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Dank Bürgerarbeit fühlen sich Langzeitarbeitslose im anhaltische Bad Schmiedeberg wieder gebraucht. Den Staat kostet die Unterstützung kaum mehr als Hartz IV. Sachsen-Anhalt will das Modell zur Grundlage einer Bundesratsinitiative machen und das "Wunder von Bad Schmiedeberg" ausrufen.

Von Verena Kemna | 06.05.2007
    Bürgerarbeit in Sachsen-Anhalt, das ist ein Modellversuch der Landesregierung und der Bundesagentur für Arbeit. Arbeitslose sollen durch gemeinnützige Tätigkeiten wieder eine Aufgabe bekommen. Die Vorgabe heißt: Bürgerarbeit statt Hartz IV. Zuerst war es nur ein Laborversuch in Magdeburg. Im August vor einem Jahr haben 20 ehemalige Langzeitarbeitslose als Bürgerarbeiter ein neues Arbeitsleben begonnen.

    In den Werkstätten der Lebenshilfe assistieren sie bei der Arbeit mit behinderten Menschen. Sie sortieren Neonröhren, spielen mit den Behinderten "Mensch ärgere dich nicht" oder sitzen einfach nur da und hören zu. Für Silke Böhlen ein Traumjob: Zum ersten Mal seit Jahren ist sie glücklich. Endlich darf sie tun, was sie immer wollte, für andere da sein.

    "Vorher habe ich nur Nebenbeschäftigungen gehabt. Gelernt habe ich Elektromonteur. Nach dem Babyjahr habe ich fünf Jahre in der Kindereinrichtung gearbeitet, habe auch schon mit behinderten Menschen gearbeitet als Verkehrserzieher, Umschulung gemacht, ansonsten eben hauptsächlich Nebenbeschäftigung, gekellnert, geputzt, Call-Center, Hähnchengrill und, und, und."

    Ihr Arbeitsvertrag mit der Lebenshilfe ist ihr erster seit 14 Jahren.

    "Also ich stehe um Fünf auf, fahr um Sieben los, damit ich pünktlich hier bin. Fahr unheimlich gerne hierher zur Arbeit, immer mit guter Laune. Winken schon von weitem, guten Tag Frau Böhlen, Erzählen, was sie im Wohnheim gemacht haben. Man kriegt einfach unheimlich viel zurück. Ich kann nur sagen, für mich ist das ein Traumjob."

    Auch Ehrhard Stahlberg, 56 Jahre alt, ist glücklich. Er trägt wieder seinen blauen Arbeitsanzug. Endlich wieder arbeiten, das ist für ihn wichtiger als Geld. In der Werkstatt werden Neonröhren zusammengesteckt, in Kartons verpackt. Der gelernte Elektromonteur hilft den Behinderten bei der Arbeit und passt auf, dass nichts daneben fällt.

    "Hätte noch Arbeitslosengeld weiter bekommen, aber wollte eben praktisch mein Geld, das ich bekomme, verdienen. Also es war schrecklich diese Zeit zu Hause zu sitzen, obwohl ich einen großen Garten habe und mehrere Hobbys, mir fehlte eben dieses morgens Losgehen und einen Arbeitstag zu haben, das hat mir gefehlt."

    Die Formel könnte lauten: Ehemals langzeitarbeitslos plus Bürgerarbeit gleich glücklicher Arbeitnehmer. Bürgerarbeiter leisten gemeinnützige Arbeit für die Kommune. Sie haben eine 30-Stunden-Woche und bekommen dafür einen Bruttolohn von mindestens 675 aber höchstens 975 Euro. Das ist kaum mehr als Hartz IV oder Arbeitslosengeld II. Aber darum geht es den meisten auch gar nicht. Schon beim ersten Laborversuch in Magdeburg hat sich gezeigt, dass viele für das Geld, das sie ohnehin vom Staat bekommen, lieber arbeiten gehen. Keine Leistung ohne Gegenleistung, so erklärt CDU-Wirtschaftsminister Reiner Haseloff das Grundprinzip der Bürgerarbeit.

