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Hanseatisches Farbenspiel

In Hamburg ist der Wunsch nach einem politischen Wechsel spürbar. Der CDU-Spitzenkandidat Christoph Ahlhaus steht in den Umfragen weit hinter SPD-Kandidat Olaf Scholz. Und der geht selbstbewusst in die Wahl.

Von Verena Herb | 16.02.2011
    Christoph Ahlhaus nennt seine Ehefrau liebevoll FiLa. FiLa steht für First Lady. Das hat er auch im Personality - Magazin "Bunte" erzählt. Hochglanzfotos auf einer Doppelseite zeigen den ersten Bürgermeister im smarten dunklen Dreiteiler, daneben Fila Simone im glitzernden Designerabendkleid, mondän, herrschaftlich, präsidial abgelichtet im Luxushotel "Vier Jahreszeiten". Die beiden verraten: "Ja, wir sind fröhliche Menschen." Sie inszenieren sich als "Powerpaar von der Elbe".

    Der Zeitpunkt ist denkbar ungeschickt. Einen Tag vor der Veröffentlichung in der "Bunten", am Mittwoch, 24. November, verabschiedet die Bürgerschaft das größte Sparpaket in Hamburgs Geschichte in Höhe von 500 Millionen Euro. Am gleichen Tag tritt CDU-Finanzsenator Carsten Frigge zurück. Gegen ihn läuft in Mainz ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zur Untreue:

    "Ganz unabhängig von meiner persönlichen Empfindung muss ich mir die Frage stellen, ob diese Situation vereinbar ist, mit der weiteren Ausübung des Amtes des Finanzsenators der Freien und Hansestadt Hamburg. Und ich glaube: Nein."

    Schlechtes Timing von Christoph Ahlhaus. Die Pose des Bürgermeisters wird zur politischen Posse. Abgesehen davon, dass die Hanseaten diese Art der Inszenierung, dieses Sich-zur-Schau-stellen nicht schätzen. Manch einer rümpft die Nase und flüstert:

    "Also, das war saudoof. Das war einfach saudoof. Also, ich habe keine Ahnung, warum ihn da keiner gebremst hat."

    Die Grünen ziehen die Notbremse, als sie am dar auffolgenden November-Wochenende überraschend das schwarz-grüne Bündnis platzen lassen. Der Weg für Neuwahlen ist frei. Und Christoph Ahlhaus' Amtszeit nach sechs Monaten wohl bald zu Ende. Denn sein Herausforderer, Olaf Scholz, Spitzenkandidat der SPD, liegt in den Umfragen deutlich vor dem Amtsinhaber.

    "Ich will Hamburger Bürgermeister werden. Das ist ein Amt, das eine große Herausforderung darstellt. Aber für mich auch eine ganz besondere Aufgabe ist, weil ich in dieser Stadt aufgewachsen bin."

    Mit dem Alter wächst die Heimatliebe. Der 52-Jährige will deutlich machen: Die Hansestadt liegt ihm nicht nur am Herzen, sondern auch im Blut.

    "Meine Eltern stammen von hier, ich bin hier aufgewachsen, abgesehen von den ersten Jahren, als ich und meine Brüder anderswo geboren wurden. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe hier studiert und 13 Jahre als Anwalt gearbeitet. Bin in die SPD eingetreten und das wichtigste: Ich habe mich hier unsterblich in meine Frau verliebt. "

    Es ist der Kampf Hanseat gegen Heidelberger, Scholz gegen Ahlhaus. Die Umfragen lassen vermuten, dass das Rennen gelaufen ist: 64 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger wünschen sich Olaf Scholz an die Spitze der Regierung. Nach dem Bruch der Koalition mit den Grünen stürzt die CDU an der Alster rapide ab: Nur 25 Prozent der Bürger wollen die Partei von Christoph Ahlhaus wählen. Fast 20 Prozent weniger als noch im Jahr 2008. Dagegen steigt die SPD - wie Phönix aus der Asche - mit 46 Prozent auf ein neues Umfragehoch. 2008 waren es 34 Prozent. Scholz gibt sich bescheiden, zurückhaltend euphorisch:

    "Das ist ein gutes Ergebnis in dieser Umfrage, wie übrigens auch schon in vielen Umfragen zuvor. Dass die SPD gezeigt hat, dass sie eine Partei ist, der man die Stadt gut anvertrauen kann."

