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Havelland
Mit dem Kanu zur Bundesgartenschau

Erstmals findet in diesem Jahr die Bundesgartenschau nicht an einem Ort, sondern in einer Region statt: Dem Havelland. Wer Zeit und Kondition mitbringt, kann eine Woche lang auf der Havel paddeln und dabei alle fünf Standorte der Buga besuchen.

Von Dieter Wulf | 09.08.2015
    Anfahrt auf Havelberg
    Die Anfahrt auf Havelberg (Dieter Wulf)
    "Besucher sollten ihren Rundgang hier am Stadtmodell beginnen, weil hier kann man sehr schön aus der Vogelschau beide Stadtteile sehen, kann so die Vorzüge, die Lage die Kirchen die Stadtkirchen die Klosterkirchen man kann den Dom erkennen", erklärt mir Frank Brekow vom Tourismusverband der Stadt Brandenburg. Wir stehen mitten auf dem Neustädter Markt, direkt im Zentrum. Vor uns ein dreidimensionales bronzenes Relief der mittelalterlichen Stadt.
    "Die ideale Lage dieser Dominsel und der anderen vielen kleinen Inseln in der Havel, geschützt durch vielfältige Sumpfgebiete. Aber gleichzeitig auch die Möglichkeit von hier aus weiter zu großen Städten zu kommen nach Magdeburg, nach Spandau, nach Rathenow, das hat eigentlich die Entwicklung für die Stadt Brandenburg im Mittelalter dann begünstigt."
    Bereits im neunten Jahrhundert stand hier eine slawische Burg - Jahrhunderte vor der Gründung von Berlin.
    "Das waren kleine slawische Fischerdörfer. Das einzige, was zur damaligen Zeit bekannt war, ist Köpenick. Köpenick war ähnlich wie Brandenburg ein Burgstandort für eine slawische Fürstenburg."
    Vom Neustädter Markt geht es dann einige Straßen weiter zur Dominsel. Durch ein Tor kommen wir auf einen weitläufigen Innenhof.
    "Jetzt sind wir auf dem Domhof und blicken auf den Dom und auf die Domkurien. Die Domkurien, das sind die Gebäude, wo die Domherren wohnten, wenn sie hier in Brandenburg waren und nicht ihre eigenen Güter besiedelt haben. Denn die Domherren waren oftmals wohlhabend. Hatten dann auch eigene Güter eigene Landsitze. Aber zu bestimmten Tagen zu bestimmten Anlässen war dann auch die Pflicht hier anwesend zu sein und dann wohnte man hier."
    Buga-Motto "Von Dom zu Dom"
    Dort treffe ich Rüdiger von Schnurbein. Der bayrische Archäologe kam vor zehn Jahren hierher und leitet seitdem das Dommuseum. Genau hier, meint er sichtlich stolz, seien die christlichen Wurzeln der Region. "Wir werden genannt die Mutterkirche der Mark Brandenburg. Das hat damit zu tun, dass es von hier wirklich losgegangen ist."
    1165 und somit vor genau 850 Jahren wurde hier vom Prämonstratensernorden der Grundstein des Doms gelegt.
    "Kunsthistorisch oder baugeschichtlich ist es der erste monumentale Bau der norddeutschen Backsteingotik, den wir hier vor uns haben."
    Die Bundesgartenschau, die in diesem Jahr hier entlang der Havel stattfindet, hat das Motto "von Dom zu Dom". Erstmals in der über 60-jährigen Geschichte findet die Buga nicht in einer Stadt, sondern in einer ganzen Region statt. Vom Brandenburger Dom aus findet man fast alle der fünf Ausstellungsorte von hier aus flussabwärts entlang der Havel bis zum Dom der Stadt Havelberg.
    Und genau auf diesen Weg mache ich mich jetzt auf der Havel. Vom Brandenburger Dom bis zum Dom in Havelberg. Mit dem Kajak geht es auf der Havel Richtung Norden durch eine wunderschöne, sehr naturnahe Landschaft. Begleitet werde ich von Norbert Oelschläger, der diese Gewässer hier kennt wie kein anderer.
    "Die Havel ist über weite Strecken ein kanalisierter Fluss, aber mit sehr vielen Nebenarmen, mit sehr vielen seenartigen Verbreiterungen, auch Altarmen und die sind auf jeden Fall Natur pur, naturbelassen. Teilweise geht es sogar am Waldrand lang, teilweise fährt man durch Schilffelder und in jedem Fall ist die Havel einer der Flüsse, in der die meisten Wasservögel heimisch sind."
