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Hartz IV, die nächste Generation

Unterste Stufe - das wollen sie nicht mehr. Ein halbes Jahr werden in der Arbeitslosenberatungsstelle im Kölner Osten, einer der sozialen Brennpunkte der Stadt, alleinerziehende Mütter unter 25 Jahren motiviert, aus ihrem Leben mehr zu machen.

Von Melanie Longerich | 09.08.2010
    "Ich kannte das ja nicht anders: Wir leben vom Amt, die tun uns helfen, wir sind aber nicht schlecht. Aber nachher in der Schule fing das dann an. Die hatten mehr wie wir, die konnten mehr als wir. Immer das Reden hinter dem Rücken. Die sind halt unterste Stufe. Da hat man sich schon schlecht gefühlt nachher."

    Unterste Stufe. Kerstin Heyertz will das nicht mehr sein. Im Schulungsraum des Vingster Treffs hat sie Heft und Stift vor sich gelegt. Sie wartet mit sieben anderen jungen Frauen auf den Unterrichtsbeginn. Ein halbes Jahr werden in der Arbeitslosenberatungsstelle im Kölner Osten, einer der sozialen Brennpunkte der Stadt, alleinerziehende Mütter unter 25 Jahren motiviert, aus ihrem Leben mehr zu machen: Etwa einen Schulabschluss oder eine Lehre.

    Es ist eine von unzähligen Maßnahmen, die für orientierungslose Jugendliche im Übergang zwischen Schul- und Berufsleben angeboten werden. Knapp eine Million Heranwachsende sind in Deutschland auf Hartz IV angewiesen: Also, fast jeder zehnte Jugendliche; jeder dritte davon hat einen Migrationshintergrund.

    "Profiling" steht heute auf dem Stundenplan. Die einen hören konzentriert zu, wie Kerstin Heyertz. Andere verdrehen gelangweilt die Augen, als die Sozialpädagogin Katrin Biane den Unterricht beginnt:

    "Beim Profiling geht es ja darum, welche Stärken, welche Schwächen habe ich. Das wir uns damit mal beschäftigen. Was kann ich besonders gut, wozu bin ich besonders gut geeignet, was kann ich weniger."

    Während die Pädagogin Fragebögen verteilt, kaut Kerstin Heyertz nachdenklich auf ihrem Stift. Was kann sie gut? Was kann sie nicht? So genau hat sie sich das nie überlegt. Zu Hause sei so etwas nie Thema gewesen. Ihre ebenfalls alleinerziehende Mutter war vor allem mit sich selbst beschäftigt, erzählt sie. Nur gestritten wurde viel. Nach dem Hauptschulabschluss zog die heute 25-Jährige sofort aus, statt einer Lehre kam das erste Kind. Das zweite Baby und die Trennung vom Freund folgten.

    Alleinstehend, jung, Mutter – treffen die drei Faktoren aufeinander, ist das Risiko am größten, in Hartz IV zu landen: Alleinerziehende, das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, beziehen überdurchschnittlich häufig staatliche Unterstützung und sind stärker von Armut bedroht als sogenannte Paar-Familien. Im Jahr 2009 waren knapp 76.000 Alleinerziehende auf Hartz IV angewiesen. 900 sind es derzeit in Köln. Tendenz steigend. Petra Buchheim, die Leiterin des Vingster Projektes.

    "Manche haben Schulden. Manche sind auch einfach aus dem ganz normalen Rhythmus rausgerissen worden, eben durch die Schwangerschaft. Viele haben die Schule abgebrochen und haben erst einmal Schwierigkeiten, sich an den normalen Rhythmus zu gewöhnen, wieder pünktlich zu den Seminaren zu erscheinen, mitzumachen über mehrere Stunden, sich zu beteiligen."

    Der Großteil ihrer Klientel ist ebenfalls von nur einem Elternteil großgezogen worden. Fast alle haben Erfahrungen damit gemacht, wie es ist, wenn die Familie von der Stütze leben muss: Es sind junge Menschen, die gesellschaftliche Ausgrenzung erlebten; die wissen, was es heißt finanziell klamm zu sein; denen Motivations- und Perspektivlosigkeit oft vorgelebt wurde.

