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Hauptmanns "Die Ratten" in Düsseldorf
Underdogs für Reiche?

Gerhart Hauptmanns Schauspiel "Die Ratten" erzählt von zwei sehr unterschiedlichen Bewohnern eines Mietshauses: von der Kleinstbürgerin Jette John und vom Theaterdirektor Hassenreuter. In Volker Löschs Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus gerät das Stück zur ironischen Selbstauslöschung des Theaters.

Von Dorothea Marcus | 30.11.2014
    Der Theaterregisseur Volker Lösch
    Der Theaterregisseur Volker Lösch (dpa / picture alliance / Volker Hartmann)
    Im Theater geht es nicht um platte Wirklichkeit, das sagte schon Goethe. Gerhart Hauptmanns Theaterdirektor Harro Hassenreuther inszeniert bei Lösch daher salbungsvolles Deklamationstheater. Unter goldenen Masken besingen vier Schauspieler eine üppige Fruchtbarkeitsgöttin im Pappmaché-Anzug. Sein Gegenspieler, Regisseur Erich Spitta, will dagegen Realität und pure Gegenwart auf der Bühne. Eigentlich hat Gerhart Hauptmann seinen Spitta in den "Ratten" als eigenes Alter Ego angelegt, einer, der sich radikal von den Theatertraditionen der Zeit abkehrte zugunsten des sozialkritischen Naturalismus. Bei Volker Lösch im Jahr 2014 ist Spitta dagegen eher zu Volker Lösch geworden.
    "Mein Name ist Erich Spitta. Ich bin Regisseur. Haben Sie Interesse an der Darstellenden Kunst? Ich suche Mütter, die aus ihrem Leben berichten. Ich werde als Mensch ohne vorgefertigte Ansichten in ihr Leben schauen und es szenisch wiedergeben. Mich interessiert Ihre unverstellte Authentizität. Schauspielerische Vorkenntnisse sind ausdrücklich nicht erwünscht!"
    Lösch macht sich über alles lustig
    Es scheint, als hätte sich Volker Lösch an diesem Abend vor allem am eigenen Theaterverständnis abgearbeitet. Dokumentartheater tritt gegen Schauspielertheater an. Lösch lässt sein Ensemble durch Spiel- und Inszenierungsstile surfen. Mal mehr Vorabendserien-Trash, mal Einar Schleef, dann wieder Brecht, dann auch mal wieder mitleidheischendes Sozialdrama in Boulevardmanier mit Einbauküche. Das Problem dabei ist: Über alles macht er sich lustig. Ob über den Kinderwunsch der Intendantengattin oder kriecherische, fitness-gestählte, durchoptimierte Schauspielerexistenzen auf der Suche nach dem nächsten Job - nichts wird so erzählt, dass man es noch als Problem erkennen könnte.
    Auch die eigentliche Handlung der "Ratten", jenes Drama, in dem der Kinderwunsch Jette John zum asozialen Monster werden lässt, wird so zum reinen Material. Manche Szene wird gleich in mehreren Varianten gezeigt – aber alle so betont selbstironisch unterlaufen, dass letztlich gar nichts mehr Bestand hat. Und so bleiben die wahren Theatermomente dann doch den realen 16 Düsseldorfer alleinerziehenden Müttern vorbehalten, wenn sie in Alltagskleidung an der Rampe stehen:
    "Wir verlangen, dass Arbeitsplätze für Mütter gesichert sind. Dass man nicht gezwungen wird, als Putzfrau zu arbeiten. Dass Kinderbetreuung kein Geld kostet. Dass Ganztagsschulen für alle zur Verfügung stehen. Dass Väter verpflichtet werden, in Elternzeit zu gehen. Dass Arbeitgeber verpflichtet werden, für kinderfreundliche Erziehung zu sorgen. Dass in Düsseldorf Geld nicht in Prestigeobjekte, sondern in Soziales gesteckt wird! Dass wir respektiert werden. Dass man angstfrei leben kann."
    Schade nur, dass auch dieser einzig authentische Moment Züge einer klischeehaften Litanei trägt. Warum kann man nicht mal hören, dass es auch schön sein kann, Kinder zu haben, und dass es durchaus kraftvolle Netzwerke gibt? Der Abend ist also eine Art selbstironische Selbstauslöschung des Theaters – und das mit den grandiosesten Mitteln und äußerst unterhaltsam. Donnernd versinken die Mütter als versechzehnfachte Frau John im Theatergraben, als diese Selbstmord begeht. Mahnend und schweigend stehen ihre echten Düsseldorfer Kinder an der Rampe.
    Zum Schluss wird Hassenreuther in Goethe-Perücke dann Intendant – natürlich am Düsseldorfer Schauspielhaus. Er will es in Burgschauspiel umbenennen und dem Publikum nur noch das Beste bieten. Heino singt Heine, Helene Fischer moderiert die Silvestergala, die Gustav-Gründgens-Faust-Inszenierung soll originalgetreu wieder erstehen. Das ist ein schöner Reflex auf die lange, skandalgeschüttelte Düsseldorfer Intendantensuche – und die ständige kulturpolitische Forderung nach Zuschauersteigerung um jeden Preis. Und dann gibt es noch eine Volte: auf der ganz leeren Riesenbühne schlägt Erich Spitta ein paar Purzelbäume, während ein Kind den Tod des Hassenreuther-Theaters fordert: eine doppelt ironische Rückkehr zum armen Theater, auf die das Düsseldorfer Goldküstenpublikum jedenfalls restlos begeistert reagiert.