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Hate-Speech
Theologisches Gegengift fürs Netz

Auch Kirchenvertreter bekommen Hassmails. Die evangelische Akademie Berlin hat Zuschriften an zwei Bischöfe ausgewertet und darin die immer gleichen Bedrohungsszenarien identifiziert: Islam, Flüchtlinge, Genderwahn. Das Projekt "NetzTeufel" soll zum theologisch fundierten Widerspruch ermuntern.

Von Veronika Wawatschek | 05.07.2018
    Ein junger Mann sitzt am 03.03.2017 in Frankfurt am Main (Hessen) in einer S-Bahn und benutzt dabei sein Smartphone.
    Im Internet verbreiten sich Verschwörungstheorien und Hass (dpa / picture-alliance / Hauke-Christian Dittrich)
    Am Anfang stehen fünf Behauptungen:
    Der Islam bedroht uns
    Homosexualität bedroht Gottes Ordnung
    Flüchtlinge unterwandern das Sozialsystem
    Der Genderwahnsinn ist reine Ideologie
    Wir leben in einer Meinungsdiktatur
    Fünf Sätze, die allesamt ein Gefühl vermitteln: Wir werden bedroht! Auf diesen gemeinsamen Nenner lassen sich die Behauptungen bringen, die Timo Versemann mit seinen Kollegen auf Internetseiten ausfindig gemacht hat. Seit Oktober 2017 hat der evangelische Theologe für das Projekt "NetzTeufel" von der Akademie Berlin Internetseiten und Kommentarspalten analysiert. Ausgangspunkt waren Hassmails an zwei evangelische Bischöfe. Daraus hat er mit seinen Kollegen Seminare für Mitarbeiter in der kirchlichen Pressearbeit und für Jugendliche entwickelt. Er erzählt:
    "In unserem zweiten Seminar im September wollen wir darauf aufbauen und ausgehend von unserer Analyse vier toxische Narrative nehmen und gemeinsam theologisieren: Was gibt es denn an theologischen Punkten, die dem widerstehen können."
    AfD-Funktionär macht einzelne Kollegen verantwortlich
    Timo Versemann spricht von "toxischen Narrativen" – toxisch, weil diese Lesarten die Diskussionskultur vergiften würden. Gefunden hat er diese Narrative unter anderem auf der Facebook-Seite der "Christen in der AfD". Die reagieren prompt. Joachim Kuhs, Sprecher der Bundesvereinigung:
    "Wir als Christen in der AfD haben auf unserer Webseite noch nie etwas veröffentlicht, von uns aus, irgendwelche Mitteilungen, wo ich mich schämen müsste oder wo ich sagen würde, das wäre in irgendeiner Form toxisch oder menschenfeindlich oder in irgendeiner Form eine Hate-Speech."
    Auf ihrer Facebook-Seite hat die Bundesvereinigung "Christen in der AfD" am 10. Juni ein Video geteilt, auf der ein Muslim vor dem Ulmer Münster betet mit dem Kommentar:
    "Ein Moslem betet demonstrativ am Ulmer Münster. Bewusste Provokation?"
    Joachim Kuhs von der Bundesvereinigung betont, das sei von einzelnen Kollegen gemacht worden, Stil der Bundesvereinigung sei das nicht. Er habe die Kollegen darauf angesprochen, Hasssprache könne er in den Posts aber nicht erkennen.
    "Warum gibt es keine Reaktionen von Kirche gegen den Hass?"
    Timo Versemann vom Projekt "NetzTeufel" hält dagegen: Hate-Speech – also mitunter rassistische oder homofeindliche Sprache - werde nicht immer offensichtlich formuliert. Häufig geschehe dies indirekt und unter dem Deckmantel scheinbar rationaler Argumentation. Offline, also in der direkten Gemeindearbeit, habe sich die evangelische Kirche immer viel mit Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beschäftigt, wie Timo Versemann erklärt.
    "Und irgendwann kam das Thema auf, warum gibt es eigentlich keine Reaktionen von Kirche gegen den Hass, gegen die Menschenfeindlichkeit, die wir online beobachten?"
    Denn verbreitet würden diese Narrative nicht nur von Parteien, sondern auch auf sich christlich bezeichnenden Onlineportalen wie kath.net oder bei der Agentur idea. Roland Noe, Chefredakteur von Kath.net antwortet auf die Bitte um eine Stellungnahme zum Projekt "NetzTeufel" schriftlich:
    "Diesen Unsinn werden wir nicht weiter kommentieren."
    Das Projekt "NetzTeufel" möchte weit mehr als einzelne Seiten untersuchen – die Analyse sei nur ein Teil des längerfristig angelegten Projekts, wie Timo Versemann erläutert. In einem weiteren Schritt solle die christliche Öffentlichkeit sensibilisiert werden. Hopespeech statt Hatespeech – also Hoffnung statt Hass, bringt Timo Versemann das Ziel des Projekts auf den Punkt.
    "Nächstenliebe wird örtlich interpretiert"
    Liane Bednarz hält es für einen sehr wichtigen Schritt. Die Publizistin hat kürzlich in ihrem Buch "Die Angstprediger" beschrieben, wie – so schreibt sie – "rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern". Sie kennt die Szene in christlich-rechten Kreisen sehr genau - wie dort diskutiert werde, sei alles andere als christlich.
    Die Juristin und Publizistin Liane Bednarz 
    Die Juristin und Publizistin Liane Bednarz (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Liane Bednarz sagt: "Beispielsweise in der Flüchtlingsfrage, das geht ja sogar so weit, dass also wirklich massiv Stimmung gemacht wird gegen muslimische Flüchtlinge und dann auch zum Beispiel theologisch der Begriff der Nächstenliebe so umgedeutet wird, dass der Nächste örtlich interpretiert wird, so dass halt syrische Flüchtlinge von vornherein nicht darunter fallen, sondern als Fernste etikettiert werden."
    Das Projekt "NetzTeufel" hält die Juristin Liane Bednarz deshalb für wegweisend. Mit den toxischen Narrativen habe man genau die Behauptungen identifiziert, die den Diskurs auf Seiten vergiften würden, die sich als christlich bezeichnen. Andere Landeskirchen oder Bistümer sollten sich ein Beispiel an dem Projekt nehmen.
    "Weil natürlich die Aufgabe von Kirche auch darin besteht, nicht zuzuschauen, wenn sich gerade Christen toxische Narrative zu eigen machen und diese aktiv verbreiten. Da ist es ja die Aufgabe von Christen, auch gegenzuhalten."
    Insgesamt hat sie den Eindruck, Kirchen und Geistliche seien überfordert mit der Stimmungsmache – offline wie online. Das Projekt "NetzTeufel" sei deshalb ein guter Anfang, dem Hass im Netz etwas entgegenzusetzen.