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Harmonia Caelestis

Ist Harmonia Caelestis das "Buch der Bücher", das früh vollendete Lebenswerk eines Fünfzigjährigen und seine Aufarbeitung der ungarischen Geschichte? Bei einem Schriftsteller mit Nachnamen Esterházy ist die ungarische Geschichte gleichzeitig auch "seine" eigene. Neun Jahre hat sich Péter Esterházy in das weitverzweigte Familien-System hineingearbeitet. Hat er nun ein 900-Seitem unfassendes Buch einer ungarischen Dynastie geschrieben, ein Historienschinken, brav die Buddenbrocks als Donauwelle dekoriert und hochadelig aufgekämmt? Oder ist das Buch eine politische Chronique scandaleuse, eine Abrechnung mit den Kommunismus, eine Anklageschrift? Esterházy ein strammer Antikommunist, einer der letzten loyalen Royalisten, ein eifernder Verteidiger verlorener Werte? Da hätte man sich aber gründlich verschätzt.

Verena Auffermann |
    Péter Esterházy ist, außer durch das von Hans Magnus Enzensberger in Zusammenarbeit mit Irene Dische entstandenem, sehr lustigen und ziemlich gemeinen Kinderbuch mit dem Titel "Esterházy - Eine Hasengeschichte" bis jetzt in Deutschland eher eine originelle Nebenfigur geblieben. Eine Art Schlemihl, mit Vorliebe für die Schlemihls in angrenzenden Ländern. Zum Beispiel für Bohoumil Hrabal in Prag, dem Péter Esterházy 1990 unter dem Titel "Das Buch Hrabal" ein 200 Seiten umfassendes Werk gewidmet hat. In dem übrigens auch ziemlich viel von den Esterházys die Rede ist. Aber eigentlich sind die Mitglieder des Grazer Autorenkartells, unter Schirmherrschaft von Alfred Kolleritsch - Ernst Jandl gehört auch dazu - ,so was wie Leitsterne auf Péter Esterházys schriftstellerischem Weg. Und Esterházy - der so gut deutsch spricht, als hätte er hier sein halbes Leben verbracht, in Wahrheit waren es nur immer Monate - verehrt den Herrn Jandl auch ganz besonders. "Die Welt", steht im Buch Hrabal", "wird nicht immer schlechter, sie wird immer weniger unschuldig. Ein guter Satz". Das hätte auch Ernst Jandl einfallen können.

    Solche Kausalsätze, über die man erst stolpert, dann lacht und im dritten Anlauf nachdenkt, so eine Art Philosophie durch die Hintertür, sind auch in Harmonia CaelestisEsterházys Spezialität geblieben. Aber was für eine? Das Buch, von ihm in dem befreienden Augenblick begonnen, als alle Eisernen Vorhänge in Europa fielen und der Kommunismus ausgespielt hatte - gliedert sich in zwei Bücher. Das Erste Buch verzeichnet "Numerierte Sätze aus dem Leben der Familie Esterházy", das zweite Buch die "Bekenntnisse einer Familie Esterházy". Im ersten Teil taucht das "Ich" nicht auf, es wird durch die Metapher: "Mein Vater" ersetzt. Das Zweite Buch beginnt 1919. Aber bitte, chronologisch aufgeräumt und wissenschaftlich abgearbeitet wird hier nicht. "Mein Vater", steht für die Väter vom Beginn der Familie im 16. Jahrhundert. "Mein Vater", ist manchmal oder ziemlich oft der der leibliche Vater, sonst ist mein "Vater" einer der Ahnherrn.

    In der ungarischen Nationalbibliothek wird ein Kupferstich mit dem Stammbaum der Esterházys aufbewahrt, da führt sich die Familie auf Adam und Noah zurück. Und das ist gar nicht mehr übertrieben als es der liebe Gott erlaubt. Denn, das tun wir schließlich alle. Aber es ist natürlich trotzdem ein Witz. Péter Esterházy lacht über die Legendenbildung, und bildet in seinem Buch seine eigene, neue Legende. Mit der offziziellen hat sie gar nichts zu tun. Péter Esterházy hat ein generöses Verhältnis zur Familien-Geschichte, er benutzt sie, wie es ihm gefällt:

    Mir schwant, zerbrach sich mein Vater lange und vergeblich den Kopf, die heiligsten Dinge sind doch die, an die wir uns nicht erinnern. Harmonia Caelestisist eine himmlische Geschichtsbeerdigung und ein Horror für die Historiker. Mit Daten und Fakten hat das Buch nur sporadisch etwas zu tun. Das historisch Gesicherte taucht in Nebensätzen unter und an unerwarteten Stellen wieder auf. Péter Esterházy macht sich über seine Ahnherrn lustig, über ihr pompöses Gehabe, über ihre Art, die Tatsachen zu ihren eigenen Gunsten einzusetzen. Esterházy tut das aber auch selbst, er ist ein Barockfürst in eigener Sache. Das Barock ist "leer", heißt es in "Harmonia Caelestis". Da täuscht er sich der Autor, sein Buch ist voll:

    Im Jahr 1711 erschien in Wien eine Sammlung sakraler Gesänge unter dem Titel Harmonia Caelestis. Infolgedessen registrierte die ungarische Musikgeschichte meinen Vater bis dato auch als hervorragenden Komponisten. Neueste Forschungen haben allerdings ans Licht gebracht, daß diese Bezeichnung im Zusammenhang mit ihm nur in einem begrenzten Sinne anwendbar ist....Mein Vater spielte sowohl auf der Harfe als auch auf den Sternen. In der Phantasie der Ungarn bedeutet der Name meines Volkes all das, was das Leben schon auf Erden zum Himmelreich machen kann...Ein tatsächliches Kleinkönigtum, nicht wie das der Kleinkönige der Anekdoten, deren Macht an der Dorfgrenze endete, sondern eine Herrschaft, die unmittelbar nach dem alten König kam. Er bedeutete Ländereien von einer Ausdehnung, die nicht einmal die Wildgänse in einer Nacht zu überqueren vermögen, ganz zu schweigen vom träumerischen Erdenmenschen, der von diesen nächtlichen Vögeln nicht mehr als die trügerischen Schreie vernimmt!

    Péter Esterházy erzählt europäische Geschichte und schmuggelt ihr Fremdkörper unter, Relikte der Gegenwart. Zum Beispiel einen Computer, oder ein Wiener Schnitzel. In ein elfseitiges Inventar der "Mobilien" "meines Vaters" schmuggelt er unter Türme von Perlen, Brillanten, Pelzen, und Berge von Gobelins, reale Besitztümer unserer heutigen Konsum-Kultur: Zum Beispiel einen "Kugelschreiber mit Tesafilm umwickelt", oder ein "Straßenbahnabo mit Foto".

    Die Gegenwart schreibt also mit, der Standpunkt ist nicht immer klar, aber die Perspektive. Sie ist extrem subjektiv. Denn die Geschichte ist ein Berg Papier, man kann entweder zur Spitze aufschauen, wozu Esterházy eindeutig weder neigt noch taugt, oder man kann sich, wie ein echter Geschichtenerzähler benehmen, der nimmt, was ihm gefällt und den Stoff zum eigenen Wohlgefallen formt. Das hat Péter Esterhàzy, der Abschweifer, der im Rhythmus bleibt, getan. Seine Komposition vereint den Wohlklang Haydns und die Schrille der Zwölftöner. Aber es gibt nur einen Notenschlüssel oder Dietrich oder Sesam-öffne-Dich in diesem Werk: der Vater. Und am Ende wird man den Verdacht nicht los, das große Ganze ist ein Momument für Péter Esterházys eigenen Vater Mátyás Esterházy, einem willensstarken, plebejischen Intellektuellen, der ein Leben geführt hat, auf das Martin Walser sehr sehr neidisch wäre.

    Péter Esterházys Kopf hat zwei Hälften. Den Spaß und den Ernst oder das Leben und das Sein. Beide Hälften kann er leicht miteinander vereinen. Sein magnum opus ist ein monströser Versuch, die Familie und ihre Geschichte vor sich selbst zu retten. Denn die Geschichte - das ist eine der wichtigen Aussagen, die Esterházy macht, und warum er unter anderem das Werk vermutlich geschrieben hat - ist stärker als der Staat.

    Dem liederlichen Chronisten Esterházy geht die Ehrfurcht ab, aber er weiß, was Ehrfurcht und Stil sind. Und so ist es mit vielem, was er angeblich unterläuft. Er beschreibt mit unwiederbringlicher, geradezu Münchhausenscher Leichtigkeit das Leben der Herrschaft, die märchenhafte Rücksichtslosigkeit im Umgang mit den Untertanen, wozu natürlich auch die Frauen gehörten, und er beschreibt ihren maßlos prachtverliebten, ihren manchmal kranken, manchmal degenerierten, meistens skurrilen Gang durch die Jahrhunderte, ganz im Sinne von Carlo da Pontes "Hochzeit des Figaro".

