
Julia Francks Roman, der unter dem Filmtitel "Westen" zu sehen sein wird, erzählt die Geschichte der Chemikerin Nelly Senff, die Ende der 70er Jahre aus der DDR flüchtet und lange Zeit im Lager Marienfelde ausharren muss, bevor sie sich im andern Deutschland zurechtfindet. Die Geschichte trägt autobiographische Züge. Julia Franck lebte ebenfalls lange in einem Lager. Heide Schwochow nicht. Trotzdem war nicht immer alles Gold im "Westen", hat sie Susanne Luerweg im Corsogespräch verraten.
Susanne Luerweg: Sie haben diesmal das Drehbuch zu einem Buch verfasst: „Lagerfeuer“ von Julia Franck. Ein Buch, von dem es immer hieß, das ist unverfilmbar. Haben Sie direkt gedacht, kein Problem, kann ich?
Heide Schwochow: Das kann ich so nicht sagen, weil ich bin eingestiegen in einen Prozess. Da haben davor schon andere Autoren dran gearbeitet. Aber doch, Sie haben Recht. Ich hab das Buch gelesen ... also eigentlich hat es Christian zuerst gelesen und ich hab gedacht: Ja, ich finde einen Zugang. Irgendwie war etwas da, wo ich dachte, das hat mit mir selbst zu tun und ich werde das hinkriegen.
Susanne Luerweg: Sie haben gerade gesagt, Christian hatte es zuerst gelesen. Christian ist ihr Sohn. Bislang haben sie häufig Drehbücher zusammen geschrieben und er hat dann die Regie geführt. Diesmal haben Sie komplett alleine das Drehbuch geschrieben. Er hat die Regie übernommen. Warum jetzt die strikte Arbeitsteilung?
Heide Schwochow: So ganz strikt ist die Arbeitsteilung nicht, weil Christian ist immer auch irgendwie dabei und sei es, weil ich denke, was wird Christian denn jetzt sagen. Weil wir so eng miteinander arbeiten. Jetzt war es meistens so, dass er schon was anderes hatte. Er hat den Turm zwischendurch gemacht. Und dann hat er so Zwischenergebnisse gekriegt. Die wertet er aus. Das ist, als würde man es einem Redakteur oder einer Redakteurin geben, und das finde ich dann immer sehr interessant.
Susanne Luerweg: Also der Sohn als Kritiker? Das stelle ich mir ein bisschen schwierig vor. Bei einem Redakteur, da hat man ja eine gewisse Distanz. Aber so innerfamiliär? Ist das leichter oder schwerer?
Heide Schwochow: Bei uns ist das relativ gut. Wir haben eine ganz gute Streitkultur in der Familie. Da knallt es auch mal, aber dann ist das ausgesprochen und dann ist das auch gut. Es gibt ganz lustige Geschichten, so als wir zusammengearbeitet haben und auch zusammen an Dialogen gearbeitet haben, da war das sehr direkt. Da war das dann so, dass Christian gesagt hat: Oh, das ist doch ein Muttersatz und ich sag dann: Was du da machst, das ist jetzt vielleicht ein bisschen chauvihaft. Wir spielen da auch miteinander. Und für mich ist es jetzt schwerer, weil ich gebe ein Ergebnis raus und das ist immer etwas sehr Verletzliches und Wundes. Und wenn Christian dann anruft und sagt: Das finde ich wunderbar. Dann, puh ... als wäre er nicht mein Sohn.
Susanne Luerweg: "Lagerfeuer" haben Sie gesagt, das Buch hat was mit Ihnen zu tun. Klar, Sie kommen auch aus dem Osten. Sie sind ausgereist, als man gar nicht mehr hätte ausreisen müssen. Sie sind nach Hannover gegangen, quasi mit dem Mauerfall. Warum dahin?