    Norbert Ölschläger
    Norbert Oelschläger in seinem Kanu. (Dieter Wulf)
    Norbert, unter Kanuten duzt man sich, Norbert ist 72 und Kanute seit seiner Kindheit. Ich bin fast 20 Jahre jünger, aber muss mich anstrengen, seinem Tempo folgen zu können. Dabei, erzählt er mir unterwegs, sah es nach einem Schlaganfall vor zwei Jahren erst mal so aus, als müsse er auf seine geliebten Haveltouren ganz verzichten. Das aber weckte erst recht seinen Ehrgeiz.
    "Ich hab mich nach dem Schlaganfall insgesamt sehr schnell wieder erholt. Der Schlaganfall war Ostern, und Pfingsten habe ich im Boot gesessen. Das heißt für mich persönlich war das Paddeln eine Reha Maßnahme."
    Vieles, erzählt mir Norbert, musste er damals mühsam wieder neu lernen. Aber paddeln, das ging bei ihm von Anfang an. Vorbei an dem kleinen Ort Pritzerbe geht es nach Premnitz, dem nächsten Buga-Standort. Schon von Weitem sieht man einen großen Turm, direkt am Ufer. Der immer noch als Wasserwerk benutzte Industriebau steht jetzt mitten im Buga-Gelände. Mit einer Treppe und einem Aufzug ausgestattet, wird das Dach jetzt als Aussichtsturm genutzt. Hier treffe ich Erhard Skupch vom Buga-Verband.
    "Man hat herrliche Blicke über die Havel. Man kann auch gegenüber die Havellandschaft sehen. Es gibt Rehe, es gibt Wildschweine, es gibt Störche, es gibt Gänse, die hier sich aufhalten und das ist von diesem Turm aus zehn Meter etwa hoch hat man immer wieder die Gelegenheit, genau dieses Schauspiel mitzuerleben. Das ist nicht bestellt, das ist nicht inszeniert, das ist blanke Natur, die hier wirklich zu erleben ist."
    Von hier aus geht es im Kajak weiter Richtung Norden vorbei an Rathenow. Schon von Weitem sieht man den historischen Bismarckturm im sogenannten Optikpark. Ich aber verlasse erst mal die Havel und besuche Kai Brass, den Erfinder des Boogaloo.
    In Beetzseeheide, einem kleinen, wirklich verschlafen kleinen Dorf im Havelland, bin ich mit ihm auf seinem Hof verabredet, wo mich als erstes sein Hund Rudi begrüßt. Vor etwa zehn Jahren kam Kai Brass aus Norddeutschland hierher, kaufte diesen alten Bauernhof und eröffnete einen kleinen Mostereibetrieb. Als dann die Entscheidung fiel, dass 2015 hier im Havelland die Buga stattfinden würde, kam ihm die Idee mit dem Bugasaft.
    "Hier gibt es wahnsinnig viel Straßenobst, wo Äpfel, Birnen, Obst gedeiht. Und da hab ich gedacht, das muss irgendwie genutzt werden."
    Könige förderten den Obstanbau
    Die Flut der Obstbäume hier in der Region, meint Kai Brass, hätten wir den preußischen Königen zu verdanken.
    "Die Könige, die waren sowieso auch Obstliebhaber und hatten erkannt, dass das einen hohen gesundheitlichen Wert hat und haben per Gesetz erlassen, dass zum Beispiel wenn geheiratet wurde, ein Ehepaar musste dann zehn Obstbäume pflanzen. Oder wenn Kinder geboren wurden, dann mussten Obstbäume gepflanzt werden."
    Schnell kam eins zum andern. Im letzten Herbst wurden drei Erntecamps organisiert. Freiwillige aus ganz Norddeutschland kamen für einige Tage ins Havelland, um diese vergessenen Früchte, wie es jetzt auf den Flaschen heißt, zu ernten. Etwa 25 Tonnen Äpfel und andere Früchte kamen zusammen. Jetzt fehlte nur noch der Name für diesen ganz besonderen Bugasaft.
    "Ich hatte nämlich im Ohr in den 70er-Jahren, da hatte ich im Hinterkopf ‚King of the Boogaloo' und Buga - Boogaloo und irgendwo haben wir so rumgesponnen und dann hab ich eine Mail mit ‚The King of the Boogaloo' unterschrieben einfach so aus dem Bauch raus, ohne groß nachzudenken, und da war der Name geboren."
    Boogaloo, das ist eine Mischung aus Rock, Soul und südamerikanischen Klängen. Fetzig groovige Tanzmusik, die in den 60er-, 70er-Jahren aus Amerika auch hier nach Deutschland schwappte. Mit diesen Klängen im Hintergrund probiere ich zum Abschied dann den wirklich schmackhaften Saft der vergessenen Früchte.