    Sein Konkurrent lässt sich nicht entmutigen. Auch wenn sich immer deutlicher herauskristallisiert, Olaf Scholz wird der neue Regent an der Elbe - Ahlhaus bleibt in der heißen Phase des Wahlkampfes optimistisch: In den verbleibenden vier Tagen bis Sonntag kann noch viel passieren.

    "Wie man weiß, in großen Städten entscheiden sich viele Wähler erst in den letzten Tagen vor der Wahl. Und deshalb kämpfen wir bis zum letzten Tag."

    Hamburgs Bürger sind, was ihre Wahlentscheidung angeht, immer für eine Überraschung gut, macht sich Ahlhaus bei jeder sich bietenden Gelegenheit Mut. 25 Prozent für seine Partei...

    "Das ist nicht erfreulich, aber es sind Umfragen. Und wir haben noch Zeit. Und wir werden kämpfen. Und ich lasse mir durch gar nichts die Freude am Wahlkampf nehmen."

    Christoph Ahlhaus hat schon angekündigt, er bleibt der Landespolitik in Hamburg treu. Er wird Bürgerschaftsabgeordneter, sollte es mit einer Regierungsbeteiligung nicht klappen.

    Wochenmarkt im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Hier leben viele junge Familien und Studenten, aber auch gut verdienende Paare ohne Kinder und Rentner. In den Tagen vor der Wahl ist Politik durchaus ein Thema am Marktstand. Ein Marktbesucher:

    '"Diese Wahl, die wird garantiert an diesen Personen festgemacht. Also ich hätte auch noch diesen Ole von Beust, hätte ich noch die CDU gewählt... Aber doch nicht mit Ahlhaus. Aber den Scholz kann man nun gar nicht haben, das ist ein machtgeiler... Hauptsache Bürgermeister."

    Am Eingang zum Markt hat die CDU ihren Infostand aufgebaut: Unter einem Sonnenschirm drängeln sich die Wahlkämpfer - erkennbar an ihren grell orangenen Schals. Sie müssen um jede Stimme kämpfen und sie wissen: Gerade Eimsbüttel ist ein schwieriges Pflaster, da hier traditionell eher bürgerlich linksliberal gewählt wird. Katharina Wolff ist 27 Jahre alt, Unternehmerin, Schlagersängerin und Kandidatin für den Bezirk Eimsbüttel/ Rotherbaum/ Harvestehude. Sie erzählt, was überall von den Straßenwahlkämpfern der CDU zu hören ist:

    "Die Stimmung auf der Straße und bei den Bürgern ist sehr viel besser, als die 26 Prozent vermuten lassen."

    Gute Stimmung, wunderbar. Nicht entmutigen lassen, lautet die Devise. Gerade, wenn Katharina Wolff auf jemanden wie Nicolai Albrecht trifft. Ein Markthändler, der seit Jahren schon Kartoffeln und Gemüse auf Wochenmärkten in Hamburg verkauft.

    "Ich war mal überzeugter CDU-Wähler. Ich glaube, 18 Jahre lang. Aber die nächsten 18 nicht mehr. Also, Ole von Beust hätte ich eventuell wieder gewählt, Ahlhaus finde ich ungefähr so aussagekräftig wie ein weißes Blatt Papier. Ich habe vorhin gesagt, ich würde den wahrscheinlich gar nicht erkennen, wenn der auf der Straße an mir vorbeiläuft. Und genau so blass finde ich ihn auch als Politiker einfach."

    Christoph Ahlhaus ist viel unterwegs im Wahlkampf: von morgens sieben bis abends um elf ist er auf Terminen, besucht täglich zwei bis drei Wochenmärkte. Mit einem Pulk von Begleitern läuft er über jenen in der Gustav-Falke-Straße, schüttelt Hände, und lächelt freundlich. Hier ist er wieder, der "Bürgermeister zum Anfassen" - wie er sich selbst nennt.