    "Wir versuchen, Geld, was bisher für Arbeitslosengeld und die Kosten der Unterkunft ausgegeben wurde, zusammenzunehmen und mit einem weiteren kleinen Zuschuss, der ebenfalls aus dem Topf zur Betreuung der Langzeitarbeitslosen stammt, ein sozialversicherungspflichtiges, also ganz normales Arbeitsverhältnis darzustellen. Und wenn sich das bewährt, so auch die klare Anzeige aus der Bundesagentur für Arbeit, dann könnte man dies auf bundespolitische Ebene ziehen und sogar gesetzlich verankern."

    Seit einem Jahr ist der ehemalige Arbeitsamtsdirektor der Lutherstadt Wittenberg Wirtschaftsminister der CDU-geführten Landesregierung in Sachsen-Anhalt. Seitdem versucht er umzusetzen, wovon viele reden. Dabei ist das Konzept Bürgerarbeit nur ein Puzzlestein auf dem Markt der arbeitspolitischen Möglichkeiten. Mit dem, was der Volksmund als Ein-Euro-Job bezeichnet, hat es nichts zu tun, hat doch ein Bürgerarbeiter einen unbefristeten Arbeitsvertrag, ist sozialversicherungspflichtig und steht nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik. Dagegen steht die Finanzierung von Arbeitslosigkeit. Sie hat den Staat im vergangenen Jahr fast 40 Milliarden Euro gekostet.

    "Die politische Diskussion läuft dann immer in die Richtung, vor allem aus Sicht der Betroffenen, die dann sagen: Warum nehmt ihr das Geld nicht und schafft damit Arbeit? Gehen wir mit diesem Personenkreis, der will, aber nicht kann, ehrlich um und sagen, lassen wir ihnen einen anderen Teil an gesellschaftlicher Mitwirkung! Es geht um eine faire Teilhabe, und da gibt es viele Tätigkeiten, die in den öffentlichen Haushalten nicht mehr finanziert werden."

    Geschichten vorlesen im Seniorenheim, Müll von der Straße fegen, welke Blätter unter Sträuchern wegkratzen, Brote belegen für Vereinsfeste, eine Ortschronik schreiben, die Devise lautet: Wer auf Arbeitslosengeld I oder II angewiesen ist, soll eine Chance bekommen. Wem der erste Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, kann in Sachsen-Anhalt Bürgerarbeit leisten. Nach dem Laborversuch in Magdeburg, der erste Flächentest in Bad Schmiedeberg.

    Der verschlafene Kurort, liegt inmitten der Dübener Heide, südlich der Lutherstadt Wittenberg. Die 4200 Einwohner sind es schon fast leid, suchen doch die Fremden, die seit Monaten anreisen, nicht Ruhe und Erholung, nehmen kein Moorbad im Kurhaus am kleinen Schwanenteich. In den schmalen Gassen rund um Kirche und Rathaus sind selten Touristen unterwegs. Trotzdem ist Bad Schmiedeberg deutschlandweit in aller Munde. 108 Bürgerarbeiter haben den Ort berühmt gemacht.

    "Das ist das, was alle sagen, man muss gebraucht werden ansonsten fehlt was."

    "Ja, ich gehe lieber in den Tag als vorher. Es ist eine angenehme Sache, früh aufzustehen und zu wissen, ich gehe jetzt dahin wo ich gebraucht werde. Das macht Spaß, man wird lockerer, wieder mehr offen den Menschen gegenüber und bekommt mehr Selbstbewusstsein."

    "Ich wollte ja Sozialassistent machen und mit Menschen arbeiten, und ich denke, ich habe jetzt durch diese Bürgerarbeit eine Basis geschaffen, und ich kann mich dann von hier aus in soziale Sachen bewerben."

    Und so funktioniert das Konzept Bürgerarbeit: Im vergangenen Sommer haben die Arbeitsvermittler der Bundesagentur jeden Einzelnen, der in Bad Schmiedeberg gemeldeten Arbeitslosen, zum Gespräch geladen. 331 Namen standen auf der Liste. Fünf der Geladenen sind gar nicht erst erschienen. Ob sie schwarz arbeiten? Möglich, sagt Wirtschaftsminister Haseloff.

