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Hare Krishna bei Ex-Superreichen

Falk Richter hat Anton Tschechows "Der Kirschgarten" an der Berliner Schaubühne bearbeitet. Der Kirschgarten als Zeichen unbeschädigter Kindheit muss weichen, um Ferienhäuser für Gäste zu errichten, damit das überschuldete Landgut gerettet werden kann.

Von Karin Fischer | 30.01.2008
    Die Schaubühne präsentiert sich dauerhaft als moderne Trutzburg der Sozialkritik im hyperrealistischen Gewand. Wie auf einem Foto von Andreas Gursky ist hier immer alles so scharf, bunt und extrem ausgeleuchtet, dass der Gegenstand selbst dann doch wieder wie entrückt erscheint. Ob künstlich entrückt oder künstlerisch entrückt, muss von Fall zu Fall geklärt werden.

    Falk Richter war gestern mehr auf der künstlichen Seite. Er hat das, so der Pressetext, "vielversprechende Experiment" gewagt, das russische Original von einer Agentur für Wirtschaftstexte neu übersetzen zu lassen. So viel Aufwand wäre gar nicht nötig gewesen, denn die Freiheit, Lopachin zum Immobilienmakler zu machen, der mit ausländischen Investoren lockt, hätte sich jeder Regisseur auch genommen. Wo Peter Urban übersetzte "Mit dem Schweinerüssel in die Konditorei", sagt Bruno Cathomas über seine Herkunft:

    "Mein Vater war wirklich Bauer. Und ich? Schottische Barbourjacke, teurer Anzug, ich bin reich. Aber ein Bauer bin ich immer noch. Das 'Mastschwein in der Businesslounge'."

    Lopachins Ehrgeiz bricht sich in zu vielen Übersprungslachern Bahn, aber am Ende ist er der Einzige, dem in diesem Drama irgend etwas wichtig ist: der Sieg über die Klassengesellschaft, sein Aufstieg, der hart erarbeitete Reichtum. Sein Lachen bebt vom Zorn früherer geknechteter Generationen.

    Und der Rest? Hat es nicht anders verdient. Ljubov Andreevna hat ihr Vermögen als Luxusschlampe und Mäzenin eines Künstlers in Paris verjubelt; Bibiana Beglau spielt sie von manisch-hysterisch bis trocken-weltentrückt: "Ist doch nur Geld!" Klar, dass sie Leute an sich zieht, die es nur darauf abgesehen haben: den ewigen Studenten Petja, die durchgeknallte Streunerin Charlotte, die schon gezaubert, jongliert, komponiert, getöpfert und gekellnert hat und jetzt zum Inventar gehört, und eine Entourage aus verwöhnten Familienmitgliedern.

    Der Flokati gibt dabei die Richtung vor. Das Weiß des Kirschgartens ist in der Schaubühne auf den Boden gerutscht, Katrin Hoffmann hat eine bühnenbreite Sitzkissenlandschaft mit dem weißen Puschelzeug überzogen, dahinter - Achtung Symbol - erstreckt sich ein ebenso großer Spiegelsaal hinter schwarzen Säulen. Die Reste einer narzisstisch orientieren Selbsterfahrungssociety feiern sich hier mit Zupfgitarre und Klangschalen-Klimbim. Wir sehen eine Art verspätetes Hare Krishna bei Ex-Superreichen, die gern mal einen Gesprächskreis formen, um zu klären, wofür es sich noch zu kämpfen lohnt. Vom Kampfgeist früherer Jahre sind nämlich nur melancholische Gedichte von Hofmannsthal, Benn oder Bachmann geblieben, die Bruder Leonid zelebriert, und der Hass auf die Kapitalisten:

    "Ferienanlagen? Erholungslager? Freizeitcamps? Eine Reparaturwerkstatt für verfettete Bürokörper? Und die kommen dann mit ihren Volvos und quatschen über Aktien- und Börsenkurse, das geht gar nicht."

    Dass die Party für grau gewordene Alt-68er total daneben geht, ist das eine. Das andere ist, dass Falk Richters Gesellschaftskritik hier ein zu leichtes Opfer findet. Er denunziert die ausgebrannten Kulturhedonisten ebenso wie er die stromlinienförmigen Neokapitalisten kritisiert. Nur Tochter Anja, die sich als "Internierte im Haus des Wohlstands" fühlte, bekommt am Ende mit dem erzwungenen Prekariat immerhin ein Stück Freiheit zurück.

    "Man ist nicht wirklich zu einem Schluss gekommen", sagt der ewige Student mal über die alten Kämpfe, "aber vielleicht hatte man auch die falsche Frage gestellt." Egal, was für eine Frage es war: Die Berliner Schaubühne beantwortet sie immer ein bisschen zu glatt. Mit den Restposten linker Ideologien bedienen Falk Richter und sein glänzendes Ensemble einfach schön die Marktgesetze.