    "Wenn er hier ist, finde ich das ganz toll. Und ich finde es gut, wie rührig er ist. Und er hat, er hat es nicht einfach. Es ist verdammt schwer für ihn"
    meint eine ältere Dame, die ihre Einkäufe gerade in ihrer Tasche verstaut, mitfühlend. Ja, Ole von Beust, der war ein toller Bürgermeister, schwärmt sie, aber der ist ja jetzt weg.

    Rückblick: 18. Juli 2010 - der Schicksalstag für die Christdemokraten und das schwarz-grüne Bündnis. An jenem Tag scheitert eines der wichtigsten Projekte der Koalition: die Einführung der Primarschule. Damit nicht genug: Ole von Beust erklärt seinen Rücktritt als erster Bürgermeister - nach 32 Jahren in der Politik:

    "Die Biblische Erkenntnis: Alles hat seine Zeit gilt auch für Politiker."

    Sein Nachfolger ist schnell ausgemacht: Christoph Ahlhaus - bis dahin Innensenator. Der 41-Jährige will die Herzen der Hamburger erreichen, denn er ist

    "Ein Mensch wie Du und ich. Mit Stärken und mit Schwächen. Kein dozierender Oberlehrer. Aber einer mit gesundem Menschenverstand."

    ...der die Ärmel hochkrempelt, zupackt und zuhört. Doch der erste Bürgermeister scheint auf niemanden gehört zu haben, als es um die Berufung seiner Senatoren geht: Der neue Wirtschaftssenator, Ian Karan, ein Unternehmer mit Spitznamen "Containerkönig", frisiert seinen Lebenslauf. Der neue Kultursenator Reinhard Stuth war just ein Jahr zuvor vom damaligen Regierungschef gefeuert worden, um dann als Chef an die Spitze der Behörde zurückzukehren. Weiteres Beispiel: Carsten Frigge, schon von Ole von Beust als Finanzsenator eingesetzt, steht im Verdacht, in die Parteigeldaffäre in Rheinland-Pfalz verstrickt zu sein. Statt mit einem anderen Finanzsenator einen Neuanfang zu wagen, lässt Ahlhaus alles beim Alten und hält an Frigge fest. Der wiederum beugt sich schließlich doch dem öffentlichen Druck und tritt ausgerechnet am Tag der Haushaltsdebatte zurück. Frigges Abgang bringt das Fass endgültig zum Überlaufen. Nach dem verlorenen Volksentscheid zur Schulreform, den unglücklichen Personalentscheidungen der CDU und dem Imagedesaster durch Ahlhaus´ Bilder in der Bunten hat der kleine Koalitionspartner genug. Das schwarz-grüne Bündnis ist am Ende. Jens Kerstan, Fraktionsvorsitzender der GAL in der Hamburger Bürgerschaft, erklärt am Mittag des 28. November 2010:

    "Die Arbeitsfähigkeit in der Koalition hat sich soweit verschlechtert, dass wir nicht mehr an eine gute, weitere erfolgreiche Zusammenarbeit glauben. Wir sehen nicht mehr, dass diese Koalition die Kraft hat, wichtige Zukunftsprojekte für Hamburg zu stemmen."

    Die CDU erwischt es kalt. Nur eineinhalb Stunden bevor die Grünen ihre Pressekonferenz geben, informieren Christa Goetsch, die zweite Bürgermeisterin, und Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk Christoph Ahlhaus. Nicht in einem Sechs-Augen-Gespräch sondern telefonisch.

    "Ich werte das als Flucht aus der Verantwortung."

    Und Frank Schira, Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU, gibt die Parole der Stunde aus:
    "Ab jetzt ist Wahlkampf."

    Ab diesem Zeitpunkt schießen sich die Christdemokraten auf ihren politischen Feind ein: Es ist nicht etwa der große Konkurrent SPD, sondern der ehemalige kleine Koalitionspartner, die Grünen:

    "Richtig ist doch, und das zeigt sich in nahezu allen Bundesländern inzwischen, dass es schwierig ist, mit den Grünen auch wirklich dann zusammen zu arbeiten, wenn der Wind von vorne weht. Und da darf man sich nicht in kurzfristige Opposition flüchten und vor der Verantwortung davon laufen."