    "Die Personen, die sich nicht melden und auch zum wiederholten Male nicht erscheinen, werden aus der Arbeitslosenstatistik herausgenommen weil sie nicht mehr arbeitssuchend sind oder keine Arbeit benötigen."

    Das Konzept beginnt mit Stufe eins bis drei: Einladen, Beraten, Vermitteln. Da schickt die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, einen Arbeitsvermittler für 100 Arbeitslose, eine Quote, die weit über dem Durchschnitt liegt. Normalerweise ist ein Vermittler für 400 Klienten zuständig. Nur die sehr persönliche Beratung erklärt, dass fast 60 Arbeitslose auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt wurden und dass außerdem für 34 andere eine Weiterbildung gefunden wurde. Für Wirtschaftsminister Haseloff eine erste gute Bilanz, die eines beweist,

    "dass bei intensiven Integrationsbemühungen und auch beim klaren Konzept 'Fördern und Fordern' mehr Einstellungen laufen, als man denkt, und auch dieser Prozess noch beschleunigt werden kann."

    Wer nicht vermittelt werden kann, der bekommt das Angebot der Bürgerarbeit. Für 108 Bad Schmiedeberger ist es eine klare Aufforderung. Wir nutzen alle Möglichkeiten, die das Sozialgesetz bietet, sagt Reiner Haseloff. Auch das ist Teil des Modells.

    "Es gibt Druckinstrumente, weil nach dem SGB II jede zumutbare Arbeit anzunehmen ist, und wir bieten zumutbare Arbeit. Bürgerarbeit ist ein legitimes, gesetzlich abgesichertes Modell, was dazu dient, die Vermittlungsmöglichkeiten zu erhöhen und die Aktivierungschancen zu verbessern."

    Sprich, wer nicht mitmacht, riskiert, dass das Arbeitslosengeld langfristig gestrichen wird. Seit es die Bürgerarbeit gibt, wird in Bad Schmiedeberg Geld gespart. Noch im November hat die Kommune über 200.000 Euro im Monat an die Langzeitarbeitslosen ausgezahlt. Im Januar waren es nur noch 152.000 Euro. Die Einsparung steht als Pluspunkt in einer ersten Kosten-Nutzen- Analyse der Bundesagentur. Außerdem hat sich in der Kleinstadt bei Wittenberg die Arbeitslosenquote in nur einem halben Jahr von 15,6 auf 5,7 Prozent reduziert. Für Antje Lytschewski ist es das Wunder von Bad Schmiedeberg. Sie ist 28 Jahre alt, gelernte Einzelhandelskauffrau und hat vor Jahren noch Vögel, Hamster und Meerschweinchen verkauft. Doch die Tierhandlung in dem kleinen Kurort ist längst geschlossen. Jahrelang keine Arbeit für Antje Lytschewski, sie hat sich über die Aufforderung zur Bürgerarbeit im Altenpflegeheim gefreut.

    "Viel Auswahl gibt es nicht, und die Arbeit macht Spaß. Ansonsten wäre die zweite Wahl vielleicht gewesen, in den Wald gehen und Kleinholz aufsammeln, was weiß ich. Da ist die Arbeit hier schon angenehmer."

    Gymnastikstunde im großen Saal im Altenpflegeheim: Da sitzen 20 ältere Damen auf Stühlen im Kreis, auf der einen Seite, die professionelle Betreuerin, ihr gegenüber sitzt Antje Lytschewski. Auch sie macht jede Bewegung vor, hebt die Ellbogen, lässt langsam die Arme kreisen.

    "Ellbogen vor, und dann schwingen wir mal nach hinten. Dann malen wir mal einen Kreis mit den Ellbogen und dann ausschütteln."

    Ihr Lachen steckt an, die alten Damen nicken wohlwollend. Antje Lytschewski macht ihre Sache gut. Die Bürgerarbeit im Altenpflegeheim macht ihr Spaß. Sie kann inzwischen basteln und weiß, wie Senioren am liebsten Geburtstag feiern.

    "Die eine hatte Geburtstag, die wollte einen Sekt haben, dann habe ich ihr den besorgt und bin für sie einkaufen gegangen. Da freut die sich natürlich drei Tage drüber, weil sie zu ihrem Geburtstag das hatte, was sie wollte. Und die Herzlichkeit die von den Bewohnern zurückkommt, das ist das Schönste."