    Einmal Hartz IV - immer Hartz IV, sagt Roland Merten, Staatssekretär im Thüringer Kultusministerium und Professor für Sozialpädagogik an der Uni Jena. Eine bittere Erkenntnis, an der sich nichts ändern werde, so lange sich das Bildungsniveau des Elternhauses auf die Kinder überträgt. In seinem neuen Buch mit Titel "Armut und soziale Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen" beschreibt er, wie eng in Deutschland Armut mit Chancenlosigkeit verknüpft ist. Für Merten sind die Eltern die wichtigsten Weichensteller ihrer Kinder:

    "Sie geben in aller Regel genau das Anspruchsniveau an Bildung, das sie selbst haben, an ihre Kinder weiter. Wenn sie schlechte Voraussetzungen haben, auch ein niedrigeres Anspruchsniveau. Wir wissen allerdings vor dem Hintergrund der sich globalisierenden Wirtschaft, dass die Ansprüche an Bildung, die junge Menschen mitbringen müssen, um auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance zu haben, deutlich erhöht sind. Wenn also dieses reduzierte Bildungsniveau an die eigenen Kinder weitergegeben wird, ist die Wahrscheinlichkeit, sich später entsprechend schlecht positionieren zu können, mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben."

    Schlechte Bildungschancen – eine Folge von Armut, die den Kindern aus diesen Familien zu schaffen macht. Viele weitere Punkte kommen hinzu. Roland Merten spricht von "multipler Deprivation", von vielen Faktoren der Benachteiligung, die sich gegenseitig verstärken:

    "Sie haben in der Regel eine schlechtere gesundheitliche Ausstattung als vergleichbare Kinder aus höheren sozialen Herkünften, sie haben eine deutlich schlechtere Ausstattung in der Frage der Wohnsituation, sie verfügen in der Regel über geringere soziale Netzwerke, sie verfügen in der Regel auch über geringere soziale Unterstützungspotenziale in Form von Nachbarn, die unter die Arme greifen und dergleichen mehr. Also sind hier verschiedene Elemente, die alle negativ in einen Kreis zusammenwirken."

    Ein Teufelskreis. Neuere soziologische Untersuchungen zeigen auch, wie Armut Familien unter psychischen Druck setzen kann. Der Kölner Armutsforscher Jürgen Friedrichs:

    "Sie wissen nicht, ob irgendein schreckliches Ereignis, wie zum Beispiel einen neuen Kühlschrank kaufen, bewältigt werden muss, mit nicht vorhandenem Geld, also was sollen sie tun? Und diese Furcht, nicht zu wissen, habe ich genug Geld, setzt diese Familien offenbar unter kontinuierlichen Stress, der sich als Unruhe, Ungeduld, vielleicht auch in Form von Schlagen der Kinder niederschlägt und keine liebevolle Atmosphäre im Elternhaus schaffen kann. Und ich denke, dies trägt auch dazu bei, dass sich Armut vererbt, es vererbt sich Stress."

    Seit Ende des 19. Jahrhunderts bereits diskutieren Wissenschaftler und Politiker darüber, wie die Spirale nach unten durchbrochen werden kann. Damals hatte der britische Sozialforscher Charles Booth die Lebensverhältnisse der Arbeiter in London dokumentiert. Er schlug vor, die Armen so über die Stadt zu verteilen, dass etwa Kinderreichtum und schlechte Wohnsituation möglichst folgenlos bleiben. Im Jahr 1890 belegte der amerikanische Journalist Jacob Riis mit Fotografien die Lebensverhältnisse der Kinder in New Yorker Slums. Zeitgleich führte Reichskanzler Otto von Bismarck in Deutschland die ersten Sozialgesetze ein; eine Reaktion auf die wachsende Verelendung vieler Arbeiterfamilien im Zeitalter der Industrialisierung. Das Problem ist erkannt, Bildung als Ausweg bekannt – nur die Umsetzung der Erkenntnisse dauert dem Armutsforscher Jürgen Friedrichs viel zu lang.

    Bildung als Voraussetzung für den sozialen Aufstieg. Wer in der Schule versagt, ist chancenlos von Beginn an, behauptet der Soziologe. Doch anders als in Frankreich, wo im Jahr 2005 junge Migranten gegen ihre soziale Deklassierung auf die Straßen gingen, sei ein Ähnliches Aufbegehren in Deutschland nicht zu erwarten. Noch nicht, glaubt Friedrichs. Denn anders als im Nachbarland, wo viel Wut im Spiel war, verabschieden sich junge Menschen hierzulande eher in die Resignation.

