Die Redaktion hat erklärt, daß das gefälligere Aussehen niemandem das aufmerksame Lesen ersparen könne. Die topographische Form will dazu verlocken, sich den Ansprüchen auszusetzen, die hinter der ansprechenden Oberfläche im Text stecken. Im Hauptteil des eben erschienenen Hefts 2 des Jahrgangs 1998 findet sich unter der Überschrift "Die Einen über die Anderen" eine höchst lesenswerte Anthologie. Autoren aus dem Osten porträtieren Autoren aus dem Westen - und umgekehrt. Eine Veranstaltungsreihe in der Berliner "Schaubühne" lieferte die Grundlage für diese Dokumentation sehr subjektiver Zeitgenossenschaft. Luise Rinser schreibt über Anna Seghers, Max von der Grün über Erwin Strittmatter, Birgit Vanderbeke über Inge Müller. Überraschend kritisch äußert sich Luise Rinser über das Werk der Seghers, das nie ohne offene oder (in den Märchen und Sagen) verborgene belehrende Absichten ausgekommen sei. Sie rätselt über den Treuekomplex, die starke Bindung an die kommunistische Partei. Sie trauert darüber, daß auch solch ein starkes Talent sich immer wieder reglementieren ließ, daß der Glaube an die Idee und an die Genossen trotz aller Praxiserfahrung nicht wegbröckelte. Wo die Seghers den utopischen Horizont offenhält, in ihrer Sehnsucht nach dem "wirklichen Blau", sieht Luise Rinser eine "stille Aktualität", in der Traditionen eines jüdischen Messianismus und einer rheinischen Katholizität sich wunderlich mischen. Birgit Vanderbeke wehrt sich gegen den Kult um die Person der "Selbstmörderin" lnge Müller, gegen das interpretierende Raunen, das peinliche Parallelen zu Paul Celan oder Wladimir Majakowski herbeizaubert. Der wahre Respekt vor der Toten zeige sich in der kritischen Lektüre ihrer Texte.
Daß westöstliche und ostwestliche Einteilungen nicht immer greifen, erweist sich, wenn entschieden werden muß, wohin jemand gehört, der in der DDR aufwuchs und später in den Westen ging. Es paßt dann gut, wenn der Porträtierte noch früher die gleiche Richtung nahm. So schreibt Monika Maron über Uwe Johnson, den sie erst mit jahrzehntelanger Verspätung las, so daß sie eine mögliche, aber eben nicht realisierte Lektüreerfahrung zu simulieren versucht. Dabei muß sie ihren eigenen Bewußtseinsstand aus den sechziger Jahren rekonstruieren. Hartmut Lange ein anderer Ost-West-Wanderer geht umgekehrt vor. Er schreibt über Brecht und kritisiert ihn von seiner heutigen geistigen Position her heftig. Bekehrung zum Marxismus sei ein Weg von genialer Könnerschaft zum weltanschaulich beschränkten Dilettantismus gewesen. Am Ende bekennt Lange, daß er sich gleichwohl dem "Jahrhunderttalent" Brecht weiter emotional verbunden fühle, daß er sich bei seiner kritischen Analyse also auch nicht sicher sei, weil der heutige Zeitgeist die künftige Wirkungsgeschichte keineswegs vorhersagen könne.
Ähnlich vorsichtig bewertet Günter de Bruyn Heinrich Böll, dem er sich freilich wie ein älterer Bruder nahe fühlt. Eine Prognose übers mögliche Weiterleben des Böllschen Werkes könne jedoch niemand abgeben, gerade Zeitgenossenschaft verdunkle den Blick in die Zukunft. Es versteht sich, daß Stefan Heym sich indirekt selbst lobt,wenn er eigentlich nur den wesensverwandten Johannes Mario Simmel rühmen will,weil der Faktisches und Fiktives so meisterlich mische.
Karl Mickel schreibt über Gottfried Benn, dessen späte Prosa er der kalten Lyrik vorzieht. Dichtungshistorisch, also ohne moralisierenden Beigeschmack, zählt Mickel den Doktor Benn zum Typus "Menschenfeind". Um 1951 herum habe die Figur des "Waldgängers", also Ernst Jünger, wirkungsgeschichtlich die Nachfolge angetreten. Beide, Benn wie Jünger, seien dann von Arno Schmidt, dem "Einsiedel" beerbt worden. Daß solche gewagten Thesen in ein Denklabyrinth führen, weiß Mickel - er fordert den Leser dazu auf, den Zipfel des Fadens zu ergreifen. Arno Schmidt ist der brillanteste Essay der kleinen Sammlung gewidmet. Christoph Hein hat ihn geschrieben, voller Bewunderung einem Werk gegenüber, das die Zeitgenossen allesamt zu Schülern mache. Hein verknüpft die Analyse der Sprach- und Denkleistung des unvergleichlichen Arno Schmidt mit einem scharfen Plädoyer fürs Elitäre, für die Hochkultur. Die Demokratisierung der Kultur bedeute zugleich das Ende der europäischen Aufklärung.