Heide Schwochow: Hannover hatte damit zu tun, dass wir vorher Angebote hatten. Von Freunden, von Leuten aus der Familie, die gesagt haben, ihr könnt zu uns kommen. Und das erste Angebot war von einer Freundin meiner Schwiegermutter, also einer Freundin der Familie. Eine ältere Dame , die hat gesagt: "Kommt nach Hannover, dann müsst ihr nicht in dieses Lager". Ich hatte mir ja keine Gedanken gemacht über so ein Lager. Dann haben wir Ja gesagt unddann gab es noch andere Angebote. Zum Beispiel von Freunden, die sehr viel Geld verdient haben. Das wollten wir nicht. Wir wollten lieber zu Tante Lotte, wo wir wussten, das ist so ein bisschen erdig, damit wir unserem Sohn auch nicht schon eine Welt zeigen mit einem Haus, sondern es klar wird, wir müssen uns das irgendwann selbst erarbeiten.
Susanne Luerweg: Haben Sie also nie bereut und gedacht: Mensch, wären wir mal in Berlin geblieben nach dem Mauerfall, wo sich ja die Welt verändert hat?
Heide Schwochow: Jeden Tag haben wir das gedacht. Aber nun waren wir ja mal da und hatten auch irgendwie die Zelte abgebrochen. Aber ich bin sehr schnell nach Berlin zurückgefahren und hab dort eine kleine Theaterinszenierung gemacht. Ich habe es gar nicht ausgehalten in Hannover. Wir saßen manchmal am Fernsehen und haben gesehen, was da gerade passiert in Ostberlin und haben gedacht, wir sind jetzt in einem falschen Film. Das ist ja Wahnsinn. Im Nachhinein war es aber doch gut. Hannover war so ne Stadt in der Mitte von Deutschland, und für Christian war es auch ganz gut.
Susanne Luerweg: Sie haben gesagt, Sie mussten nicht in so ein Lager. Wenn man jetzt das Buch gelesen hat, den Film sieht, dann ist man wahrscheinlich froh, oder?
Heide Schwochow: Ja, aber man muss sagen, dass dieses Lager für mich auch eher so ein metaphorischer Ort ist. Ich fand das unheimlich schön, wie Julia Franck so einen Zwischenort beschreibt. Zwischen Ost und West. Da habe ich so das eigene Lebensgefühl gespürt. Also ich gehe weg, aber ich bin noch nicht angekommen. Und dieser Raum, in dem so alles wabert, das finde ich sehr schön. Insofern ist das eigentlich ein Geschenk. Dieses Lager als einen Ort zu nehmen, der mehr ist, als nur dieser geschlossene Raum.
Susanne Luerweg: Sie haben das Buch verändert. Sie haben Personen weggelassen. Im Buch hat die Protagonistin zwei Kinder, im Film nur noch eins. Ist das Weglassen die Kunst für einen Film?
Heide Schwochow: Ich glaube ja. Das ist so ne Suche, weil im Roman ist ja soviel möglich. Wie viel Reflexion gibt es da. Man muss für den Film so einen Handlungsverlauf finden und die Figuren bei Julia Franck. Die sind ja alle in so einem Zustand. Und es war wichtig für den Film, so einen emotionalen Kern zu finden und da sind wir auf die Idee gekommen - also das waren Christian und ich zusammen - dass wir gesagt haben, wir nehmen Nelly als Hauptfigur und gehen mit ihr diesen Weg. Man hätte das auch anders machen können. Mit mehreren Figuren, aber das ist versucht worden und das war sehr episch und auch ein bisschen langweilig vielleicht.
Susanne Luerweg: Sie kommen aus dem Osten. Ihre Familie, auch die Autorin Julia Franck, kommt aus dem Osten, wie alle, die an dem Film beteiligt sind. Muss das so sein? Hätte das niemand aus dem Westen so umsetzen können?
Heide Schwochow: Ich vermute, wenn Leute aus dem Osten so einen Film machen, die Kommunikationswege etwas kürzer sind. Auch der Humor, worüber man lacht. Dinge wie mit der Coladose. Christian hat auch Coladosen gesucht und gesammelt. Da ist viel Seele drin, in dem was man da macht. Mir war es ganz wichtig, eine starke Frauenfigur zu haben. Das hat auch mit meiner Generation zu tun. Diese Frauen, die nicht demütig sind, die nicht sagen, ich bin nicht dankbar, die dem Geheimdienst sagt, ich bin nicht hierher gekommen, um Informationen zu liefern.