    "Die Jugendlichen scheitern an dem System, gehen nur mit der Hauptschulbildung ab und müssen sich dann immer sagen, dass es sozusagen ihr persönliches Versagen ist, das dazu führt, dass sie nicht weiterkommen. Während man in Frankreich sagen kann: ,Ich hab doch die gesellschaftliche Leistung erbracht. Und nun wird mir ein Job verweigert.' Und das ist nicht mehr ein individuelles Schicksal, sondern ein kollektives Schicksal. Und damit ist auch die Möglichkeit zu solchen Aufständen gegeben, die bei uns nicht gegeben ist, weil man vorher mutlos ist."

    Eine etwas andere Schule. Eine Schule an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Kölner Universitätsklinik. Hier werden rund 90 Kinder und Jugendliche von der ersten Klasse bis zum Abitur betreut. Es sind Kinder auch aus Problemfamilien. Wolfgang Oelsner leitet die Schule. Er kennt die schwierige Situation der Kinder. Er will sie aber nicht in die Resignation abdriften lassen.

    "Auf der einen Seite ist es unglaublich belastend für Kinder, wenn ihre Eltern in Armut aufwachsen, das wollen wir überhaupt nicht schönreden. Auf der anderen Seite zeigt uns auch die Geschichte, dass das ja auch einen Impuls setzen kann, aus diesem Zustand herauskommen zu wollen."

    Oelsner fordert viel von seinen Schülern: Wer will, kann seiner Situation entfliehen, behauptet er. Hilfsangebote gibt es unzählig viele. Finanzielle Unterstützung übrigens auch. Chancenlosigkeit? Für den Jugendpsychologen ist es nicht allein ein Armutsproblem. Er spricht von einer Bequemlichkeit bei Jugendlichen, die Anstrengungen und Herausforderungen erst gar nicht annehmen wollen.

    "Dass das durch soziale Verhältnisse mitgeprägt ist, ist unbestritten, aber es gibt auch Probleme, die würden auch ohne Hartz IV aufkommen. Wir haben ja auch Jugendliche, die sich nicht anstrengen wollen, obwohl es ihnen gut geht zu Hause. Stichwort: Verwöhnungsverwahrlosung. Für manch einen ist das auch im Rahmen ihrer jugendlichen Identitätssuche vorübergehend ein Lebenskonzept, sich anderen Dingen zu verweigern und zu sagen, ich steig da aus."

    Ein typisches Verhalten für Jugendliche, die mitten in der Pubertät stecken. Egal, aus welchem Elternhaus sie kommen. Der Psychologe erlebt oft, wie Jugendliche sich komplett verweigern. Man könne sie nur darin unterstützen, den richtigen Weg für sich zu finden. Denn wirkliche Konsequenzen habe ihre Verweigerung nicht. Weder der Staat, noch die Pädagogen würden solche Jugendliche wirklich fallen lassen.

    "Man darf und will ihnen nicht wünschen, dass es weh tut. Auf der anderen Seite sieht man dann aber ganz genau, wenn es dann einmal weh tut, kommt etwas zustande, wir sehen es doch daran, dass Jugendliche in ihren Peer Groups, also in ihren Gruppen untereinander, zu viel härteren Maßnahmen oft bereit und fähig sind, etwas durchzuhalten. Im Fanwesen, was bringen da Jugendliche für Opfer, um ihrem Idol zu huldigen. Da scheint aber auch ein Ausbildungsziel längst nicht mehr allen so attraktiv zu sein, um sich dafür zu quälen."

    Quälen? Vielleicht würden sich das einige Jugendliche schon antun, wenn eine sich lohnende Perspektive da wäre. Doch im Gegensatz zu früher sind Ausbildungs- und Arbeitsplätze für gering Qualifizierte Mangelware. Die Chancen für sie, dauerhaft auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sind mehr als trübe. Und es wird immer schlimmer, beobachtet Regina Bieger, Leiterin des Mühlheimer Jugendbüros für Beruf und Arbeit. Seit 25 Jahren unterstützt sie Jugendliche darin, berufliche Perspektiven für sich zu finden. Realistische Perspektiven.
    "Die machen sich oft selber was vor, indem sie sich Wunschtraumberufe einbilden, die sie erreichen wollen. Pilot oder Model ist grad sehr in. Dass man sich auch gar nicht daran messen kann. Und wir versuchen sie wirklich ein bisschen auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, damit sie eben realistisch ihre Chancen einschätzen können und das auch positiv sehen."

