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Hauptschalter fürs Bewusstsein

Neurologie. - Vorne im Gehirn werden Entscheidungen abgewogen, an der linken Seite Sprache analysiert, die rechte Hirnhälfte kümmert sich ums Kreative, am Hinterkopf liegt das Sehzentrum und mittendrin die emotionalen Schaltkreise. Doch wie wird dafür gesorgt, dass die verschiedenen Nervenzentren auch richtig zusammenarbeiten? Die Antwort liefert eine kleine Gruppe von Neuronen, tief im Inneren des Gehirns, die ihre Signale praktisch in jeden Bereich des Gehirns senden.

Von Volkart Wildermuth |
    Eine Maschine erhitzt ein Glasröhrchen, es leuchtet rot, zwei Zangen ziehen es auseinander, wieder und wieder.

    "Am Ende bricht das Röhrchen in zwei Teile und die Spitze ist dann sehr, sehr fein, man kann damit eine Zelle berühren, so belauschen wir die elektrischen Signale der Neurone."

    Der Pharmakologe Dr. Dennis Burdakov erforscht an der Universität Cambridge Nervengewebe der Maus. Er hat es unter ein Mikroskop gelegt und sucht jetzt mit seiner Glasspitze nach Nervenzellen, die den Botenstoff Orexin bilden. Es gibt nur wenige Tausend von ihnen, alle im selben Nervenknoten, im Hippocampus tief im Inneren des Gehirns. Die kleine Gruppe ist eine Elite unter den Neuronen.

    "Sie sind einzigartig. Wenn man diese Zellen zerstört, wird das Bewusstsein instabil, die Tiere schwanken ständig zwischen Schlaf und Wachen, ohne jede Kontrolle."

    Die Orexin-Neurone senden Signale in fast alle Hirnbereiche und sorgen dafür, dass sie gemeinsam hoch- oder heruntergefahren werden. Ohne ihre Koordination machen die einzelnen Regionen was sie wollen, unterm Strich kann die Maus nichts Sinnvolles mehr tun. Beim Menschen gibt es Hinweise, dass fehlerhafte Orexin-Neurone an der Narkolepsie beteiligt sind. Bei dieser Krankheit schlafen die Patienten ein, ohne etwas dagegen tun zu können, selbst mitten in einer wichtigen Konferenz. Dennis Burdakov will wissen, was die Steuerneurone steuert, welche Signale ihr Verhalten beeinflussen. Ganz entscheidend ist der Blutzuckerspiegel.

    "Wenn man die Zellen mit einem ganz kleinen Anstieg der Zuckerkonzentration stimuliert, schalten sie ab. Das ist ein wichtiger Rückkoppelungsmechanismus. Wenn das Tier gerade gut gegessen hat, muss es nicht herumrennen und nach Futter suchen."

    So erklärt sich vielleicht auch der Mittagsschlaf nach dem Mittagsmahl. Damit man aber nicht schon nach dem Genuss eines Stücks Torte einschläft, reagieren die meisten Orexin-Neurone nur auf langfristige Änderungen des Blutzuckerspiegels. Wenn nach einiger Zeit die Energievorräte des Körpers abnehmen, der Zuckerspiegel fällt, erhöhen die Orexin-Neurone wieder die Aufmerksamkeit und nicht nur das, sie aktivieren auch das Belohnungszentrum. Diese Koordination der unterschiedlichen Hirnzentren ist entscheidend. Burdakov:

    "Wenn eine Katze eine Maus fangen will, dann muss sie sehr aufmerksam sein. Aber Aufmerksamkeit allein wird sie nicht zum Fressen bringen. Die Katze muss auch hungrig sein, sonst wird sie die Maus nicht fangen. Wenn die Orexin-Neurone aktiv sind, dann schalten sie gleichzeitig das Belohnungszentrum und das System für Aufmerksamkeit ein und das bereitet das Tier optimal auf die Suche nach Futter vor."

    Der Einfluss der Orexin-Neurone auf das Belohnungssystem zeigt sich auch in Suchtexperimenten mit Mäusen. Mäuse nach einem Kokainentzug werden rückfällig, wenn man ihnen Orexin ins Gehirn spritzt. Blockiert man die Orexin-Neurone dagegen, dann treibt sie selbst Stress nicht mehr zur Droge. Es gibt noch weitere Funktionen der Orexin-Neurone. Sie sind für Dennis Burdakov aber nur verschiedene Aspekte einer Aufgabe: die verschiedensten Gehirnprozesse sinnvoll zusammenzubinden.

    "Manche Hirnregionen machen Sie schläfrig, andere wach. Einige verarbeiten Stress andere Belohnungen. Es ist entscheidend, dass sie zusammenarbeiten. Sie müssen gemeinsam gesteuert werden, so dass keine widersprüchlichen oder seltsamen Verhaltensweisen entstehen."

    Für ein sinnvolles Verhalten, für geordnete Übergänge zwischen den Bewusstseinszuständen sorgt die kleine, aber weit vernetze Gruppe der Orexin-Neurone.