    Nach knapp drei Jahren gemeinsamer Politik für Hamburg sind die Grünen nun die Hauptgegner. Es stört viele Bürger, dass Christoph Ahlhaus seinen einstigen Koalitionspartner auf einmal so verteufelt. Glaubwürdig ist das nicht, sagt diese ältere Dame:

    "Das ist genau, wenn ich eine Ehe habe, habe meinen Mann mal geliebt, und gehe dann rum und erzähle dann bösartige Sachen. Das tut man einfach nicht."

    Doch die CDU will zeigen, wie man - so Ahlhaus wörtlich - "ohne den Hemmschuh einer schwierigen Koalition" konservative Politik in der Hansestadt durchsetzen kann. "CDU pur" heißt die Devise. Alle politischen Projekte, die das schwarz-grüne Bündnis gemeinsam vorangebracht hat, sind plötzlich Makulatur: Eine neue Straßenbahn wird es mit einer CDU nicht geben, verkündet Ahlhaus vollmundig - eine Woche, nachdem er im Senat höchstpersönlich für die Stadtbahn gestimmt hat. Auch das Sparpaket wird wieder aufgeschnürt, die unpopuläre Erhöhung der Kita-Gebühren und die Streichung des Weihnachtsgeldes für Beamte - die CDU nimmt beides zurück. Rolle-rückwärts auch in der Schulpolitik. Da ist Ahlhaus jetzt ganz anderer Meinung -

    "Deswegen, liebe Freunde, gibt es von uns, von mir eine klare Botschaft an die Menschen in unserer Stadt: Wir haben verstanden, das war ein Fehler, und wir werden zurückkommen zu der Schulpolitik, für die die CDU jahrzehntelang gestanden hat. Und wer mich zum Bürgermeister wählt, kann sicher sein, die Primarschule ist vom Tisch, meine Freunde."

    Denn genau wegen dieser Schulreform sind der Elb-CDU die Stammwähler in Scharen davongelaufen. Sie haben im Juli des vergangenen Jahres stattdessen Walter Scheuerl und dessen Volksinitiative "Wir wollen lernen" unterstützt. Rechtsanwalt Scheuerl wird nach dem gewonnenen Volksentscheid eine politische Größe in der Stadt, er schließt nicht aus, bei der nächsten Wahl sogar mit einer eigenen Partei antreten zu wollen. Dazu kommt es nicht, denn die etablierten Partei buhlen um den wortgewandten Rhetoriker - zur Überraschung vieler kandidiert er nun auf einem prominenten Listenplatz für die CDU. Als Parteiloser. Scheuerl macht gleich deutlich:

    "Ich trete nicht in die Partei ein. Ich bleibe Walter Scheuerl, so wie ihn die Hamburger kennengelernt haben in den letzten zweieinhalb Jahren. Und bringe so unsere Stimme in die Bürgerschaft ein."
    Der ehemalige Konkurrent wird also zum unberechenbaren Partner. Die CDU geht dieses Risiko gerne ein, will sie doch zeigen: Das bürgerliche Lager fällt nicht auseinander, sondern ist wiedervereint. Die Ahlhaus-Truppe hofft, mit Scheuerl in ihren Reihen, die Stimmen ihrer abtrünnigen Unterstützer zurückzugewinnen. Für einen Ole von Beust, ist diese Personalentscheidung ein Schlag ins Gesicht. Vor allem, als Walter Scheuerl sich aufmantelt und verlangt, der ehemalige Bürgermeister soll sich aus dem Wahlkampf raushalten. Begründung: Von Beust hat der CDU durch seinen Rücktritt nur geschadet. Der Ex-Bürgermeister hält sich viele Wochen zurück, äußert sich dann doch im Norddeutschen Rundfunk:

    "Das hat eine gewisse Komik und künstliche Dramatik. Ich glaube, das ist auch wirklich ein Reflex auf eine von mir vielleicht auch gar nicht so empfundene Dominanz der vielen Jahre, mit auch Inhalten. Wo vielleicht viele innere Vorbehalte hatten. Die uns aber immerhin recht gute Wahlergebnisse gebracht haben. Und da muss man abwägen, ob man dieses gute Wahlergebnis haben will, vielleicht auch mit Infragestellung eigener Positionen... "

    Den "CDUpur"- Kurs seiner Partei sieht von Beust äußerst kritisch. Sich auf die eigenen Wurzeln zu reduzieren, erleichtert für seine Partei den Urnengang nicht. Er räumt ein, aus heutiger Sicht ist sein Abgang wohl ein Fehler gewesen:

    "Wenn ich gewusst hätte, dass die Koalition drei Monate später knallt, hätte ich das nicht gemacht. Aber ich war fest überzeugt, die wird bis zu den nächsten Wahlen halten."

