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Hat uns der Zweite Weltkrieg traumatisiert?

Die Gewalterfahrungen des Zweiten Weltkrieges haben Spuren hinterlassen. Welche Rolle spielen Ängste im politischen, sozialen und kulturellen Leben der Deutschen? Mit dieser ungewöhnlichen Fragestellung liest der Historiker Frank Biess die deutsche Nachkriegsgeschichte gegen den Strich.

Von Peter Leusch | 13.12.2007
    Was ist Geschichte? Ist Geschichte nur die Kette der großen politischen Ereignisse - der Schlachten und Staatsgründungen. So dachte die klassische Geschichtsschreibung seit Thukydides und richtete ihren Blick auf Feldherrn, Könige und Staatslenker, auf die - sprichwörtlichen - Männer, die Geschichte machen. Es folgten Historiker, die sich auf Ideen und Ideologien konzentrierten, die ein Zeitalter prägen. Wieder andere Historiker rückten ökonomische und soziale Prozesse in den Vordergrund. So traten zur politischen und zur Geistes- die Wirtschafts- und die Sozialgeschichte hinzu.

    In der letzten beiden Jahrzehnten machte in Deutschland noch eine andere Art der Geschichtsbetrachtung von sich reden, die in Frankreich schon eine längere Tradition hat - die so genannte Mentalitätsgeschichte. Historiker untersuchen die Einstellungen und Gefühlslagen der Menschen, das sind Kräfte, die das Verhalten mitsteuern und sich selbst meist nur langfristig verändern.

    An diese Richtung knüpft Frank Biess an, wenn er die Geschichte Deutschlands seit 1945 gegen den Strich liest - unter der Fragestellung, was für eine Rolle bestimmte Ängste gespielt haben.

    " Mein Projekt geht erst einmal aus von dieser doch spezifischen deutschen Erfahrung im zweiten Weltkrieg: massive Gewalterfahrung sowohl aktiv als auch passiv, und eine Frage ist eben wie lange die nachwirken, oder wie zunehmend in vermittelter medialisierter Form auf diese Erfahrungen zurückgegriffen wird. ... Was ich mir nicht vorgenommen habe, ist darzulegen, es gäbe so eine psychopathologische Konstante in der deutschen Geschichte, wie das auch aus dem Ausland immer wieder behauptet wird, dass die Deutschen eine ganz eigene Form von Angst hätten, - über die man sich dann auch gern lustig macht, - was ich mir vorgenommen habe, ist vor allem das Reden über die Angst in der Nachkriegszeit zu rekonstruieren und auch in unterschiedlichen historischen Bezügen zu verorten. "

    Frank Biess sucht nicht nach etwas Irrationalem, nach blinden Gefühlen, er fragt nach Ängsten, die mit Erinnerungen und Erwartungen, mit Vorstellungen und Bildern verbunden sind. Es geht um Ängste, die sich artikulieren.

    In der größten Bedrohung und Not wurde freilich nicht über Angst geredet. An der Front des Zweiten Weltkrieges, in den Bombennächten und später in den zerstörten Städten ging es vor allem ums Überleben, um Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Gefühle von Ohnmacht und Schutzlosigkeit ließ man nicht hochkommen, Schuldgefühle und Ängste vor einer Vergeltung der Alliierten wurden verdrängt. Ohnehin forderte der Wiederaufbau des Landes alle Energie.

    Aber wie sah es unter der Oberfläche aus? Frank Biess hat sich bereits in seiner Doktorarbeit mit der Situation und Gefühlslage der Kriegsheimkehrer auseinandergesetzt, eine Studie, die gerade in den USA erschienen ist. Nun will er die gesamte Geschichte vom Zweiten Weltkrieg bis zum Irakkrieg untersuchen - anhand von Fallstudien. Eine hat er bereits abgeschlossen.

    " Das geht über diese Zivilschutzkampagnen, in den 50er Jahren, der Versuch, auch die zivile Gesellschaft zu mobilisieren für die Vorbereitung auf einen Krieg, u. U. einen Atomkrieg. Da zeigt sich, dass die von der Regierung gesteuerten Kampagnen, die Deutschen mit dem Gedanken des Zivilschutzes vertraut zu machen, auf sehr viel Widerstand gestoßen sind.

    Der sich aber nicht über explizite Angstbekenntnisse geäußert hat, weil dieses emotionale Regime in den 50ern eines war, in dem man keine Angst haben durfte, Angst wurde gesehen als neurotisch, als etwas, was insbesondere deutsche Männer nicht verspüren sollen und womit man sich eben öffentlich nicht outet. "

    Angst wurde zwar nicht gezeigt. Aber die Deutschen glaubten nicht, dass ihnen der propagierte Zivilschutz in einem womöglich noch schlimmeren Krieg helfen könnte. Tief saß das Misstrauen gegenüber den Regierenden. Zu gut hatte man noch Hitlers Versprechen ihm Ohr, dass es für jeden Volksgenossen einen Bunker gäbe. Während in den USA die Zivilschutzkampagnen von der Bevölkerung mit naivem Optimismus praktiziert wurden - Gymnastikübungen und Heimwerkelei gegen den Atomtod , war man in Deutschland zutiefst skeptisch. Man wollte wirksamen Schutz, wirkliche Sicherheit. Das große Bedürfnis nach Sicherheit verriet die darunter liegende Angst. Und dieses Verlangen nach Sicherheit prägte die fünfziger Jahre, es drang buchstäblich aus allen Poren des politischen und gesellschaftlichen Lebens.