    Mein Vater packte am 22. Juni dieses Jahres, quasi zur Sonnenwende, die Dienstmagd Janka Motta, meine Mutter und vergewaltigte sie; während des Aktes biß er meiner Mutter das Ohr und die Nasenspitze ab und riß auch aus den Brüsten und den Schamlippen je ein Stückchen heraus. Als man ihn nach 48 Stunden faßte, erinnerte er sich an gar nichts mehr, er dachte, man triebe Witze mit ihm. Dafür erinnerte sich meine Mutter um so besser an alles, sie vergaß (das alles) ein Leben lang nicht mehr.

    Das trug sich irgendwann in der 1622 auf einem Dolomitenfelsen erbauten Burg zu, eine Burg, die niemals von den Türken eingenommen wurde: Das will was heißen. Der Moralist Esterházy legt seine Quintessenzen aus, wie der Osterhase seine süßen Eier:

    Sich mit meinem Vater anfreunden. Nur das nicht. Niemals. Man soll sich mit seinem Vater nicht anfreunden. Das ist ein kapitales Mißverständnis.

    Über das lachende Auge wacht aufmerksam das weinende.

    Wer war mein Vater? Piepegal (schnurz), er war, wer er eben war, er ist, was er ist, wird sein, was er sein wird, ein großer Herr.

    Geschichten können nur die Schriftsteller schreiben, die nie behaupten, daß die Geschichte mit der Wirklichkeit stimmt. "Schriftsteller phantasieren", sagt schalkhaft der ernste Péter Esterházy, und fügt hinzu: "Gewiss ist nur der Tod". Péter Esterházy erzählt Biographien im Schnelldurchlauf, 400 Jahre sind "piepegal", ein Pappenstil. Er verharrt keineswegs bei den Hochzeitsdinners, Hochzeitsnächten, Hochzeitsgeschenken in Schlössern und auf Burgen. Was er alles weiß, kann er unmöglich in den Archiven aufgetrieben haben. Obwohl er viel in den Büchern gefunden hat. Es fehlt ihm der Respekt des Biografen, das Anhimmeln und Distanzverlieren. Esterházy, und das ist vielleicht sein entscheidender Sieg über sich selbst und über die Phalanx seiner Vorfahren, hat keine Angst vor den Esterházys. Esterházy beschreibt das Leben, wie er sich das Leben denkt.

    Man muß sich nur einen Augenblick vorstellen, ein Mitglied des Hauses Hohenzollern hätte solch ein Buch geschrieben! Undenkbar. Soviel Distanz, so wenig Protz und Selbstbeweihräucherung und so viel Humor. Ein Ungar unterscheidet sich von den Preußen in der Auffassung von kalt und warm, Liebe und Pflicht.

    Die Ungarn - und mein Vater ist einer, ein Ungar - sind wie die Norweger, im Februar sehnen sie sich sehr nach Licht und Wärme, haben Angst vor der Kälte (bangen) und zitieren traurige Verse. Im März aber, wenn das Frühlingslicht kommt, lachsfarben und leer, grinst er verschmitzt, als hätte er jemandem ein Schnippchen geschlagen. Kein Schnee mehr, ruft er triumphierend aus, nur noch der Tod!

    Harmonia Caelestisliest man mit großem Vergnügen, manchmal schweift man auch im Text herum. Verwandtenbesuche haben es an sich, daß man sich zwischendurch langweilt und sich am nächsten Tag über die Geschichten, die aus Langeweile entstehen, freut. Esterházys Blick ist der Blick durch das Schlüsselloch, nicht als Voyeur, sondern als Entdecker. Entdecker entzünden ihre Phantasie am Detail, Esterházy nimmt auch ein Fernglas in die Hand.