    In Hamburg ist der Wunsch nach politischem Wechsel spürbar. Viele Bürger wünschen sich Ruhe - nach dem Volksentscheid, den zahlreichen Rücktritten und Senatorenwechseln. Wechselstimmung macht sich breit. Olaf Scholz kommt da gerade recht. Seine Botschaft ist deutlich:

    "Vernunft. Klarheit. Verlässlichkeit. Und immer auch Gerechtigkeit."

    Während Christoph Ahlhaus permanent aus der Defensive agiert und sich am politischen Gegner abarbeitet, ist der Wahlkampf der Sozialdemokraten geprägt von Scholz` Strategiekompetenz. Beim ehemaligen Generalsekretär der Bundes-SPD ist dieses Können nicht verwunderlich. Er inszeniert sich als Heilsbringer für Hamburg, der mit ruhiger Hand regieren und mit hanseatischer Zurückhaltung auf die Menschen zugehen wird.

    "Auf alle Fälle gehört es zu dem, was die Hamburger von sich selbst denken, dass man jetzt nicht übertreibt, exzessiv auftritt. Sondern schon ein bisschen sachlich bleibt. Ich möchte gar nicht anders sein."

    Olaf Scholz bleibt zurückhaltend und trifft damit scheinbar den Nerv der Hamburger. Anstatt wie Christoph Ahlhaus als "Bürgermeister zum Anfassen" täglich über die Wochenmärkte der Stadt zu tingeln, lässt der SPD-Spitzenkandidat die Bürger zu sich kommen. Olaf Scholz im Gespräch - unter diesem Slogan stellt er sich jeden Abend in einem anderen Stadtteil den Sorgen und Nöten der Hamburger.

    "...dann werden wir hinterher miteinander diskutieren. Dafür haben wir auch alle Zeit der Welt... genau bis 9 Uhr."

    Peu à peu macht Scholz einem potenziellen Koalitionspartner klar, welche Themen mit ihm in Koalitionsgesprächen verhandelbar sind und welche nicht. Auch personell schlägt er Pflöcke ein: Da wäre zum Beispiel die Berufung des Präses der mächtigen Handelskammer zum Schattenwirtschaftssenator. Mit dem parteilosen Frank Horch gelingt Scholz ein Coup. Zum einen gewinnt er die Sympathie der Wirtschaft, der Unternehmer und Kaufleute - denn Frank Horch gilt als äußerst beliebt und kompetent. Zum anderen weist Scholz die eigene Partei in ihre Schranken. ER entscheidet, wen er in seine Regierung berufen wird - wissend wie viele seiner Parteifreunde schon mit den Hufen scharren, um ein Spitzenamt zu ergattern.

    Auf den ersten Blick scheint es also, als ob Olaf Scholz seine SPD auf Kurs gebracht hat. Öffentlich ist nichts mehr zu hören von internen Querelen und Machtkämpfen, mit denen die Oppositionspartei in den vergangenen 10 Jahren von sich reden gemacht hat. Als Scholz im Herbst 2009 das Amt des Landesparteichefs übernimmt, in die Niederungen der Kommunalpolitik zurückkehrt, macht der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende deutlich: Die Partei will Führung, also bekommt sie sie. Die Personalie Horch ist auch ein deutliches Signal an seinen potenziellen Bündnispartner GAL. Denn auch die CDU hatte Frank Horch einst als Wirtschaftssenator gewollt - doch die Grünen waren damals dagegen. Anja Hajduk, die Spitzenkandidatin der GAL, hat das Scholz´sche Signal empfangen.

