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Harpprecht: "Arbeit schafft Arbeit"

Der ehemalige Redenschreiber von Willy Brandt, der Journalist Klaus Harpprecht, glaubt, dass es bei der heutigen Regierungserklärung von Angela Merkel darauf ankommen wird, der Phantasie der Bürger eine Richtung zu geben. Dies müsse ein Appell an den Leistungswillen sein, nur damit könne Deutschland nach vorne gerissen werden. Merkel müsse noch zeigen, ob sie die emotionelle Kraft habe, eine neue Stimmung im Land zu schaffen.

    Heuer: Visitenkarte einer Regierung soll sie sein, politisches Manifest und komprimierter, aber möglichst vollständiger Maßnahmenkatalog. Zeugnis für Zeithistoriker irgendwann auch einmal. Und dann soll sie auch noch die Handschrift dessen tragen, der sie hält. Die erste Regierungserklärung eines neuen Bundeskanzlers ist ein Dokument, das es in sich hat.
    Und wer wüsste besser, worauf es in einer Regierungserklärung ankommt, als einer, der solch wichtige Reden selbst geschrieben hat? Am Telefon ist Klaus Harpprecht, Journalist, Schriftsteller und in den frühen 70er Jahren der Redenschreiber von Willy Brandt. Nun war Willy Brandt kein Christdemokrat - Sie sind es auch nicht, Herr Harpprecht. Also jenseits der Parteipolitik, die Frage: Hätten Sie Lust gehabt, diese Regierungserklärung für Angela Merkel zu schreiben?

    Harpprecht: Zu einer Regierungserklärung hat kein Schreiber, der seine fünf Sinne zusammen hat, auch nur die geringste Lust. Denn das ist die schwierigste, sprödeste, diffizilste Materie, die sich überhaupt denken lässt. Das Koalitionspapier, das die Grundlage bietet für die Rede von Frau Merkel heute, ist erwähnt worden. Aber darüber hinaus, wenn es - wie es mal so zuging, wie ich es in Erinnerung habe -, sind natürlich Vorschläge, Formulierungen, Vorausformulierungen aus den verschiedenen Ressorts bei der künftigen Bundeskanzlerin zusammen - oder bei der jetzigen Bundeskanzlerin - zusammengelaufen, ehe das in einem Guss geformt werden kann. Und nichts ist schwieriger als so etwas zu redigieren.

    Heuer: Spröde, sagen Sie, Herr Harpprecht. Spröde klingt auch, was der Regierungssprecher Ulrich Wilhelm angekündigt hat, nämlich: Angela Merkel wolle in ihrer Rede heute den Koalitionsvertrag konkretisieren. Noch mehr Spiegelstriche. Hätten Sie dazu geraten?

    Harpprecht: Je konkreter sie ihre Aussagen sein können - was natürlich eine genaue Absprache zumindest mit dem Vizekanzler, aber in Wahrheit auch natürlich mit den Ressortchefs voraussetzt -, umso schwieriger wird die Aufgabe. Aber umso besser könnte die Rede werden. Denn gemessen wird natürlich die Qualität der Rede nicht an den Punkten, die durch das Koalitionspapier bekannt sind, sondern an den Formulierungen, die sie durch ihre Redenschreiber, durch ihre Berater noch draufsetzen kann. Ob ihr eigene Formulierungen gelingen können, die nicht nur Highlights sind, die im Feuilleton eine nette Kommentierung verlangen, sondern die der Phantasie des Bürgers einen Richtpunkt geben, darauf wird es ankommen.

    Heuer: Was könnte denn dieser Richtpunkt sein?

    Harpprecht: Dieser Richtpunkt muss zweifellos sein ein Appell an den Leistungswillen - das ist ein ganz altmodisches Wort der Deutschen. Man hat in den vergangenen Tagen Demonstrationen gesehen mit Plakaten der ver.di-Gewerkschaft: "38 Stunden sind genug". 38 Stunden werden aber künftig nicht genug sein, denn die Verteilung der Arbeitszeit wird nicht mehr Arbeit schaffen, sondern weiter Arbeitsplätze beseitigen. Es heißt, nur durch einen Leistungswillen, der dem Leistungswillen der Mitglieder der großen Koalition von 1966 entspricht, wird dieses Land - und wird damit Europa, die Europäische Union - nach vorne gerissen werden können. Und darauf kommt es schließlich an.

    Heuer: Wie kann Angela Merkel es - wie könnte sie es - schaffen, den Leistungswillen bei den Bürgern zu befeuern? Liegt das nur an den Formulierungen, die sie wählt oder gehört dazu vielleicht auch ein ganz konkret das Versprechen und nicht, dass immer nur von Zumutungen und Verzicht gesprochen wird?

    Harpprecht: Zweifellos ein konkretes Versprechen und das wäre, dass ein Anstieg der Produktivität der Europäischen Union und vor allem ein Anstieg der Produktivität der Deutschen eine klare Richtlinie gibt. Das ist schon ein Punkt, an dem sich die Deutschen orientieren können.

    Heuer: Klingt immer noch sehr theoretisch, Herr Harpprecht.

    Harpprecht: Ja. Aber es genügt nicht, wunderbar finanzierte Werbeappelle über das Fernsehen zu verbreiten: "Deutschland bist du" - nun gut, ich bin vielleicht auch Deutschland, ich bin aber auch Europäer und ich bin durch meinen Weg halber Franzose, sondern es geht darum, dass man ganz konkret an dem Platz, an dem man ist, beweist, dass man mehr leisten will. Arbeit ist schließlich nicht nur ein Fluch. Das ist ein Mythos, der nicht erst seit 1968 in den Gehirnen ausgestreut worden ist, sondern Arbeit kann ja auch Freude machen. Arbeit ist der Schlüssel zu dem, was wir im Leben erreichen können. Und dann: Arbeit schafft Arbeit. Das ist ein ganz primitiver Schlüsselsatz, aber es ist, glaube ich, eine wirkliche Wahrheit. Und die Lust an der Leistung zu wecken, ich glaube, darauf kommt es vor allem jetzt, in dieser Phase und in dieser neuen großen Koalition an - die, wenn sie halb so gut ist wie die erste große Koalition, eine sehr gute Regierung werden könnte. Denn die erste große Koalition war eine der besten Regierungen, die die Bundesrepublik Deutschland gehabt hat.

    Heuer: Herr Harpprecht, um diese Stimmung, die Sie da heraufbeschwören, bei den Menschen zu verankern, müsste man etwas grundlegend verändern in diesem Land, das ist jedenfalls der Eindruck vieler. Es müsste ein Schalter umgelegt werden. Glauben Sie, dass das Angela Merkel gelingt heute mit ihrer Rede?

    Harpprecht: Das kommt auf die Kraft ihrer Persönlichkeit an, die sie jetzt beweisen muss. Sie hat bewiesen, da gibt es gar keinen Zweifel, dass sie einen gestählten Machtwillen hat. Sie hat bewiesen, dass sie eine hervorragende politische Taktikerin und vielleicht sogar Strategin ist. Ob sie die emotionelle Kraft hat, eine neue Stimmung in diesem Land zu schaffen, das allerdings wird sie heute beweisen müssen. Sie hat den Beifall und ich glaube, sie wird den ehrlichen Beifall auch der Sozialdemokraten haben, wenn ihr das gelingt, diese emotionelle Kraft, diese emotionelle Energie, wie sie von einem Mann wie Willy Brandt einst ausgegangen ist oder auch von Helmut Schmidt.