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Hausgemachtes Brot und süße Teigrollen

Das westrumänische Temeswar bietet seit einigen Jahren einen Weihnachtsmarkt. Dort gibt es regionale Köstlichkeiten, zum Beispiel Kürtösch, Puine und Carnats.

Von Thomas Wagner | 09.12.2012
    Heftiges Schneetreiben, Minusgrade: Aus der Ferne läuten die Glocken der orthodoxen Kathedrale. Auf dem riesigen Platz zwischen Kathedrale und der gegenüberliegenden Oper funkeln Lichter auf kleinen Holzhüttchen: der Weihnachtsmarkt im westrumänischen Temeswar. An einem Stand entfacht ein Mann, Anfang 50, einen Holzkohlegrill. Er trägt einen dicken Mantel und eine hohe, dunkle Pelzmütze. Um die Spieße auf dem Grill hat er Teigtaschen gewickelt.

    "Kürtösch heißen diese gerollten Teigteile. Die kommen eigentlich aus Ungarn. Aber auch hier in Westrumänien haben viele Leute ungarische Wurzeln. Deswegen verkaufen wir natürlich auch hier Kürtösch. Aber was soll ich mehr dazu sagen? Versuchen sie es einfach und dann sehen wir."

    Eugen Nedwesch nimmt eine der gerollten Teigtaschen vom Grill, steckt den Unterteil in eine Art Becher. Ein kleines Mädchen ist an den Stand gekommen, blickt ihren Vater an: Bitte einmal Kürtösch. Und Sekunden später hat sie das erste Stück abgebissen.

    "Das hatte so einen Nussgummigeschmack. Und es war süß. Es war wie Brot. Und es war sehr, sehr gut. Denn es war mit Kokos."

    Kürtösch mit Kokos ißt die achtjährige Carolin Bicu für ihr Leben gern. Das ist eine kleine Belohnung für die guten Noten in der deutschsprachigen Lenau-Schule. Wenn sie mit ihrem Papa an den Hüttchen vorbei durch den Schnee marschiert, spricht sie Rumänisch. Weil: Sie hat da war gelernt.

    Die kleine Carolin stimmt ein altes, rumänisches Weihnachtslied an. Es ist bitter kalt. Und dennoch huscht ein zufriedenes Lächeln über das Gesicht der Kleinen, als sie mit ihrem Vater an den vielen Hütten vorbeiläuft: Immer wieder Kürtösch-Stände, dann aber auch riesige Brote, die Bauern draußen auf dem Dorf gebacken haben.

    "Solche Märkte haben wir früher in Rumänien nicht gehabt. Ich komme selber aus dem Buchenland. Das liegt so im Nordosten Rumäniens. Da hat man sich hingesetzt, hat begonnen, Weihnachtslieder zu singen, hat sich richtig vorbereitet. Schon eine Woche vorher haben die Großmütter und Mütter gekocht, haben tolle Sachen gemacht. Der Vater und der Großvater haben ein Schwein geschlachtet. Dann gab es verschiedene Fleischgerichte."

    Erinnert sich Carolins Vater Valentin Bicu, Geschäftsmann in Temeswar. Das Schweineschlachten besorgen auf dem Weihnachtsmarkt aber andere. Vasile Curelianu ist Metzger.

    "Typisch für Temeswar und das westrumänische Banat haben wir Salami, Schinken und unsere typischen, rumänischen Knackwürste, die Banater Carnats. Diese Carnats aus dem Banat, mh, die sind wirklich sehr gut. Jaja, Carnats. Und dazu ein Bier: ein Gedicht!"

    An vielen Ständen finden die Besucher Hausgemachtes, das die Kleinbauern aus den umliegenden Dörfern in die Stadt gebracht haben. Wer nach klassischen Weihnachtsplätzchen und Lebkuchen sucht, der tut sich schwer. Macht aber überhaupt nichts.

    Eine ältere Frau steht mit einer großen Tragetasche vor einem Stand. Eva, die Händlerin, packt einen großen Leib Brot in Papier ein. "Puine" heißt das auf Rumänisch. Der Brotleib hat die Form eines großen Blumentopfes.

    "Das ist hausgemachtes Brot, hergestellt ohne alle Zusatzstoffe, ohne Chemikalien. Wir haben nur Mehl, Salz und Wasser verwendet."

    Doine, die ältere Dame, freut sich über den Kauf auf dem Weihnachtsmarkt. Sie ißt für ihr Leben gerne hausgemachte Produkte. Die schmecken einfach sehr lecker, sagt sie. Zudem seien hausgemachte Produkte bekömmlicher, zuträglicher fürs eigene Biosystem. Der Temeswarer Weihnachtsmarkt - er ist auch ein Spiegelbild der vielen Nationen, die in der westrumänischen Großstadt zusammenleben. Besucher und Händler sprechen mal deutsch, mal ungarisch, mal serbisch. Und manchmal kommen sie auch von noch weiter her.

    Elian Alagreu stammt aus Jordanien, studiert seit vier Jahren Medizin in Temeswar, spricht perfekt Rumänisch. An einem Stand hält er mehrere handgestrickte Mützen in der Hand: Der junge Jordanier friert im eiskalten Rumänien.

    "Also, ich komme, wie gesagt, aus Jordanien. Und da ist es im Leben nicht so kalt wie hier. Wenn es bei uns mal schneit, dann höchstens drei, vier Tage, wenn überhaupt. Und hier, da dauert das dann gleich eine Woche. Die winterlichen Temperaturen hier, die kenne ich von zuhause gar nicht: Hier kann es schon mal 20, 25 Grad Minus haben."

    Dem kann abgeholfen werden - eine Hütte weiter: Aus einem brodelnden Topf duftet es nach heißem Früchtetee und nach "Vinu fiert."

    "Glühwein, mein Lieber! Hi Norok si sanitate. Das heißt: Prost und Gesundheit!"

    Erklärt Valentin Bicu mit seiner kleinen Tochter an der Hand. So langsam scheinen beide ein wenig durchgefroren. Also zurück nachhause, ins Warme. Kürtösch, Puine und Carnats, dazu der Duft von Glühwein und Tee - Weihnachten kommt immer näher. Carolin übt auf dem Rückweg schon mal fürs Fest.
    NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG: Weihnachtsmarkt im Schneegstöber vor der Kathedrale im westrumänischen Temeswar: Viele Händler bieten dort hausgemachte Spezialitäten an, die es im Supermarkt nicht zu kaufen gibt.
    Weihnachtsmarkt im Schneegstöber vor der Kathedrale im westrumänischen Temeswar: Viele Händler bieten dort hausgemachte Spezialitäten an, die es im Supermarkt nicht zu kaufen gibt. (Thomas Wagner)