    Adenauers Politik entsprach in jeder Hinsicht diesem Verlangen, so Bernd Weisbrod, der in Göttingen Geschichte lehrt und das Forschungsprojekt von Frank Biess unterstützt.

    " Adenauers Regime ist eine Sicherheitsregime und damit macht er seine Punkte, keine Experimente, und da gibt es ein Management der Gefühllage der Nation, die natürlich oft nur instinktiv, also beim dem Alten aus Köln nur sehr instinktiv eingeschätzt wurde, aber die eine große Bedeutung hatte, und die wir noch nicht wirklich untersuchen können bis her. Und das ist jetzt ein Versuch. "

    Die sechziger Jahre, erklärt Frank Biess, bereiten ihm bei seiner Recherche der Angst besondere Probleme. Schien diese Zeit doch von Aufbruch und Optimismus bestimmt. Die 68er begehrten gegen das Establishment auf mit ihren Utopien eines freien Lebens und einer neuen Welt. In dieser Zeit gerieten aber auch die einfachen Orientierungen ins Wanken. Spätestens im Vietnamkrieg verlor die Schutzmacht USA, bisher Sicherheitsanker der jungen Bundesrepublik, den Nimbus der Unschuld. Nicht nur auf Seiten der politischen Linken gab es einen neuen pazifistischen Schub, den die Generation der 68er auch an ihre Kinder weitergab.

    Die Auseinandersetzung mit den Kriegen der Zeit ging einher mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Die 68er nahmen ihre Väter ins Kreuzverhör. Was hast Du gewusst, was hast Du getan, Warum konntest Du Dich nicht weigern? - "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" schrieb Bertolt Brecht. Befürchtungen wurden laut, dass die Vergangenheit die Deutschen einholt.
    Und bald waren es nicht mehr allein die anderen, die Generation der Väter, der man misstraute. Der Verdacht richtete sich nun auch gegen die eigene Psyche, argwöhnte dort einen inneren Nazi: - Sind wir Deutsche unverbesserliche Antisemiten, steckt vielleicht in jedem ein autoritärer Charakter, ein kleiner Eichmann? Biess:

    -" Was in den 60er aufkommt, stärker noch in den 70ern , ist die Wahrnehmung, dass Gefahr auch aus dem Innern droht. Dass es eine verdeckte faschistische Qualität der bundesrepublikanischen Gesellschaft gibt, die möglicherweise herauszubrechen droht - in den 50er Jahren, da glaubten die Deutschen, sie seien Opfer, in den 60ern da wussten sie genau wer die Täter sind, gerade bei den 68ern, die Industriellen, die faschistischen Hochschullehrer, Axel Springer, während in den 70ern das Bild deutlich unklarer geworden, - wenn sie nur an diese Fernsehserie Holocaust denken, die für eine breite Öffentlichkeit den Alltag im Nationalsozialismus thematisiert hat, und sich da auch direkt die Frage stellte, na wie hätte man sich denn verhalten wenn man in der Situation gewesen wäre, und dadurch die Angst produziert hat, ob man sich denn selber richtig verhalten hätte oder eben nicht. "

    Und es blieb nicht bei verbalen Auseinandersetzungen. Aus der Protestbewegung entfernte sich eine radikale Gruppe, die dem Staat den bewaffneten Kampf ansagte und in ihrem Terror auch vor Mord nicht zurückschreckte. Die Rote Armeefraktion unterstellte dem Rechtsstaat, dass er einen faschistischen Kern enthielte, ja sie wollte diesen sogar mit Gewalt zum Vorschein zwingen. Umgekehrt hatte der Staat Probleme, in seinem Kampf gegen den Terrorismus die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Die Angst vor dem Terrorismus war auch eine Vertrauenskrise der noch jungen Demokratie. Bernd Weisbrod:

    " ES ging in den 60ern und 70ern auch um die Frage, wie weit kann ein Rechtsstaat gehen in der Bekämpfung des Terrorismus, z.B. ohne gleichzeitig seine eigenen Bürger der Freiheiten zu berauben, das ist ein aktuelles Thema. Insofern halte ich die 70er Jahre für die entscheidende Inkubationszeit wo diese Grenzen abgesteckt werden, und wo die Frage, kann man dem eigenen Staat vertrauen, und umgekehrt, die Frage der Regierung: können wir der Bevölkerung vertrauen? sozusagen auf ein Maß zurückkommt, das die demokratische Sicherheit in der BRD erst garantiert - das ist die Bewährungsprobe, und die setzt ... ein Mindestvertrauen in die Rechtsförmigkeit der Verfahren voraus, in die Staatstreue der Bürger und in das Bürgerengagement, was dann in den 70er Jahren gleichzeitig entsteht, und insofern denke ich dass man mit diesem Projekt auch gut an das Thema herankommt, dass uns noch einige Zeit beschäftigen wird. "