Von der Produktivität einer Verlusterfahrung handelt auch ein Gespräch mit Günter Grass, das am Anfang von Heft 2 der "NDL" steht. Hubert Winkels hat es im vorigen Jahr im Deutschlandfunk geführt, und jetzt können wesentliche Teile nachgelesen werden. Grass bejahte die Vermutung des Interviewers, daß Verlust, zum Beispiel der der Heimat, obsessives Schreiben begründe. Ob geistige Niederlagen, z.B. der vielbeschworene Utopieverlust, die literarische Produktivität ebenso anregen, ist dagegen nicht sicher. Volker Braun findet bei der Suche nach dem Ort des Peter Weiss sich selber auf dem gleichen Schlammplatz. Läßt sich das Scheitern als ein Gelingen beschreiben? Jedenfalls erkennt er bei Weiss das eigene Trauma wieder, den Widerspruch von Disziplin und eigenständigem Denken.
Daß westöstliche und ostwestliche Einteilungen nicht immer greifen, erweist sich, wenn entschieden werden muß, wohin jemand gehört, der in der DDR aufwuchs und später in den Westen ging. Es paßt dann gut, wenn der Porträtierte noch früher die gleiche Richtung nahm. So schreibt Monika Maron über Uwe Johnson, den sie erst mit jahrzehntelanger Verspätung las, so daß sie eine mögliche, aber eben nicht realisierte Lektüreerfahrung zu simulieren versucht. Dabei muß sie ihren eigenen Bewußtseinsstand aus den sechziger Jahren rekonstruieren. Hartmut Lange ein anderer Ost-West-Wanderer geht umgekehrt vor. Er schreibt über Brecht und kritisiert ihn von seiner heutigen geistigen Position her heftig. Bekehrung zum Marxismus sei ein Weg von genialer Könnerschaft zum weltanschaulich beschränkten Dilettantismus gewesen. Am Ende bekennt Lange, daß er sich gleichwohl dem "Jahrhunderttalent" Brecht weiter emotional verbunden fühle, daß er sich bei seiner kritischen Analyse also auch nicht sicher sei, weil der heutige Zeitgeist die künftige Wirkungsgeschichte keineswegs vorhersagen könne.
Ähnlich vorsichtig bewertet Günter de Bruyn Heinrich Böll, dem er sich freilich wie ein älterer Bruder nahe fühlt. Eine Prognose übers mögliche Weiterleben des Böllschen Werkes könne jedoch niemand abgeben, gerade Zeitgenossenschaft verdunkle den Blick in die Zukunft. Es versteht sich, daß Stefan Heym sich indirekt selbst lobt,wenn er eigentlich nur den wesensverwandten Johannes Mario Simmel rühmen will,weil der Faktisches und Fiktives so meisterlich mische.
Karl Mickel schreibt über Gottfried Benn, dessen späte Prosa er der kalten Lyrik vorzieht. Dichtungshistorisch, also ohne moralisierenden Beigeschmack, zählt Mickel den Doktor Benn zum Typus "Menschenfeind". Um 1951 herum habe die Figur des "Waldgängers", also Ernst Jünger, wirkungsgeschichtlich die Nachfolge angetreten. Beide, Benn wie Jünger, seien dann von Arno Schmidt, dem "Einsiedel" beerbt worden. Daß solche gewagten Thesen in ein Denklabyrinth führen, weiß Mickel - er fordert den Leser dazu auf, den Zipfel des Fadens zu ergreifen. Arno Schmidt ist der brillanteste Essay der kleinen Sammlung gewidmet. Christoph Hein hat ihn geschrieben, voller Bewunderung einem Werk gegenüber, das die Zeitgenossen allesamt zu Schülern mache. Hein verknüpft die Analyse der Sprach- und Denkleistung des unvergleichlichen Arno Schmidt mit einem scharfen Plädoyer fürs Elitäre, für die Hochkultur. Die Demokratisierung der Kultur bedeute zugleich das Ende der europäischen Aufklärung.
Von der Produktivität einer Verlusterfahrung handelt auch ein Gespräch mit Günter Grass, das am Anfang von Heft 2 der "NDL" steht. Hubert Winkels hat es im vorigen Jahr im Deutschlandfunk geführt, und jetzt können wesentliche Teile nachgelesen werden. Grass bejahte die Vermutung des Interviewers, daß Verlust, zum Beispiel der der Heimat, obsessives Schreiben begründe. Ob geistige Niederlagen, z.B. der vielbeschworene Utopieverlust, die literarische Produktivität ebenso anregen, ist dagegen nicht sicher. Volker Braun findet bei der Suche nach dem Ort des Peter Weiss sich selber auf dem gleichen Schlammplatz. Läßt sich das Scheitern als ein Gelingen beschreiben? Jedenfalls erkennt er bei Weiss das eigene Trauma wieder, den Widerspruch von Disziplin und eigenständigem Denken.