Dienstag, 16. April 2024

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Harun Farocki im Haus der Kunst
"Ein Philosoph der modernen Bilder"

Harun Farocki gilt als großer Handwerker des internationalen Filmessays. Seine Arbeit war maßgeblich durch die 68er-Bewegung geprägt. Deswegen zeigen seine Bilder oft die Konflikt- und Spannungslinien der kapitalistischen Gesellschaft. Das Haus der Kunst in München widmet ihm nun eine ganze Ausstellung.

Von Julian Ignatowitsch | 10.03.2017
    Der deutsche Filmkünstler Harun Farocki in seiner Ausstellung "Spiel und Spielregeln" im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst in Oldenburg, April 2013
    Archivbild von 2013: Harun Farocki in seiner Ausstellung "Spiel und Spielregeln" im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst in Oldenburg. (picture alliance / dpa)
    "Der Tag beginnt mit der Produktion von Bildern". Dieser Satz könnte - ja, müsste - zusammenfassend über dem gesamten Werk von Harun Farocki stehen. Er fällt irgendwann scheinbar beiläufig in der Mitte seines Dokumentarfilms "Counter-Musik" (Gegen-Musik), der titelgebend für die Münchner Ausstellung ist. Natürlich wird der Satz nicht gesprochen, das Sprechen überließ Farocki in seinen Filmen ja ohnehin Anderen, er wird gezeigt, ganz nüchtern auf der Leinwand, weiße Schrift auf schwarzem Untergrund: "Der Tag beginnt mit der Produktion von Bildern".
    Es ächzt, quietscht und knattert im Werk von Harun Farocki, diesem großen Handwerker des internationalen Filmessays. Er hämmert Bilder aus dem Alltag heraus, schraubt sie aneinander und trifft dabei den Nagel oft genau auf den Kopf.
    Okwui Enwezor, Direktor des Hauses der Kunst:
    "Farockis Filme hinterfragen Dinge, sie unterhalten nicht. Das Kino ist bei ihm ein Werkzeug zur intellektuellen Betätigung. Farocki ist ein Philosoph der modernen Bilder."
    Und diese Bilder zeigen allzu oft die Konflikt- und Spannungslinien der kapitalistischen Gesellschaft.
    "Wo kriegst ein Stück Brot her? Was ziehst du an, wenn es kalt ist? Mein Sohn hungert und schreit. Ich kann das nicht mit ansehen."
    Ausschnitt aus "Arbeiter verlassen die Fabrik"
    "Ein Versuch das System, die Architektur des Kapitals zu verstehen"
    Das Fabriktor wird zum Gefängnis, hinter dem die Arbeiter frühmorgens eingeschlossen werden und dem sie abends schnellst möglich entfliehen. Nur: zu welchem Lohn? Die Ausbeutung des Arbeiters, seine Entfremdung von der Arbeit, die Nicht-Teilhabe am Kapital, die Klassengesellschaft - sicher sind das die offensichtlichsten Aspekte in Farockis Werk, das marxistisch geschult und durch die 68er-Bewegung maßgeblich geprägt ist. Eine Form von ästhetischem Widerstand, im Austausch mit Vordenkern wie Berthold Brecht oder Georg Büchner und Zeitgenossen wie Alexander Kluge oder Jean-Luc Godard.
    Okwui Enwezor: "Seine Arbeit ist aber nicht nur Kritik des Kapitalismus, sondern ein Versuch das System, die Architektur des Kapitals zu verstehen. Farocki hat dabei auch die Automatisierung, Flexibilisierung und Globalisierung der Arbeitswelt und der Gesellschaft als Ganzes vorausgesehen."
    Sein biografischer Hintergrund als Kosmopolit dürfte ihm dabei geholfen haben: Geboren wurde der Filmemacher im Sudetenland als Sohn eines indischen Arztes und einer Deutschen, aufgewachsen ist er in Indien, Indonesien und dann Hamburg. Er lernte im legendären ersten Jahrgang der Filmakademie Berlin, Mitschüler waren unter anderem der spätere RAF-Terrorist Holger Meins und Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen. Farocki wählte einen kritischen, aber friedlichen Weg zwischen diesen Extremen.
    Die Ausstellung spart diese persönlichen Details fast komplett aus, stellt die Präsentation der Filme in den Mittelpunkt. Das setzt für den Besucher einiges voraus, auch viel Geduld, lässt ihn manchmal ein wenig im Ungewissen stehen.
    Ein globales, vielschichtiges, absurdes Arbeitsdorf
    Überhaupt ist die Ausstellung eines Filmemachers im Museum aus Sicht der Publikumsfreundlichkeit schon etwas problematisch. Wer alle acht ausgestellten Filme, zwischen zwölf und 50 Minuten, nacheinander in Gänze sehen wollte, der müsste dafür einen ganzen Tag im Haus der Kunst einplanen und jedes Mal aufs Neue nach dem Anfang des gezeigten Werkes fahnden. Wieso die meisten Museen bei Ausstellungsfilmen immer noch keine Start- und Stopp-Zeiten angeben, bleibt ein Rätsel.
    So taucht man von einem Eindruck in den nächsten, blickt von einem Bild zum anderen. Das ist inspirierend, aktuell, manchmal schockierend und manchmal eher zusammenhangslos. Teilweise ist es aber auch genau so gewollt, wie zum Beispiel bei der 15-kanaligen Installation "Eine Einstellung zur Arbeit" im letzten der fünf Räume. Wir sehen, wie Kaufverträge gelocht werden, wie Plastikflaschen durch die Luft fliegen, ein Zopf wird geflochten, ein Draht zu Straßenkunst verbogen, dort kommentiert einer ein Pferderennen und auf dem letzten Bildschirm wird das Tier geschlachtet – 90 wechselnde Videos à zwei Minuten in je einer Einstellung. Ein globales, vielschichtiges, absurdes Arbeitsdorf.
    Wie gesagt: "Der Tag beginnt mit der Produktion von Bildern".