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Hart am Wind um die ganze Welt

Wieviele Kilometer haben Sie in etwa seit Oktober mit Ihrem Wagen zurückgelegt? 10.000, 15.000 oder vielleicht sogar 20.000? Michael Müller aus Kiel hat seit dem 11. Oktober vergangenen Jahres 65.000 Kilometer in den Knochen - allerdings hat er diese Strecke nicht bequem im Auto zurückgelegt, sondern zusammen mit neun anderen Männern auf einem Segelboot.

Von Heiko Oldoerp |
    Müller ist der einzige Deutsche beim Volvo Ocean Race, dem Meeres-Marathon einmal rund um den Globus. Der Kieler ist an Bord des Puma Racing-Teams und wie alle anderen Boote vor knapp drei Stunden im irischen Galway zur achten Etappe Richtung Schweden gestartet. Unser Mitarbeiter Heiko Oldörp hat sich mit ihm über die bisherigen Streckenabschnitte und die vergangenen sieben Monate auf See unterhalten.

    Michael Müller hat mit seiner Crew vom Puma Racing-Team Afrika umsegelt, war in Indien, China, Brasilien, Nordamerika und Europa. Seit vergangenen Oktober hat der Kieler fünf Kontinente gesehen, bis zu zwölf Meter hohen Wellen getrotzt und auf manchen Etappen acht Kilogramm Gewicht verloren - und er hat am eigenen Leib erfahren, dass beim Volvo Ocean Race Mensch und Material gleichermaßen auf's Äußerste gefordert werden.

    "Du segelst vier Stunden, dann folgen vier Stunden Wache und vier Stunden Freiwache. In den vier Stunden Freiwache zieht man sich an und aus, übergibt das Boot an die nächste Wache. Dann hat man, wenn man Glück hat, drei Stunden Schlaf. Aber wenn irgendetwas an Deck passiert, Segel gewechselt werden müssen oder irgendetwas am Boot kaputt geht, kommt es vor, da wir nur zehn Mann auf dem Boot sind, dass man 36 Stunden nur wenig oder gar keinen Schlaf bekommt."

    Auf dem vierten Teilstück von Singapur ins chinesische Quingdao gab's für alle an Bord besonders viel zu tun und daher sehr wenig Schlaf.
    "Auf dem Weg nach China hatten wir sehr viel Wind von vorne und deshalb sehr unpassende Wellenbedingungen für die Boote. Das war sehr hart, weil man einfach mit dem Boot nicht mehr schnell fahren kann, weil die Bedingungen so sind, dass, wenn man mit dem Boot zu schnell fährt, das Boot kaputt macht. Deshalb mussten wir das Boot bremsen, um heil anzukommen."

    Bei vergangenen Weltumseglungen sind schon Menschen ums Leben gekommen - diesmal ist noch nichts Schlimmes passiert. Generell wissen Michael Müller und alle anderen Segler ohnehin, dass sie im Ernstfall auf hoher See schlichtweg auf sich alleine angewiesen sind.

    "Es muss ja irgendwie weitergehen - je nach dem, wie dicht das Land dran ist. Erstmal will man ohne fremde Hilfe ankommen und das Rennen beenden. Und teilweise ist auch weitere Hilfe einfach zu weit weg. Ein Hubschrauber kommt vielleicht 250 Meilen raus, wenn man Glück hat auch 300 Meilen bei gutem Wetter - aber weit ist das nicht."

    Neben Wellen und Eisbergen drohte eine weitere Gefahr - Piraten. Auf der zweiten Etappe von Kapstadt nach Indien musste die Boote ziemlich nah an der somalischen Küste vorbei, wo seit einige Zeit Piraten Schiffe kapern. Eigens deshalb wurde vor dem Streckenabschnitt ein Meeting einberufen, in dem alle Crews auf die Gefahren hingewiesen wurden. Letztlich gab es dort aber ebensowenig Probleme mit Seeräubern wie in der Straße von Malakka, einer teilweise nur drei Kilometer breiten Meerenge in Südostasien, die bis heute als der gefährlichste Wasserweg der Welt gilt.

    "Da sind sehr viele Fischerboote unterwegs. Teilweise haben wir über 50 Boote am Horizont verteilt gesehen und keine Ahnung, da kann natürlich irgendwo eins dazwischen sein, aber von denen hatte keiner Interesse an uns. Beim ersten Boot ist man ein bisschen aufgeregt und guckt, was da passiert, wenn man sich den ersten Booten nähert, aber wenn man an zehn, zwanzig Booten vorbeigefahren ist, entspannt sich das alles ein bisschen. Waffen haben wir nicht an Bord. Aber es ist ja auch die Frage, was die von uns wollen? Ein bisschen gefriergetrocknetes Essen oder getragene Klamotten? Also da ist nicht viel zu holen bei uns an Bord. Das ist halt kein Öltanker, den man kapert und dann eine Fracht von zwei Millionen hat - an so einem Volvo-Boot ist einfach nicht viel dran."

    Denn die goldene Regel des Rennens lautet: Gewicht ist gleich Geschwindigkeitsverlust. Und deshalb ist unter Deck alles sehr spartanisch. Fernseher und Radio gibt es nicht, zwei Segler teilen sich eine Koje und die Dusche befindet sich direkt über der Toilette.

    Auf jedem Boot fungieren zwei Crewmitglieder als Sanitäter. Beim Puma-Team ist Müller einer dieser Medizinmänner, wie er es nennt. Der 26-Jährige kann nicht nur zerrissene Segel nähen, sondern notfalls auch offene Wunden - dass hat er im Vorfeld des Rennens gelernt.

    "Ja wir haben an Schweineklauen nähen gelernt, weil die Haut vom Schwein der vom Menschen sehr ähnlich ist. Wir haben auch Injektionen an uns selbst geübt. Das war ein verstärkter Erste-Hilfe-Kurs sozusagen."

    Sonderlich gefordert war Medizinmann Müller jedoch nicht - zumindest nicht aus seiner Sicht.

    "Ernsthafte Verletzungen hatten wir nicht - ein bisschen Prellungen, angebrochene Rippen, an einer Fingerkuppe ein bisschen Fleisch verloren. Das hört sich schon ein bisschen dramatisch an, war aber letztlich nichts Lebensbedrohliches."

    Michael Müller und seine Mannschaft sind derzeit Gesamtdritter, Platz zwei ist durchaus noch möglich. Drei relativ kurze Etappen stehen noch aus, dann ist Ende Juni in St. Petersburg der sogenannte Mount Everest des Segelns beendet. Müller ist erst der dritte Deutsche, der den Meeres-Marathon gewagt hat - und trotz aller Strapazen und Entbehrungen, wie der verpassten Geburt seiner Tochter Mia-Carlotta Ende Februar - hat er es noch keine Sekunde bereut, am 11. Oktober 2008 an Bord gegangen zu sein.