteten Kreuzzugs als "Unternehmen Barbarossa" sind Hinweise auf Kontinuitäten im christlichen Abendland. Aber die Taten der Kirche sprechen natürlich für sich, und Aufklärung tat Not, wenn man sich ansieht, wie beispielsweise in dem damals gängigen kirchengeschichtlichen Standardwerk von Bihlmeyer-Tüchle das religiös legimierte Massenmorden behandelt wurde:

    "Im ganzen genommen, sind die Kreuzzüge eine glänzende Manifestation des religiösen Geistes und der kirchlich und kulturell noch ungebrochenen Einheit des Abendlandes."

    Dass die Kreuzzüge eine Manifestation des spezifisch christlichen religiösen Geistes waren, wenn auch keine glänzende, ist auch Wollschlägers Ansicht:

    "Die Wahrheit des fürchterlichen Mechanismus der Kreuzzüge liegt jenseits seiner Erscheinungen. Jenseits seiner Erscheinungen: liegt schwelend, brütend, lauernd die Christliche Metaphysik selbst -: könnte es sein, dass sie selbst zuletzt den Schlüssel gäbe für die immer engere, zur Verschmelzung drängende Nachbarschaft der Phänomene Kreuz und Krieg, für eine Evolution, deren Irrsinn in der ganzen Geschichte ohne Parallele ist, für einen Zerstörungstrieb, dessen Objektwahl immer mehr an Differenzierung verlor und der sich schließlich, blind um sich schlagend, gegen die ganze Menschheit richtete?"

    Die christliche Metaphysik, die Lehre von der Verderbtheit der menschlichen Natur und ihrer Erlösung durch den gekreuzigten Gott, ein Wahnsystem und die christliche Geschichte eine Krankengeschichte, eine "universelle Zwangsneurose" - das ist das Fazit, das Wollschläger mit Nietzsche und Freud zieht. Dieser Gesichtspunkt, die Auseinandersetzung mit dem christlichen Welt- und Menschenbild, das der neutestamentlichen Botschaft in wesentlichen Punkten so eklatant widerspricht, hat in der Zukunft die Diskussion über das geschichtliche Erscheinungsbild von Religion und Kirche ebenso sehr bestimmt wie die Kritik an der Kirche als Institution und als einer einflussreichen politischen Macht: etwa in Eugen Drewermanns Analyse der strukturellen Neurose der "Kleriker" oder in der vergleichenden Kulturanthropologie.

    Aber unabhängig von der Frage, wie die Eigenart der christlich geprägten Zivilisation des Westens zu erklären und zu beurteilen ist, muss sich die Kirche der Verantwortung für ihre Geschichte stellen. Sie wirkt sonst unglaubwürdig, wenn sie sich als moralische Instanz profilieren will und sich wie bei dem jüngsten "Kreuzzug", den wir gerade erlebt haben, gegen den Krieg und für Frieden und Toleranz zwischen den Religionen und Kulturen ausspricht. Wie auch immer die Rhetorik der heutigen Kreuzritter zu beurteilen ist, sie wird vor allem im islamischen Raum solange vieldeutig und gefährlich erscheinen, wie klare Bekenntnisse der Untaten fehlen, die im Namen eines "wahren Glaubens", sei es des katholischen oder des Glaubens an Handelsfreiheit und Demokratie, begangen wurden und werden. Hier hätte die Kirche allen Grund, mit gutem Beispiel voranzugehen. Denn das, was der Idee der Kreuzzüge letztlich zugrunde lag, die Arroganz, die eine Folge der angeblichen Überlegenheit der christlichen, westlichen Kultur ist und die vor allem von der Kirche Jahrhunderte lang vorgelebt und geschürt wurde, gibt es immer noch. Wollschlägers Geschichte der Kreuzzüge ist eine Lektion, die an Aktualität nichts verloren hat.

    "Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem, Geschichte der Kreuzzüge", von Hans Wollschläger. Erschienen ist das Buch im Wallstein Verlag, es hat 288 Seiten und kostet 24 Euro.