    Der Roman ist gebaut wie ein Haus mit unzähligen Zimmern. Falltüren für die Abstürze in die Gegenwart sind eingebaut. Und da fällt dann ein knallhartes Licht auf die Menschen, man sieht, wie sie sich verändert haben; aber doch nicht so sehr. Und dann sind da die eingeschleusten Zeitzeugen unterschiedlicher Herkunft, zum Beispiel ein gewisser Herr von Goethe oder Maria Theresia oder natürlich Josef Haydn. Joseph Haydn war bei den Esterházys im damals ungarischen Eisenstadt dreißig Jahre unter Vertrag und nach 1790 ohne Präsenzpflicht bis an sein Lebensende. Esterházy läßt zwei Engländer nach Eisenstadt reisen. Sie klopfen an und wollen den großen Haydn sehen. Aber der große Haydn wußte gar nicht, daß er groß war, weil ihm das vorsichtshalber niemand sagte, er wurde so klein gehalten, damit er klein genug war, zusammen mit den Kindern am Katzentisch zu essen. Geschichte ist in Harmonia Caelestiskein Material, sondern parallel verlaufendes, grausames, komisches Leben.

    Das Zweite Buch beginnt mit dem tragischen Satz, ein Satz, mit dem der Aufstieg für die Esterházys zu Ende ging, ein Satz, der in seiner höflichen Unverblümtheit alles sagt: Es wird nichts mehr sein, wie es einmal gewesen ist.

    Eure Exzellenz, ich würde sagen, bitte schön, die Kommunisten sind hier.

    Der Abstieg von der besitzenden und befehlenden Klasse zum Klassenfeind begann. Péter Esterházy war 1951 ein Jahr alt, als die Familie nach Hort in das nordungarische Kombinat Herves "ausgesiedelt" wurde. Der Vater war jetzt ein Bauer und Arbeiter wie die anderen auch. Tätig beim Straßenbau und auf dem Acker, anererkannter Melonenbauer, ein Graf als Knecht verkleidet, LPG Roter Stern. Aber dennoch. Was können vierzig Jahre Kommunismus gegen 400 Jahre ausrichten? Man lebt, wie man es gewohnt ist, und spielt Schloß, auch wenn das Schloß eine Bauernkate ist. Man ist ein Graf Nichts und ißt Hors-d'oeuvres, zubereitet auch aus Nichts. Denn das Leben, wenn man es versteht, wie das dieser Esterházy tut, ist eigentlich nur eine Frage der Phantasie.

    1957 durfte die Familie nicht nach Budapest selbst, aber an den Stadtrand zurückkehren, wo der Klassenfeind nicht viel Schaden anrichten konnte. Studieren durfte Péter Esterházy 1968 schon, anders als man das in der ehemaligen DDR gehandhabt hätte. Aber nichts geisteswissenschaftliches, also entschied er sich für Mathematik. Sein erster und einziger ordentlicher Job war in einer EDV-Firma. Esterházy liebt Budapest drastisch und huldigt ihr auf seine Art, er nennt die Stadt einen "riesigen, fauligen, scheußlichen Arsch". In dem weißen Haus neben einem Schwimmbad, das heute ein Spaßbad ist, wohnt die Familie Esterházy noch heute. Vom sagenhaften Reichtum war nichts, außer zwei Kommoden, ein paar Ahnenbildnisse, ein dunkler Barocktisch, an dem er sitzt und schreibt, und das Familiensilber geblieben.

    Bei uns zu Hause stand ein Fragmichnichtwas, eine Art Sekretär, eine kleine Kommode mit China-Muster - einmal habe ich am spanischen Königshof etwas Ähnliches gesehen, ich habe auch gleich laut losgeschrieen, das kenne ich! Das hat keiner so richtig verstanden.

    Esterházy beschreibt den Verlust nicht als Niederlage, Schmerz, Depression, kein Fall für die Verzweiflung, sondern für die Einstellung zum Dasien. Armut war da, aber man nahm sie einfach nicht zur Kenntnis.

    Was soll man machen, wenn die Welt einstürzt, die Erde sich auftut, die Flüsse über die Ufer treten und zugleich austrocken, wenn sich ein himmellanger Spalt über dem Firmament öffnet, in den die Sterne hineinstürzen, die Sonne, und wenn es dunkel wird wie in einem Abfalleimer, und der tausendfach glitzende Lüster aus Muranoglas im Salon zitternd zu schwanken beginnt?

    Da kann man bürgerlich heulen und mit den Zähnen knirschen oder aristokratisch Haltung bewahren.

    Mein Vater nahm das alles ohne ein Wort hin. Er interessierte sich nicht für Feinsinnigkeit, da er immer schon von feinen Sachen umgeben gewesen war; er würdigte sie nicht, er sah sie nicht einmal. Auch den Ehrgeiz meiner Mutter, das Offene, Persönliche ihrer Feinheit betrachtete er mit ein wenig Argwohn. Wenn er auch nur ein Körnchen Hochmut in sich gehabt hätte, hätte er sie deswegen verachtet. Mein Vater schaute auf niemanden herab, das war seine Art, ein Aristokrat zu sein. Großpapa schaute auf alle herab, das war seine. Und ich blinzle nur.