    Akin will jetzt erst einmal ein Praktikum beim Friseur machen. Der 19-Jährige mit dem schwarz gelackten Haar hat keinen Schulabschluss. Dafür hat er mehrere Maßnahmen abgebrochen, sich stattdessen mit Mädchen getroffen oder mit Freunden abgehangen. Das will Akin nun ändern:

    "Ich will halt nicht klein gemacht werden. Ich will halt auch mal ein bisschen oben sein."

    Der türkischstämmige Kölner steht vor Regina Biegers Tür im Mühlheimer Jugendbüro und wartet. Unter dem Arm eine dicke Mappe mit Briefen. Schriftverkehr mit dem Sozialamt. Seine Mutter ist vor Kurzem gestorben, der Vater verschläft den Tag. Akin kümmert sich allein um den jüngeren Bruder. Er will und er muss jetzt Vorbild sein, sagt der junge Mann. Der Vater sei es nicht. Gemeinsam mit Regina Bieger hat er sich für ein Werkstattjahr mit Schule und verschiedenen Praktika entschieden. Die Zeit beim Friseur soll zeigen, ob er durchhalten kann; ob er beispielsweise pünktlich am Arbeitsplatz erscheint.

    "Ganz alleine würde ich das nicht hinkriegen. So mit dem Papierkram und dem Kindergeldantrag und dem dies und das. Woher soll ich das alles einfach vom Himmel wissen. Wenn ich jetzt draußen jemanden frage, der erzählt mir vielleicht, wie ich da hinkomme, oder so. So keine Details so. Nicht 100 Prozent. Da muss man schon einen haben, der sich mit allem so richtig gut auskennt. Damit man nicht unnötig nach rechts läuft, obwohl man nach links muss."

    Andere aber laufen gar nicht erst los. Nicht zu ihrem Fallmanager in der Arge, nicht zu ihrer auferlegten Maßnahme. Das kann Sport sein, was der Motivation dienen soll. Das kann auch ganz konkret ein Bewerbungstraining sein. Diese Maßnahmen zu schwänzen, hat spürbare Konsequenzen: Laut Gesetz müssen die Fallmanager schon bei kleinen Vergehen die finanzielle Unterstützung zusammenstreichen. Dem Jugendlichen bleibt dann lediglich das Geld für drei Monate. Lehnt er wiederholt einen Ein-Euro-Job oder eine Lehrstelle ab, oder verweigert er die Teilnahme an einem berufsvorbereitenden Kurs droht ihm zudem die Streichung der Miet- und Heizkosten.

    Für viele Fallmanager sind diese Sanktionen zu hart und wenig sinnvoll. Das ergab eine kürzlich erschienene Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. 26 befragte Jobvermittler kritisierten darin, dass manche, noch bei ihren Eltern wohnende Arbeitslosen nach der Streichung ihrer monatlichen Grundsicherung von 287 Euro einfach abtauchen würden. Und sich damit dem Einfluss der Behörde gänzlich entziehen. Roland Merten, Sozialpädagoge und Staatssekretär in der Landesregierung von Thüringen versteht diese Kritik:

    "Unter einer strafenden Perspektive mögen die vernünftig sein, mit Blick auf den Aufbau von Kompetenzen, die junge Menschen brauchen, um im Berufsleben erfolgreich zu sein, sind sie vollkommen wirkungslos."

    Olaf Wagner, der stellvertretende Arge-Chef in Köln, hält dagegen.

    "Sanktionen müssen manchmal sein, um Grenzen auszuloten, um zu zeigen, jedes Handeln bewirkt auch irgendwas. Jeder Mensch, der arbeiten geht, weiss, dass er Sanktionen zu erwarten hat, wenn er sich nicht konform in seinem Arbeitsumfeld verhält."

    Übertriebene Strafe. Oder notwendiger Lerneffekt. Was aber, wenn gar nichts mehr wirkt? Wenn Jugendliche sich komplett verweigern, gar keine Angebote mehr annehmen? Diese Fälle gibt es auch, sagt Olaf Wagner. Selten zwar, aber die Augen davor verschließen dürfe man nicht.

    "Wenn alles versucht wurde, dann muss der Aktendeckel geschlossen werden. Wenn die siebte Einladung ohne Erfolg geblieben ist, wenn der Jugendliche kein Geld mehr von uns bekommt, wenn keine Mietzahlungen mehr von uns übernommen werden, dann haben wir keine Handhabe mehr."