    "Ich sehe, dass Olaf Scholz einen Wahlkampf führt, wo er ganz stark abzielt auf die Wähler der Mitte. Und in der Tat auch eine Orientierung hat, den Hafen in den Mittelpunkt zu stellen. Wir Grünen können uns davon sehr gut unterscheiden."
    Die GAL hält sich auffällig zurück in diesem Wahlkampf. Kein Wunder, denn es gibt keine Erfolge, mit denen sie wirklich wuchern können. Das Kohlekraftwerk Moorburg konnten sie nicht verhindern, die Primarschulreform, ist gescheitert und die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie haben auch die anderen Parteien mehr oder weniger auf der Agenda. Fast schon entschuldigend rechtfertigt sich Anja Hajduk:

    "Wir kommen ja aus einer Regierung. Was ja auch nicht eine ganz unkomplizierte Ausgangslage im Wahlkampf ist... "
    Deshalb: Bloß nichts falsch machen - denn noch wird das Scheitern der Koalition mehrheitlich der CDU angelastet. Als die Grünen Ende November die Koalition platzen lassen, goutieren die Wähler das mit Umfragewerten von 19 Prozent. Kurze Zeit kann die GAL auf der Welle des bundespolitischen Hochs mitschwimmen, doch das ist nun vorbei. Gerade einmal 15 Prozent sagen die neuesten Umfragen voraus. Durchaus eine Steigerung im Vergleich zum Ergebnis von knapp zehn Prozent bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2008, meint Anja Hajduk.

    "Deswegen mache ich mir da jetzt nicht so große Sorgen..."

    Was mit Blick auf die FDP anders sein könnte. Denn einige Sozialdemokraten liebäugeln nicht etwa mit den Grünen als Koalitionsoption - sondern mit den Freien Demokraten. Henning Voscherau, ehemaliger SPD-Bürgermeister, etwa plädiert für ein rot-gelbes Bündnis. Denn der FDP mit ihrer von den Plakaten lächelnden Spitzenkandidatin Katja Suding könnte durchaus der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde gelingen. Nach Jahren als außerparlamentarische Opposition könnten die Elbliberalen es wieder in die Bürgerschaft schaffen. Katja Suding:

    "Unser Ziel ist jetzt, dass wir mit einer starken Fraktion in die Bürgerschaft einziehen. Und dann werden wir offen sein für Gespräche mit der SPD. Das ist ja überhaupt der einzige Partner, mit es rechnerisch möglich ist..."

    Olaf Scholz schließt ein sozial-liberales Bündnis aus - noch. Er gibt sich selbstbewusst, denn die Umfragen suggerieren, dass das Rennen in Hamburg längst gelaufen ist. 45 oder 46 Prozent für die SPD? Justierungen scheinen nur noch hinter dem Komma möglich. Stellt sich jetzt allein die Frage nach der absoluten Mehrheit. Denn die hängt auch davon ab, ob die kleinen Parteien, FDP und Linke, die Fünf-Prozent-Hürde knacken. Schaffen sie das, braucht die SPD fast 50 Prozent der Stimmen um allein regieren zu können. Schaffen es die Kleinen nicht, reichen deutlich weniger. Nach jetzigem Stand werden FDP und Linke in die Bürgerschaft kommen.

    Einzig eine große Unbekannte könnte am Ende allen aktuellen Prognosen noch einen Strich durch die Rechnung machen: Das neue Wahlrecht. 20 Stimmen hat jeder Wähler insgesamt, davon kann er jeweils fünf beliebig auf die Kandidaten von Bürgerschaft und Bezirk sowie die Landes- und Wahlkreislisten der Parteien verteilen. Hört sich kompliziert an, ist es für die meisten auch. Vor allem viele ältere Wähler kommen mit dem neuen Wahlrecht des Kumulierens und Panaschierens nicht zurecht. Weshalb am Sonntag eine noch niedrigere Wahlbeteiligung befürchtet wird als bei der Bürgerschaftswahl 2008, die mit 63,5 Prozent schon einen historischen Tiefpunkt markiert hat. Nur einer nimmt auch diese Sorge erstaunlich gelassen: Olaf Scholz

    "Ich habe ja auch eine leichte Lösung für alle Leute die denken, das dauert zu lange in der Wahlkabine: Immer, wo SPD steht, fünf Kreuze machen."