Archiv


Hauptrolle für Max Reinhardt

In London hatte das neueste Stück des Dramatikers Michael Frayn seine Weltpremiere: Erneut befasst sich Frayn dabei mit Persönlichkeiten aus dem deutschen Kulturkreis: Nach Heisenberg und Willy Brandt ist Max Reinhardt an der Reihe, der große Regisseur, der in seinem Leben 450 Theaterstücke produzierte und bei 170 selbst Regie führte.

Von Matthias Thibaut | 11.06.2008
    Max Reinhardt übt mit einem Schauspieler den Beginn von Hofmannstahls Jedermann, dem lebensdefinierenden Stück, dessen Inszenierung den großen Regisseur um Jahrzehnte überlebte: Es geschieht auf der Bühne des Londoner Nationaltheaters, in Knüppelreimen, die Michael Frayn locker ins Englische übersetzt hat.

    Max Reinhardts Everyman in Michael Frayns Afterlife - Theater im Theater. Das von Shakespeare bis Brecht geliebte Motiv kommt immer dann vor, wenn ein Autor uns vor Augen führen will, was das Theater wirklich ist, eine Weltmetapher, und was Leben wirklich ist, die große Bühne, auf der wir selbst die Akteure sind.
    Man muss es Frayn lassen: Lange nicht wurde das Motiv so elegant und konsequent durchgezogen wie in diesem neuen Stück - dem dritten, in dem sich Frayn mit Figuren aus dem Umkreis der deutschen Kultur und Geschichte befasst: Reinhardt wird in London von Roger Allam gespielt, der zuletzt in Frayns Democracy als Willy Brandt auf der Bühne stand.
    Wieder nimmt sich Frayn alle erdenkliche Freiheit mit den historischen Tatsachen und Figuren - obwohl Afterlife, von der einen Seite besehen, wie eine getreuliche Bühnenreportage über das Leben Reinhardts aussieht: Man lernt, wie sich der arme jüdische Wiener Korsettmachersohns Max Goldmann in den großen Regisseur, verwandelt, wie er sich dem Bühnenleben in die Arme wirft, als Schauspieler und Regisseur das wirklichem chaotische Leben durch die schönere Ordnung des Theater ersetzt und am Schluss von den Nazis vertrieben in einem New Yorker Hotel, verarmt, am Schlage stirbt.
    In den Inflationsjahren kaufte sich Reinhardt das großartige Barockschloss Leopoldskron bei Salzburg. Barock, findet er, ist ja selbst schon die Verlängerung des Theaters ins wirkliche Leben und was wäre besser geeignete, die Grenze zwischen Imagination und Wirklichkeit, Theater und Leben, Kunst und Wirklichkeit niederzureißen, als so ein Schloss.
    Gott erschuf den Menschen in seinem Bilde, sagt Reinhardt zum Salzburger Fürsterzbischof Rieder, aber der Mensch erschuf sich eine zweite Welt, die Welt der Kunst. Leopoldskron ist seine Lebensbühne, hier kann er sogar beim lieben Gott Regie führen und jede Geste, jeden Song, jedes Bankett nach seinem Gusto einstudieren. Hoch die Gläser, trinkt tief und lang, Hebt die Stimmen, singt süß und laut.

    Schon sind wir wieder ins Reich der Schüttelreime gewechselt, also aus Frayns Stück über Reinhardt in Reinhardts Inszenierung des "Jedermanns" : Die Party in Reinhardts Schloss ist das Bankett im Hause Jedermann, in dessen Verlauf der Tod erscheint und nach ihm ruft:
    Reinhardt ist Jedermann.

    Meisterlich der Schluss des ersten Aktes: Auf der Bühne sitzen Reinhardt und sein Clan, seine Frau Helene Thimig, die Assistentin Gusti Adler, der Fürsterzbischof Ignatius Rieder, Reinhardts Geldverwalter Kommer vor dem Salzburger Dom, und sehen sich den "Jedermann" an: Zugleich sind sie Figuren in jenem anderen Mysterienspiel, Afterlife von Michael Frayn, Schauspieler, die sich dann dem Publikum zuwenden und ganz brechtisch sagen: 20 Minuten Pause.
    Doch was lernen wir jenseits der eleganten Konstruktion aus diesem Mysterienspiel, wenn, etwas vorhersehbar, im zweiten Akt unter der Kutte des Sensenmannes der Nazi ausschlüpft, eine Figur, bei der man entfernt an jenen Schauspieler Werner Krauss denken könnte, der Reinhardt tatsächlich im Auftrag Hitlers die Arisierung antrug?
    Anders als Frayns Version von Willy Brandt zwischen politischer Vision und Realität und anders als der Physiker Werner Heisenberg in Copenhagen im Fadenkreuz aus Wissenschaft und Vernunft, ist Reinhardt eine eindimensionale Gestalt. Unterm Strich scheint sein Niedergang nur eine Geldfrage zu sein. Hat dieser Reinhardt eine Wirklichkeit jenseits der eitlen Selbsterfindung auf der Bühne seines Lebens? Er bleibt eine aalglatt glitschige Figur. Es sind eigentlich nur die Nazis, die verhindern, dass Leben und Theater in harmonischer Utopie miteinander verschmelzen. Ist das Theater nun eine Metapher, um Max Reinhardt zu charakterisieren, oder Max Reinhardt eine Metapher, damit wir etwas übers Theater lernen? Am Schluss kann Frayn nicht entscheiden, ob die Imagination, mit der wir das bessere Leben erfinden und auf die Bühne bringen, nun der Triumph über die Wirklichkeit ist, oder die Niederlage in ihr.
    Nur eins ist sicher: Wie Hoffmannsthals Jedermann wird Reinhardt im Afterlife erlöst. Ars longa, vita brevis. Das Leben endet. Auf dem Theater geht es immer weiter.