    Am 20. August 1948 wurde Ungarn Volksrepublik, auf den Ministerpräsidenten Imre Nagy folgte Kadar mit einer nach dem blutig niedergeschlagenen Volksaufstand von 1956 von der Sowjetunion eingesetzten Regierung. Man hat immer gesagt, die Zustände waren nicht mit den Verhältnissen in der Ex-DDR zu vergleichen. In Harmonia Caelestistaucht eine zwielichtige Person auf, ein Verführer mit Namen Robert, ein IM, aber das hat nichts von existentieller Dramatik. In Ungarn wurde Esterházys dickes respektloses Buch 60 000 mal verkauft. Eine Debatte über Esterházys Abrechnung mit dem Kommunismus, mit der Staatsgewalt, mit der alten besitzenden Klasse, die er so ausführlich, wenn auch mit dem gebrochenen Blick beschreibt, gab es nicht. Péter Esterházy findet dies Schweigen "märchenhaft", keine Fragen von Publikum und Kritik, keine Diskussion darüber, was der Kommunismus kaputt gemacht hat, und wofür. Im Osten ist jeder mit der Geschichte beleidigt, das Beleidigtsein ist beinahe Pflicht. Auch der Reichtum ist eine Beleidigung, außer man ist so reich, Freiheit vom Reichtum zu haben, und sei es im Geiste.

    Das raffinierte Kalkül der Proletarierdiktatur, wonach die mit der Arbeiterklasse verbündete Bauernschaft nach jahrhundertelanger Unterdrückung die bis ins Mark verdorbene Herrscherklasse durch die Aussiedlung noch mehr, und diesmal den Vorschriften entsprechend, hassen würde, ging nicht auf. Im Gegenteil. Man war vom undifferenzierten Gefühl der Solidarität ergriffen.

    Man nennt den Donau-Kommunismus einen "weichen Kommunismus".

    Der polnische Soziologe Zygmunt Bauman weist in seinen Büchern immer wieder auf die Tyrannei der Ordnung und auf die Gefahren hin, die daraus erwachsen. Die "unordentlichen" Ungarn steckten die ausgesiedelte Ex-Grafen-Familie nicht, wie es auf dem Papier stand, in einen kaum beheizbaren, vor Hühnerscheiße starrenden, ans Haus geklebten Schuppen sondern in ihre gute Stube.

    Für Péter Esterházy sind Wirklichkeit und Phantasie, Fiktion und Nichtfiktion unsichere Unterscheidungen. Geschichte ist nicht dumm, sie gibt über die Dummheit Auskunft. "Ideen", schreibt Esterházy, "kann man ausschließlich zusammen mit Rückgraten brechen". Mit dem Wort "Vaterland" endet mit dem 201. Bekenntnis das Buch. Der Vater stürzt nach Hause, setzt sich an seine Hermes Baby und hämmert "Vaterland" auf das Papier, ein Begriff

    mit dem er nichts, aber auch gar nichts zu schaffen hat, niemals hatte und auch niemals haben wird.

    Das Esterházy-Großportrait ist abgeschlossen, die Familiengeschichte über alle Väter seines Lebens beendet. Für Péter Esterházy persönlich ist der Berg noch nicht abgetragen. Er muß noch einen Appendix schreiben, so hatte er sich das auch nicht vorgestellt, aber er "muß".

    Das Buch ist eine Stil, -Sitten- und Lebens- und Vater-Geschichte. Die junge ungarische Autorin Terézia Mora hat es flüssig, witzig, phantasievoll in Deutsche übersetzt. Ein zerfallenes Schloß, Ort einer gespenstischen Begegnung zwischen einem jungen Mädchen und einem alten Mann, in Moras Erzählungsband "Seltsame Materie" ist alter Esterházy-Besitz. Literatur läßt Ruinen erblühen und Péter Esterházys ""Harmonia Caelestis" Ungarns Geschichte, ist so, wie er sie geschrieben hat, mit nichts, höchstens mit Jean Pauls Spitzfindigkeit zu vergleichen. Dem auf Adam und Noah zurückgreifenden Stammbaum der Esterházys hat er seine phantastische Version hinzugeführt.