    In den 80er Jahren begannen sich die Bilder der Angst zu vervielfachen und wurden beinahe übermächtig: Krieg und Terror, atomares Inferno und ökologische Katastrophe. Es waren Bilder vom Weltuntergang - Angst vor der Apokalypse. Und anders als in den 50ern bekannten sich die Menschen öffentlich zu ihrer Angst. Die Friedensbewegung ging auf die Straße, es kam zu den größten Demonstrationen der Bundesrepublik.

    " Ich bin Jahrgang 1966 und kann mich daran erinnern, dass meine Politisierung mit dem Natodoppelbeschluss stattgefunden hatte, und dass ich als 17järhiger alle Details kannte über die Anzahl und die Ausstattung sowohl der amerikanischen als auch der sowjetischen Mittelstrecken, und mich selber auch daran erinnern kann, dass ich als 17järhiger mit so einem apokalyptischen Bewusstsein gelebt habe, na ja, in drei Tagen bricht der Atomkrieg aus, und dann ist hier alles vorbei, und da gab es dann auch Filme, die das thematisiert haben, ich erinnere z.B. an "The day after" - ein Teil des Projektes ist also auch meine eigene Sichtweise der Zeit zu verstehen, warum war das so, dass man als Teenager mit diesen Gefühlen gelebt hat, ....das hat auch zu tun mit dem Angstregime der 80er Jahre in der Angst schon ein zentraler Faktor dieser Protestbewegung wurde. "

    Ängste, überhaupt Gefühle durften, ja sollten gezeigt werden, nachdem die Siebziger Jahre die Subjektivität entdeckt und kultiviert hatten: Frauenbewegung, Männergruppen, Selbsterfahrung. Ängste werden nicht nur geäußert, sie werden mitunter auch inszeniert - in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Medien, in Film, Fernsehen und in der Musik.

    Frank Biess erforscht also nicht allein die Ängste in der bundesrepublikanischen Geschichte, er untersucht zugleich wie die Gesellschaft politisch, kulturell und sozial mit ihnen umgeht:

    " Man muss gucken, wie das weitervermittelt wird, auch in den Medien inszeniert wird, und wie das als Legitimation für ganz andere Zwecke benutzt wird. .. wenn man an den Irak-Krieg denkt, an Schröders Argument, dass es die Angst der Deutschen ist nach dem 2. Weltkrieg, die es eben unmöglich macht an dem Krieg teilzunehmen, da werden indirekt erinnerungspolitische Statements abgegeben, die sehr problematisch sind, ... es sind diese weniger offensichtlichen Funktionen des Redens über Angst, die mich in der jüngeren Vergangenheit eben interessieren. "

    Frank Biess" Hypothese lautet, dass die Deutschen nicht durch Krieg und Nationalsozialismus traumatisiert seien, wohl aber dass die Ängste nachwirken und in Schüben ausgetragen werden. Jede Zeit entwickelt dabei ihr eigenes emotionales Regime, also ihren spezifischen Umgang mit Ängsten. Dabei spielt auch eine große Rolle, welcher Generation man angehört. Denn eine Generation, so definiert die Historikerin Ulrike Jureit, sei eine "gefühlte Gemeinschaft", die eben nicht nur bestimmte Erfahrungen, Vorstellungen und Moden, sondern auch Emotionen teilt.

    Gespannt darf man sein, welche Ergebnisse Frank Biess und andere über die Vergangenheit im Osten zutage fördern. Welche Ängste hat die jüngere Generation nach dem Ende der DDR heute, angesichts von Arbeitslosigkeit, Abwanderung und prekären Lebensbedingungen. Bernd Weisbrod:

    " Das was wir im Westen gar nicht sehen - die Frage - was ist im Osten passiert seit der Wiedervereinigung. In Jena gibt es einen großen Sonderforschungsbereich über diese Transformationsprozesse. Und die suchen z.B. nach einem Generationsgefühl der ostdeutschen Jugend nach dem Mauerfall. Und sie können es nicht finden, es gibt keine generationelle Prägung für dieses Gefühl, dass man einer Sache beraubt worden ist. Die DDR war nicht das, was diese jungen Leute wiederhaben wollten, - jetzt ist eine Tagung über "generation precaire" im Osten, warum wollen nur die Franzosen das Gefühl haben, im Osten wäre das doch viel wahrscheinlicher - aber es gibt sie nicht so - warum? Das ist eine gute Frage und da würde ich gern mitmachen. "