Susanne Luerweg: Sind Ihnen Sätze begegnet wie: Was machst du denn, wenn deine Mutti arbeiten geht? Das sind doch sicher typische Ost-Westunterschiede, oder? Mutti geht arbeiten oder nicht.
Heide Schwochow: Na, überhaupt. Als ich das erste Mal bei so einer Elternsprechstunde mit Christian war, da ist dann die Lehrerin, guckt meinen Mann an und fragt: “Was sind Sie von Beruf?“ Und mich fragt die gar nicht. Und ich sitze da und denk: Was macht denn diese Frau da? Und ich sage: "Warum fragen Sie mich nicht?" Sie entschuldigte sich und ich sage: "Aber Sie arbeiten doch auch." Oder so ein Physiklehrer - das fand ich auch interessant: Immer wenn es um fachliche Dinge ging, dann sah der meinen Mann an und wenn es um menschliche Dinge ging, dann sah der mich an. So was war ich überhaupt nicht gewöhnt. Das sind alles Dinge, die ich auch erlebt habe, die wir auch erlebt haben.
Susanne Luerweg: Ich hoffe, nicht so unschöne Dinge wie im Film „Ostpocke“ und so hässliche Sachen?
Heide Schwochow: Christian ist nicht als Ostpocke ... der war eher so ein kleiner Exot, aber das Verrückte war, der kam ja aus dieser Oktoberzeit in der DDR - hochpolitisiert. Der hat in der Gethsemanekirche Flugblätter verteilt und kam dann nach Hannover. Die Lehrerin erzählte, wie die DDR ist und dann hat er gesagt: "So war das aber nicht". Und irgendwann hat sie auch mal gesagt: "Dann geh doch zurück. Zu deinem Scheiß-Honecker". Und wir sind auch irgendwann eingeladen worden und die Lehrerin sagte: "Der ist viel zu weit für sein Alter". Aber das hatte natürlich damit zu tun, dass das eine ganz politische Zeit war. Es war ja auch irgendwie Weltgeschichte, die wir erlebt haben. Und dann kommt man nach Hannover, doch eher eine stillere Stadt. Man konnte das gar nicht vermitteln. Das war schon seltsam am Anfang. Das war sehr schwer. Für uns alle.
Susanne Luerweg: Und wenn Sie jetzt zurückblicken oder besser Resümee ziehen: 25 Jahre Mauerfall. Sie sind wieder zurückgegangen nach Berlin. Wie erleben Sie das jetzt? Ist das jetzt alles gut so wie es ist?
Heide Schwochow: Na ja, gut ist nie was (lacht). Bei mir verwischt sich jetzt auch viel. Ich habe einen großen Freundeskreis. Das sind Leute aus dem Osten, aus dem Westen. Ich denke trotzdem noch, dass es immer noch zwei Seiten sind. Ich freu mich so über diesen Film "Westen", weil der auch über Ähnlichkeiten erzählt und, dass diese zwei deutschen Staaten beide Deutschland waren. Das erste, als ich nach Berlin gekommen bin, waren Äußerlichkeiten. Da habe ich gedacht: Och, das sind ja auch dieselben Häuser, die haben wir ja auch so.
Susanne Luerweg: Ich hab noch eine Frage: Warum heißt "Lagerfeuer" jetzt als Film „Westen“?
Heide Schwochow: "Westen" ist eine Idee von Julia Franck gewesen. Wir haben dann sehr über einen Titel nachgedacht und die sagte irgendwann: „Der könnte doch auch Westen heißen.“ Und da haben wir alle gesagt: „Wow, ja.“ Aber wir haben, ich weiß gar nicht wie viele Titel, aufgeschrieben und drüber diskutiert. Westen ist dann geblieben. Und ich mag den Titel.