    "Da mach ich Ihnen mal auf, das ist der Apfel Holunder da, muss man erst mal gut schütteln, das setzt sich ab, das ist so ein naturtrüber Saft. So bitteschön."
    Erinnerungen an Fontanes "Ribbeck"
    Beschwingt von der Musik geht es für mich dann ein paar Kilometer weiter nach Ribbeck. Egal ob mit oder ohne Bundesgartenschau: ein Besuch im Havelland ohne Ribbeck ist seit Theodor Fontane nicht mehr vorstellbar. Dort bin ich mit Frau Wesche verabredet.
    "Schönen guten Tag, mein Name ist Frau Wesche aus dem Waschhaus, kann ich Ihnen helfen?"
    Marina Wesche heißt wirklich so, hier aber ist ihr Name wirklich Programm.
    "Sie sind hier im alten Waschhaus der Familie von Ribbeck, und zwar hat man hier tatsächlich die Wäsche der Mägde und Knechte gewaschen und Sie haben heute Glück, dass wir heute keine schmutzige Wäsche mehr waschen."
    Das Waschhaus ist eine Mischung aus Café und Museum, das sich wie alles hier in Ribbeck irgendwie um die Birne dreht.
    "Da geht es los mit Birnenblütenhonig, mit Birnenpunsch mit Birnenedelbrand. Sie können aber auch verschiedene Birnen-Liköre wie Birne-Kräuter, Birne-Haselnuss, Birnen-Schoko, Birnen-Eierlikör trinken, Sie können Birnen-Dicksaft haben, Birnen-Chutney, Birnen-Meerrettich, Birnen-Senf. Sie merken schon, wir haben hier wirklich was an der Birne. Ohne Birne geht's nicht."
    Ein wunderbar skurriles Birnenuniversum, geschaffen von Theodor Fontane und seinem berühmten Gedicht.
    Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
    Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
    Und kam die goldene Herbsteszeit
    Und die Birnen leuchteten weit und breit,
    Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
    Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
    Und kam in Pantinen ein Junge daher,
    So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
    Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
    Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«
    "Es soll sich so zugetragen haben, das halt eben dieser ganz alte von Ribbeck den Kindern immer Obst gegeben hat", erzählt mir Gertraud Österholz im Museum von Schloß Ribbeck, das nur einen Steinwurf vom Waschhaus entfernt liegt. Hans Georg von Ribbeck lebte hier von 1689 bis 1759. Zu einer Zeit also, als die preußischen Könige das Anpflanzen von Obstbäumen noch nicht verordnet hatten und Birnen für die Landarbeiter wirklich noch was Besonderes waren. Die Geschichte also gab es tatsächlich. Fontane aber war hier wohl nie.
    "Im Schloss definitiv war Fontane nie zu Gast, wäre sonst in den Chroniken der Familie zu Ribbeck vermerkt gewesen."
    Stattdessen hatte Fontane sich offenbar von einem fast identischen Gedicht einer Ururenkelin des berühmten Birnenfreundes inspirieren lassen. Wer auch immer es schrieb, heute jedenfalls lebt der Ort bestens von dem Gedicht und der daraus entstandenen Birneneuphorie.
    Aber jetzt zurück zur Havel. Auf einem Ausflugsdampfer der langsam Richtung Havelberg tuckert, erzählt mir Rocco Buchtal, dass schon für seinen Großvater, 1904 in Rathenow geboren, ein Leben ohne die Havel nicht denkbar war.
    "Er hat noch gesehen, wie die letzten Störe in Rathenow auf dem Markt verkauft werden. Er hat auch die letzten Lachse noch gesehen, wie sie versucht haben, in Rathenow die Wehre zu überwinden."
    Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man damit begonnen, die Havel zu kanalisiert. Zu Zeiten der DDR aber wurde aus der wunderbaren Naturlandschaft eine Schiffsautobahn.
    "Und eines Tages, als in Premnitz diese naturnahen Ufer dann in Deckwerk umgewandelt wurden, da war sein Lieblingsbaum weg, an dem er immer stand. Und dieser Mann, der im Übrigen mal der stärkste Mann von Preußen war über den Arbeiterturnverein. Ein Kerl wie ein Baum, der sank wie ein Häufchen Elend zusammen."
    Noch heute erinnert er sich an diese Situation vor vielen Jahren.
    "Na meinen Opa hab ich über alles geliebt und hab gesagt: Opa, wenn ich mal groß bin, dann bring ich das wieder in Ordnung."