    Sie bekommt weder Hartz IV noch ALG II, sondern erhält am Ende des Monats den Lohn für ihre Bürgerarbeit. Ihr Arbeitgeber bezahlt für die Mitarbeit von Antje Lytschewski keinen Cent. Lothar Neumann leitet das Altenpflegeheim. Sein Etat ist durch die Hilfe und Unterstützung der Bürgerarbeiter nicht belastet.

    "Was wir nicht können ist, sagen, dass wir von den neun Mitarbeiterinnen zwei fest anstellen oder so. Aber wenn wir mit diesen Bürgerarbeiterinnen weiterhin über den Januar 2008 hinaus arbeiten können, weil die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, dann wäre das für uns ein fester Bestandteil zukünftiger Arbeit."

    Er freut sich über die neun zusätzlichen Hilfskräfte im Haus.

    "Was ich wahrnehme und was für mich sehr wichtig ist, dass die Leute, die hier als Bürgerarbeiter eingestiegen sind, hochmotiviert sind, zu 80 Prozent sehr zufrieden sind, dass sie diese Arbeit haben und sehr engagiert arbeiten."

    Geburtstag feiern, basteln, einfach nur da sein und zuhören, dafür haben die hauptamtlichen Pfleger keine Zeit. Was sie tun, dürfen Bürgerarbeiter auf keinen Fall. Lothar Neumann hat den Katalog von der Bundesagentur immer griffbereit. Er weiß genau, was erlaubt ist und was nicht.

    "Was sie genau nicht dürfen, das sind sämtliche pflegerische Leistungen, also Grundpflege, Behandlungspflege. Sie dürfen sicher bei dem Bewohner noch mal gucken, ob er will, dass sein Schrank aufgeräumt wird. Aber so Dinge wie Reinigungsarbeiten, Gardinen waschen, das fällt alles flach."

    Seit einigen Wochen gibt es für das Projekt sogar ein eigenes Qualitätssiegel. Es soll gewährleisten, dass sich Bürgerarbeiter tatsächlich nur gemeinnützig engagieren, vor allem in Vereinen, Kirchen und Seniorenheimen. Erlaubt ist quasi alles, was im öffentlichen Interesse liegt, wofür die Kommune aber kein Geld hat. Verdrängungswettbewerb mit dem so genannten ersten Arbeitsmarkt wäre das Aus jeder Bürgerarbeit. Wirtschaftsminister Reiner Haseloff sieht sich auf der sicheren Seite. Die oberste Regel lautet: Die Kommune kommt als Arbeitgeber nicht in Frage. Außerdem muss die Handwerkskammer jedem einzelnen Bürgerarbeitsplatz zustimmen.

    "Jede Stelle ist mit den Kreishandwerkern abgesegnet worden, und ich glaube, dieses Verfahren, dass die Wirtschaft unmittelbar mitentscheidet, ist ausreichend, um Missbrauch zu vermeiden."

    Das Zentrum für Sozialforschung in Halle an der Saale ist nach einer Ausschreibung mit der Evaluation des Projekts beauftragt worden. Was verändert sich im Leben der Bürgerarbeiter, was verändert sich im kleinstädtischen Leben von Bad Schmiedeberg, wie fällt die Kosten-Nutzen-Analyse aus ? Ergebnisse werden offiziell erst in einigen Wochen präsentiert. Doch der Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt weiß schon genug, und zieht eine erste positive Bilanz. Seine Botschaft lautet: Die Kommunen sparen Geld und Bürgerarbeit tut den Menschen gut.

    "Fast alle wollen arbeiten und integriert werden, unabhängig davon, wie ihre persönlichen Chancen und wie ihre Wettbewerbsfähigkeit aussieht."

    Als Modellprojekt genießt Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg einen Sonderstatus. Mittel der Bundesagentur für Arbeit, der zuständigen Agentur in Wittenberg und Gelder aus dem Europäischen Strukturfonds des Landes Sachsen-Anhalt stehen bis Ende des Jahres bereit. Die zukünftige Finanzierung ist gleichzeitig das größte Hindernis. Denn Kosten für Arbeitslosengeld, für Unterkunft und Heizung sind das eine, Gelder für Weiterbildung und Schulungsmaßnahmen das andere. In der Arbeitsmarktpolitik lassen sich verschiedene Fördertöpfe nicht einfach zusammenlegen oder beliebig kombinieren. Viele Ökonomen haben das bereits kritisiert. Auch Arbeitsmarktexperte Haseloff weiß keine praktikable Lösung. Sein Optimismus aber, ist ungebrochen.

