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Harold haut drauf

"Die Verbrechen der USA waren systematisch, konstant, infam und unbarmherzig." Mit diesen Worten kritisierte Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter die Politik der Vereinigten Staaten nach 1945. In einer in Stockholm auf Video abgespielten Dankesrede bezeichnete der britische Dramatiker die Invasion im Irak als Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus.

Von Alexander Budde |
    Es war die flammende Philippika, die wir von ihm erwarten durften. Harold Pinter ist todkrank, für milde Dankesworte bleibt dem zornigen alten Mann des britischen Theaters keine Zeit. Seine voraufgezeichnete Rede nutzt der Literaturnobelpreisträger für einen Frontalangriff auf das politische Amerika:

    Harold Pinter: "Die Verbrechen der Vereinigten Staaten waren systematisch, infam und unbarmherzig, aber nur sehr wenige Menschen haben wirklich darüber gesprochen. Das muss man Amerika lassen. Es hat weltweit eine ziemlich kühl operierende Machtmanipulation betrieben und sich dabei als Streiter für das universelle Gute gebärdet. Ein glänzender, sogar geistreicher, äußerst erfolgreicher Hypnoseakt. "

    Ein fragwürdiges Kompliment des 75-jährigen Dramaturgen. Pinter schlägt den Bogen von den US-Interventionen in Süd- und Mittelamerika bis zum blutigen Feldzug der amerikanischen Truppen im Irak. Die Invasion nennt er einen "Banditenakt", ausgelöst durch einen "Berg von Lügen".

    Der Autor hatte seine Nobelvorlesung unmittelbar vor seiner Einlieferung in ein Londoner Krankenhaus eingespielt. Es mag seine letzte, öffentliche Rede sein. Wir sehen einen mageren Mann im Rollstuhl, eine Decke über den Beinen, ein von der Krankheit schwer gezeichnetes Gesicht. Von der Teilnahme an der Verleihungszeremonie am Samstag haben ihm die Ärzte abgeraten.

    Harold Pinter spricht von der mühsamen Suche des Autors nach der Wahrheit – und wie diese Suche von korrupten Machthabern immer wieder hintertrieben wird.
    Die Lügen der Politiker liegen im Machthunger begründet, klagt er:

    Harold Pinter: "Um diese Macht zu erhalten, ist es unabdingbar, dass die Menschen unwissend bleiben, dass sie in Unkenntnis der Wahrheit leben, sogar der Wahrheit ihres eigenen Lebens. Es umgibt uns deshalb ein weit verzweigtes Lügengespinst und davon nähren wir uns. "

    Auch im Glanz der Nobelfeiern und auf der politischen Bühne nimmt sich Pinter heraus, so zu reden, wie es seine Figuren im Theater tun: ungehobelt und schäumend vor Wut.

    Das hat die Schweden nicht davon abgehalten, ihm den ruhmvollsten aller Preise zuzusprechen. Ganz im Gegenteil, sagt Horace Engdahl von der Schwedischen Akademie:

    Horace Engdahl: "Ich empfinde seine Rede als einen leidensvollen Appell, dass wir eine andere Sicht auf die Welt brauchen, um – wie er es sagt - unsere menschliche Würde wiederherzustellen. Und ich denke, dass er sein Publikum mit diesen Worten schwer beeindruckt hat. "

    Harold Pinter wurde 1930 als Sohn einer jüdischen Schneiderfamilie im Londoner Arbeiterviertel Hackney geboren. Er veröffentlichte mit 20 seine ersten Gedichte, schrieb Hörspiele, Drehbücher und politische Pamphlete. Seine Sprache ist einsilbig, derb und bisweilen bitter komisch. Als Dramatiker holt Pinter die Außenseiter auf die Bühne: Obdachlose, Schläger, verkrachte Existenzen.

    Die krassen Auftritte des Alten erinnern an den jungen Hitzkopf, der sich auf den Straßen von London mit Neonazis prügelt, schmunzelt sein Biograph Michel Bellington:

    Michel Bellington: "Ich denke, der Schlüssel zum Verständnis sind die frühen Jahren nach dem Krieg. Als jungen, geistreichen Mensch aus jüdischer Familie muss es ihn zutiefst schockiert haben, dass der Antisemitismus auch in seiner Heimat Großbritannien noch sehr lebendig war. Das Gefühl der Bedrohung, die Furcht vor Verletzungen, haben ihn nicht mehr losgelassen. "

    Harold Pinter wird ausgezeichnet, weil er in seinen Stücken den Abgrund unter dem alltäglichen Geschwätz freilegt und in den geschlossenen Raum der Unterdrückung eingebrochen ist, so die Begründung der Schwedischen Akademie.

    Der Verleger Stephen Page wird am Samstag in Stockholm die Auszeichnung für Harold Pinter entgegen nehmen.