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Havel-Dämmerung

Er ist der einstige Held der Revolution, er war Präsident von 1989 bis 2003 - mit hohem Ansehen. Inzwischen gehen viele Tschechen auf Distanz zu Vaclav Havel, denn seinem Idealismus ist in Politik und Gesellschaft ein harter Pragmatismus gefolgt.

Von Kilian Kirchgeßner | 25.11.2010
    Die Prager Altstadt, eine Straßenbahnhaltestelle in der Nähe der Moldau. Wer hier bei Passanten nach Vaclav Havel fragt, der sticht in ein Wespennest.

    "Er ist ein Clown, ein ewiger Träumer, sagt dieser Mann. Das ist heute so und war auch damals schon so. Er moralisiert und philosophiert über die ganze Welt. Wir brauchen als Präsidenten aber einen Manager. Ich bin froh, dass Vaclav Havel aus der Politik verschwunden ist und nicht mehr so oft auftaucht."

    Vaclav Havel polarisiert die Tschechen: Die einen sprechen immer noch voller Ehrfurcht vom "Herrn Präsidenten", die anderen schimpfen ungehalten auf seine angebliche Naivität. Mit dem herkömmlichen Politik-Betrieb wollte er noch nie etwas zu tun haben - und das ist der Kern für die Kritik, die heute an ihm laut wird, urteilt der Prager Politologe Rudolf Kucera.

    "Havel ist ein Verfechter der nicht-politischen Politik, wie er es immer nennt. Das einstige Ideal Havels, dass man glänzende Personen in die Politik holt - ohne Parteikarriere, sondern als Seiteneinsteiger -, das teilt die Gesellschaft heute nicht mehr."

    Es ist eine Auseinandersetzung zwischen den Idealisten und den Pragmatikern. In Tschechien ist dieser Streit hochgradig personalisiert: Vaclav Havel ist die Symbolfigur für die Idealisten, auf der anderen Seite steht Vaclav Klaus, sein Nachfolger als tschechischer Präsident. Klaus war unter Havel erst Finanzminister und später Regierungschef, er steht für einen Kurs der radikalen Privatisierung. Klaus ist für die Tschechen so zum Sinnbild für die wirtschaftliche Aufholjagd geworden - und zum Gegenspieler von Vaclav Havel, der auch in der Wirtschaft mehr moralische Werte einfordert.

    "Sie hatten sich noch nie gern gehabt","
    sagt Politologe Rudolf Kucera.

    ""Als Havels Amtszeit als Präsident im Jahr 2002 endete und Überlegungen laut wurden, wer denn sein Nachfolger werden sollte, da war ich auf einer der Beratungen mit Havel dabei. Die schlimmste Lösung","

    sagte er damals,

    ""sei es, wenn Vaclav Klaus der neue Präsident werden würde. Da ist diese persönliche Animosität eskaliert."

    Wenn heute über Vaclav Havel diskutiert wird, geht es nicht nur um seine Person, sondern vor allem um sein Erbe. Er ist ein Mahner - und nutzt jede Gelegenheit, für seine Ideale einzutreten. Als im vergangenen Jahr der 20. Jahrestag der Samtenen Revolution gefeiert wurde, trat Vaclav Havel in einem Theatersaal auf und zog einen ganzen Abend lang Bilanz.

    "Eine Zivilgesellschaft wieder herzustellen, ist sehr mühsam und langwierig. Sie war ja komplett zerstört. Genauso mühsam ist es, auch ein verantwortungsvolles Unternehmertum zu etablieren und einen funktionierenden Rechtsstaat."

    Von diesen Mühen wollen viele Tschechen heute nichts mehr wissen. Sie fühlen sich angekommen in der freien Marktwirtschaft und weit weg vom Kampf zwischen Freiheit und Unterdrückung. Für die Wahrheit und die Liebe - das war einst nach der Wende der Wahlspruch Vaclav Havels. Mit ihm bezeichnen die Tschechen heute seine Anhänger: Die Wahrheit-und-Liebe-Fraktion werden sie im Volksmund genannt, oft mit einem spöttischen Lächeln.

    "Seine moralische Autorität erhält sich Vaclav Havel als Schriftsteller und als engagierter Verfechter der Bürgergesellschaft","

    sagt Rudolf Kucera.

    ""Aber seine Meinung zur aktuellen Politik teilt kaum mehr jemand."

    Im Ausland, bilanziert der Politologe, werde Havel heute weit mehr geschätzt als in seinem eigenen Land.