    "Die ersten Monate haben für die Kommunen ein leichtes Plus ergeben, weil durch die Abmeldung der Personen in Arbeit und auch durch die Aufnahme der Tätigkeit Kosten der Unterkunft gespart werden, so dass wir zurzeit schwarze Zahlen schreiben. Das heißt, das Gesamtsystem weist nach einem halben Jahr ein Plus auf."

    Der Wirtschaftsprofessor Joachim Weimann lehrt an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seine Kritik liegt im Wesen der Bürgerarbeit begründet. Die Akteure achten penibel darauf, dass nur unproduktive Arbeitsplätze besetzt werden. Es sind gemeinnützige Tätigkeiten, Arbeiten, mit denen sich auf dem freien Markt kein Gewinn erwirtschaften lässt. Doch die Zahl dieser unproduktiven Tätigkeiten ist endlich, so Wirtschaftsprofessor Joachim Weimann.

    "Das heißt, dass wir, wenn wir Bürgerarbeit als flächendeckendes Instrument einsetzen würden, wie es hier in diesem Modellversuch vorgesehen ist, ganz schnell in einer Situation wären, in der wir massive Verdrängungseffekte auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten. Das ist genau das Gegenteil von de, was wir brauchen. Wir brauchen Instrumente, die es möglich machen, Menschen mit einer einfachen Ausbildung, gering qualifizierte Menschen, Langzeitarbeitslose, Menschen, die einfache Arbeit anbieten, am ersten Arbeitsmarkt zu etablieren und nicht staatlich zu unterstützen."

    Eine Binsenweisheit, dass eben diese Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht existieren. Doch genau das sei eben kein Naturgesetz. Joachim Weimann schüttelt den Kopf.

    "Das ist in der Tat das Problem. Doch es ist ein Problem der Politik, nicht des Arbeitsmarktes. Es liegen eine ganze Reihe von Konzepten vor, die die Wissenschaft vorgelegt hat, dass man Menschen, die einfache Arbeit anbieten, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance geben kann. Die Politik weigert sich bisher konstant, diese Versuche als Modellprojekt umzusetzen."

    Für ihn, den Wirtschaftswissenschaftler, ist ein zu 100 Prozent aus Steuermitteln finanzierter Bürgerarbeiter keine Alternative.

    "Auf jeden Fall erwirtschaftet er selbst keinerlei Anteil an seinem Einkommen. Er wird zu 100 Prozent von dem Einkommen finanziert, das andere für ihn erwirtschaften. Und das ist genau der Hake:. Wir brauchen wieder einen ersten Arbeitsmarkt, der dafür sorgt, dass Leute, die eine geringe Qualifikation haben wenigstens einen Teil ihres Lebensunterhaltes auch selbst erwirtschaften können."
    Ob kritisiert oder gepriesen, seit dem Modellversuch in Sachsen-Anhalt ist Bürgerarbeit in aller Munde. Der Wirtschaftsminister hat schon den nächsten Ort für eine Hartz-IV-freie Zone ausgewählt. Es ist die Rosenstadt Sangerhausen im Harz, berühmt für einen europaweit einzigartigen Rosengarten. Doch die Arbeitslosenquote liegt mit 22 Prozent weit über dem Landesdurchschnitt. Ein ideales Versuchsfeld also. Ob es jemals bundesweit Bürgerarbeiter geben wird, bleibt ungewiss. Der CDU-Politiker Reiner Haseloff ist auf alles gefasst.

    "Wir haben eine neue qualitative Ebene erreicht und auf allen Seiten Interesse geweckt, und ich glaube, dass es hier auf jeden Fall Erkenntnisse geben wird, die Arbeitsmarktpolitik in Zukunft anders gestalten lässt als vor dem Thema Bürgerarbeit."