    Die Havel wird renaturiert
    Und genau das macht er seit nun fast 20 Jahren. Der Nabu, der Naturschutzbund Deutschland, hat sich die Renaturierung der Havel auf die Fahnen geschrieben und Rocco Buchtal, eigentlich Ingenieur für Strömungstechnik, sorgt dafür, dass die Havel mehr und mehr wieder ihr ursprüngliches Flussbett zurückbekommt. Da werden Deiche und Uferbefestigungen entfernt, Auenwälder und Schilfgürtel wieder angelegt. Es ist die erste Renaturierung in Deutschland an einer Bundeswasserstraße.
    Das letzte Stück Richtung Havelberg bin ich wieder mit Norbert im Kajak unterwegs. Damals zu DDR-Zeiten, erinnert er sich, hatte der Fluss seinen natürlichen Charme verloren. Über die Havel lief die ganze Brennstoffversorgung für West-Berlin. Und dann leiteten auch die Fabriken ihre Abwässer in den Fluss. Irgendwann war das Baden in der Havel völlig verboten. Das hielt Norbert natürlich nicht davon ab.
    "Es für uns, die wir an der Havel groß geworden sind, nicht ganz einsehbar, dass wir plötzlich nicht mehr baden durften. Da ist es mir dann wirklich passiert, dass ich erhebliche Verbrennungen hatte von den eingeleiteten Chemikalien."
    Doch all das ist Gott sei Dank längst vorbei. Wir fahren durch eine wunderbare Flusslandschaft. Überall rechts und links an den Ufern sieht man Biberbauten. In den letzten Tagen haben wir den Eisvogel, Kraniche, Graureiher, Seeadler und den roten Milan beobachtet. Auch die Fische sind längst in großer Zahl zurück.
    Dann macht die Havel ein Knick. Schon von Weitem sieht man auf einer Anhöhe den Dom der kleinen Stadt Havelberg. Dort werde ich schon von Marina Heinrich erwartet, die mir gleich eine der Besonderheiten dieser Buga zeigt.
    "Sie merken schon. es wird kühler. Wenn das kein toller Ausblick ist? Hyazinthen sehen wir hier, wir sehen blühende Topfpflanzen, Rhododendron und ganz spezielle Orchideen."
    Wir stehen mitten in der St. Laurentius Kirche, der Stadtkirche von Havelberg. Für die Zeit der Buga, von April bis Oktober, hat die Gemeinde ihr Gotteshaus den Gärtnern überlassen. Die Gottesdienste feiert man so lange im Dom. 16 Sonderausstellungen sind geplant. Diese Havelberger, die ich treffe, sind von der Blumenpracht in dem alten Gewölbe völlig begeistert.
    "Es ist sehr ungewöhnlich, wirklich ansprechend gestaltet, und ich bin gespannt, wie die nächsten Schauen gestaltet sein werden. Das wird sich ja immer wieder verändern hier in der Kirche. Trotzdem fremd für eine Kirche. Wir kennen es ja auch als Kirche, wir kenn es ja als Stadtkirche und das ist es ja auch beim Reinkommen. Unsere Kirche sieht anders aus, ist fremd, trotzdem schön."
    Von hier aus geht es die Anhöhe hinauf zum Dom, wo ich Antje Reichel vom Prignitz Museum treffe.
    "Der Dom ist weit und breit eigentlich bis auch in den Ostseeraum das älteste und auch größte Gotteshaus. Der ist ja entstanden 1150 bis 1170 als romanische Basilika und als erste Bischofskirche eines Bistums, das sich bis ans Oder Haff hinzog und damit war dieser Dom auch so ne Art Vorreiter für viele andere Kirchen."
    Havelberg, heute ein kleines verschlafenes Städtchen kurz vor der Mündung der Havel in die Elbe, war im Mittelalter ein bedeutender Handelsplatz, seit Mitte des 14 Jahrhunderts sogar Hansestadt. Noch heute zeugt der gewaltige Dom von dieser Zeit.
    "Wenn die Chorherren reinkamen, dann muss man sich Gregorianik, Gesang vorstellen und man kann sich diese weiß gekleideten Prämonstratenser Chorherren vorstellen, wie sie vielleicht sich in das Chorgestühl hineinsetzen und dort lesen gemeinsam, gemeinsam singen, sich hinknien, gemeinsam beten."
    Mit diesem Gesang im Ohr geht meine Reise von Dom zu Dom entlang der Havel zu Ende. Was ich von der Bundesgartenschau gesehen habe war beeindruckend. Der eigentliche Star aber ist die mittlerweile wieder sehr naturnahe Havel. Wer die in diesem Jahr rechts und links des Flusses wahrhaft blühenden Landschaften hautnah erleben will, der besucht diese Buga mit Kanu oder Kajak.
    Die Recherche zu diesem Beitrag wurde unterstützt von Brandenburg Tourismus: Übernahme der Kosten für drei Übernachtungen auf einem Campingplatz.