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Hantel aus Nanodiamanten

Chemie. - Unter Chemikern gilt: Je kürzer die Bindung zwischen zwei Atomen, desto stärker ist das so geknüpfte Band. In der aktuellen "Nature" präsentieren Chemiker allerdings die längsten bekannten Bindungen zwischen zwei Kohlenstoffatomen, die überdies zu den stärksten gehören.

Von Volker Mrasek | 15.09.2011
    "So, jetzt haben wir das einmal auf den Tisch gestellt hier."

    Ein Marmeladen-Glas voller Puderzucker. Und ein Reagenzröhrchen mit einer Daumenspitze Kunstschnee wie für die Modelleisenbahn.

    "Ja, so sieht es aus, richtig. Also, feines weißes Pulver. Könnte irgendwas sein."

    Es sind aber keine Allerweltssubstanzen, die Peter Schreiner da in seinem Büro an der Universität Gießen auftischt. Ganz im Gegenteil: Das Material ist exquisit und sündhaft teuer:

    "Ja, so im Bereich von etwa 50.000 Euro, wenn man das kaufen wollte. Das sind in der Tat ganz klitzekleine Diamanten, die sich hier zu größeren Aggregaten zusammengelagert haben. Ziemlich genau ein Nanometer. Also, eine Zahl, die noch einmal neun Nullen nach der Kommastelle hat. Also: sehr klein!"

    Schreiner spricht auch von Nano-Diamanten. Zusammen mit Kollegen gelang es dem Professor für Organische Chemie, die winzigen Kristalle miteinander zu verknüpfen. Dabei entstanden hantelförmige Moleküle, und die Forscher stellten einen neuen Rekord auf. Für die bisher längste stabile Bindung zwischen zwei Kohlenstoff-Atomen in Alkanen, also in gesättigten Kohlenwasserstoffen. Dazu darf man auch die Nano-Diamanten zählen. Zwar bestehen ihre Kristalle aus reinem Kohlenstoff. Doch außen, an der Oberfläche, sind sie mit unzähligen Wasserstoff-Atomen gesättigt. Schreiner:

    "Sie müssen sich vorstellen: Wir stecken zwei von diesen Diamanten zusammen, machen also quasi eine Verbindungslinie dazwischen. Und das wäre sozusagen der Griff der Hantel. Und rechts, links habe ich diese Diamantklötze."

    Die Hantelstange ist es, die mit neuen Rekordmaßen aufwartet. Typische Bindungen zwischen Kohlenstoffatomen in der Organischen Chemie sind um die 150 Pikometer lang. Das sind 150 Billionstel Meter. Alles, was über 165 Pikometer hinausgeht, gilt als instabil. Die jetzt zusammengebaute Hantelstange aus Nanodiamant misst aber 170 Pikometer und ist dennoch sehr robust. Wieder knacken ließ sich die Kohlenstoff-Bindung erst bei Temperaturen um die 250 Grad, wie Peter Schreiner sagt. Und das auch erst nach mehreren Stunden ...

    "Wenn man an chemische Bindungen denkt, dann gibt es einen ganz einfachen Grundsatz: kurze Bindungen sind stark, lange sind schwach. Das hat der Chemiker im Kopf, obwohl es dafür eigentlich keine physikalische Basis gibt. Das muss also nicht so sein. Wir haben gezeigt, daß es auf keinen Fall so ist. Wir haben nämlich mit diesen Molekülen gezeigt, daß die Bindung, die die beiden Teile zusammenhält, besonders lang ist. Das sind tatsächlich die längsten Bindungen dieser Art, die man überhaupt kennt. Und trotzdem sind die Moleküle wahnsinnig stabil."

    Doch was ist es, das die beiden Kohlenstoff-Atome an den Enden der Hantelstange beieinanderhält? Es sind sogenannte Dispersions- oder van-der-Waals-Kräfte, benannt nach einem niederländischen Physiker. Sie wirken zwischen den Wasserstoff-Atomen außen auf den Nanodiamanten. Weil die Elektronen in den Atomhüllen nach quantenmechanischer Vorstellung in ständiger Bewegung sind, entstehen elektrische Dipole und schwache Anziehungkräfte zwischen ihnen. Im Fall der Diamant-Hantel reichen sie offensichtlich aus, um die überlange Atombindung zwischen den Kohlenstoff-Atomen zu festigen. Peter Schreiner:

    "Und diese Anziehung, die kann man nutzen. Das nutzt die Natur. Der Gecko macht das. Also, der läuft quasi eine Glasscheibe hoch aufgrund der Konstruktion seiner Füßchen, die es ihm erlauben, dann mit dieser Glasscheibe dann genauso wechselzuwirken und da hochzukommen. Also der hat keine Saugnäpfe, sondern das ist genau das gleiche Phänomen, also diese schwachen Dispersionswechselwirkungen."

    Ein Gecko-Klebeband, das nach diesem Prinzip funktioniert, ist bereits in der Entwicklung. Chemiker Schreiner kann sich aber noch mehr vorstellen. Dabei ginge es auch ohne teure Nano-Diamanten, die übrigens in jedem Tropfen Erdöl enthalten sind, wenn auch nur in geringsten Spuren:

    "Dieser Effekt, den gibt es in allen Molekülen. Worüber man jetzt nachdenken muss, ist: Was kann man für neue Materialien machen, die diesen Effekt maximieren? Die Natur macht es vor. Wir machen es nach. Und wir lernen jetzt mehr und mehr darüber."