    Was dann folgt: Die Jugendlichen rutschen ab. Arbeiten im zweifelhaften Milieu oder schlagen sich durch mit Jobs in Geschäften von Bekannten. Zu befürchten ist, dass die meisten schlussendlich von Sozialleistungen leben werden. Ein Fehler, sagt Staatssekretär Merten. Eine schrumpfende, überalternde Gesellschaft kann es sich eigentlich nicht leisten, auf diese Jugendlichen zu verzichten.

    "Das ist ein großes Problem. Das wird dazu führen, dass wir entweder in den Sozialsystemen die Beiträge erhöhen, das können wir nicht beliebig machen, oder die Leistungen absenken, auch da haben wir Probleme, da müssen wir nur an den Rentenbereich denken; oder dass wir staatlicherseits über Steuern immer mehr hineingeben, aber die müssen auch erwirtschaftet werden. Von daher haben wir auch volkswirtschaftlich hier ein Spannungsgefüge, was sich nicht ohne Weiteres auflösen lässt. Was wir aber frühzeitig durch gezielte Intervention, immer wieder in Bildung, frühzeitig ausgreifen können. Und wenn wir volkswirtschaftlich vernünftig sind, auch beizeiten tun müssen."

    Das hat auch der stellvertretende Kölner Arge-Leiter Olaf Wagner im Blick. Seine Behörde investierte allein im vergangenen Jahr 10,6 Millionen Euro in die verschiedensten Hilfsangebote für Jugendliche – ein Zehntel des gesamten Etats. Zurzeit werden 13.000 Jugendliche betreut. Jeder sechste Hartz IV-Empfänger in Köln ist unter 25 Jahre alt -deutscher Durchschnitt. Hinzu kommen die Kosten für Wohngeld, das die klamme Stadt ebenfalls finanzieren muss; 305 Millionen Euro allein in diesem Jahr.

    Das finanzielle Engagement erkennt Roland Merten an. Doch er übt auch Kritik: Die einzelnen Maßnahmen sind viel zu wenig aufeinander abgestimmt. Das zu ändern, darin sieht der Politiker die Hauptaufgabe für die Zukunft.

    "Meines Erachtens geben wir an vielen Stellen zu viel Geld aus, weil wir Programme und Maßnahmen vorhalten, die wenig ergebnisorientiert sind. Und wir geben auf der anderen Seite, wo es um die kindzentrierte - oder jugendzentrierte - Perspektive geht, zu wenig Geld aus, weil wir das genau dort notwendige Personal dort nicht bereit halten. Wir brauchen also sehr viel stärkere Unterstützung durch personelle Kompetenz - Sozialarbeiter, Pädagogen, vielleicht auch Psychologen, und wir brauchen nicht irgendwelche Maßnahmen, die vermeintlich für viele Jugendlichen passen, aber in ihrer Wirkung letztlich verpuffen."

    "Haste auf mich gewartet? Ja, dann zieh mal Deine Schuhe an. Haste heut schön gespielt? Ja Mama"

    Schluss für heute mit Profiling. Es ist Mittag und Kerstin Heyertz holt im Vingster Treff den zweijährigen Taylor aus der Kindergruppe ab. Am Nachmittag wird sie noch Bewerbungen schreiben. Wie Akin, der nach seiner Beratung im Mühlheimer Jugendbüro nun eine lange Liste mit möglichen Praktikumsplätzen in Händen hält. Beide haben sich ein Ziel gesetzt: Sie wollen raus aus Hartz IV. Akin denkt an seinen Bruder, der die achte Klasse einer Hauptschule besucht. Kerstin Heyertz an ihre beiden Kinder. Ein Leben finanziert mit staatlicher Unterstützung will sie ihnen weder vorleben, noch an sie weitergeben. Die 25-Jährige zeigt Ehrgeiz: Sie möchte nicht die dritte Generation einer Hartz-IV-Familie großziehen. Sie will ihren Kindern Vorbild sein.

    "Viele Sachen, die mir früher nicht wichtig waren, sind mir jetzt wichtig, weil ich Vorbild sein will, zum Beispiel die Arbeit oder auch kleine Sachen: Ich schmeiße keine Papierschnipsel mehr auf den Boden, die kommen in die Mülltonne. Ich gehe nicht mehr bei Rot über die Straße. Das sind kleine Sachen, aber auch große Sachen. Wie zum Beispiel mit dem Arbeiten gehn' oder du darfst keine Ameise platttreten, das ist ein Lebewesen. Man achtet da auf voll Vieles.""