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Heillose Verwirrung mit Happy End

Der 64-jährige Jürgen Gosch gilt seit 2005 als einer der größten Regisseure Deutschlands. Damals löste seine Macbeth-Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus die so genannte Ekel-Theater-Debatte in den deutschen Feuilletons aus. Trotzdem wurde die Inszenierung wegen ihrer existentiellen Kraft mit Auszeichnungen überhäuft. Nun hat Jürgen Gosch sich am einen neuen Shakespeare vorgenommen. Diesmal eine seiner Verwechslungskomödien der Liebe: "Was ihr wollt".

Von Dorothea Marcus |
    Die Bühne ist wie immer ein Kasten von Johannes Schütz. Ein goldener diesmal, geradezu ein Palast: Die Zuschauer spiegeln sich im edlen Interieur. Doch das ist schnell vorbei. Denn aus der ersten Reihe, bei offenem Saallicht, erhebt sich Herzog Orsino und malt rasend schnell und keuchend seine Welt und die Wände schwarz. Liebeskummer, ertränkt und gleichzeitig ausgedrückt in körperlicher Erschöpfung. Ein Bild, das die Theaterkunst des Jürgen Gosch auf den Punkt bringt: Die Emotionen des Stücks werden durch berückend einfache Bühnenaktionen direkt in die Körper der Schauspieler gebracht. Das verleiht den Inszenierungen von Gosch ihre rüde, basische Kraft.

    Als die Überlebenden des Schiffbruchs an der Küste Illyriens stranden, spritzen Wasserfontänen aus Gartenschläuchen. Sie malen wunderschöne schmutzige Schlieren auf das schwarze Gold und bringen die Schauspieler wie von selbst zum Japsen und Keuchen. Und dazu, sich nackt auszuziehen und in den schmierigen Pfützen zu rutschen: eine schöne Sauerei. Da erinnert man sich an den nackten, blut- und kotbesudelten Macbeth vor zwei Jahren.

    Und doch ist heute Abend vieles ganz anders, weil ein zarter, wehmütiger Ton der Melancholie über dem Chaos am Hofe hängt. Immer wieder wird es außerdem halbwegs in Ordnung gehalten von der resoluten Hausmeisterin Maria mit sauberem Kittel und Schlüsselbund. Auch die anderen Hofbewohner ziehen bald wieder ihre Anzüge an, auch wenn die zusehends schwärzer und schmuddeliger werden.

    Jürgen Gosch hat Shakespeares Komödie alle Fröhlichkeit ausgetrieben und macht sie zu einem existentiellen, zuweilen quälend verlangsamten Trauerspiel. Trotzdem ist es in seiner Melancholie zuweilen schreiend komisch. Grandios und lakonisch sind die Auftritte der drei alkoholisierten Hofkomiker Sir Toby, Sir Andrew und Fabian als Tony Marshall-Verschnitt, mit Andy Warhol-Perücke und in kurzen Hosen - bald blicklose Monster vor lauter Farbe im Gesicht. Sie machen deswegen über alles ältliche Herrenwitze, weil sie an gar nichts mehr glauben.

    Der Diener Malvolio, der von seiner Kollegin Maria falsche Liebesbriefe seiner Herrin erhält, ist eine komisch notgeile, aber auch abgrundtief einsame Jammersgestalt. Wollüstig grunzend verschlingt er das Briefsiegel seiner vermeintlichen Herrin. Ergreifend und witzig zugleich ist auch Horst Mendrochs Clown, der immer wieder mit schiefen und brüchigen Liedern die Traurigkeit der Welt besingt - aber dabei behauptet, fröhlich zu sein.

    Die Liebe ist ein utopischer Ort, in der Goldkiste des Palastes nicht zu finden - "Mein Lieben sprengt die Welt", singt der Clown. Denn die Sehnsucht danach ist überall vorhanden und richtet sich meistens an das falsche Objekt. Etwa bei Orsino, der vergeblich die verhärmte und schwarz verschleierte Olivia begehrt. Am eindringlichsten verkörpert das vergebliche Liebessehnen aber Viola, die gestrandete Zwillingsschwester, die sich in einen Mann verkleidet und sich in ihren Herren Orsino verliebt. Bei Katharina Lorenz wird sie zum italienischen Jüngling, grandios, kühl, lässig und mit innerem Furor gespielt. Hier die Liebesszene, in der sie und Orsino so innig aneinander vorbeireden:
    "Wenn du je lieben solltest, wird süße Qual dich an mich denken lassen.

    Es klingt wie Widerhall von jenem Ort, an dem die Liebe wohnt.

    Ja, das ist wahr.

    Frauen sind wie Rosen, deren Macht in sich zerfällt, wenn man sie pflückt. Kaum pflückt man ihre Schönheit, sind sie tot. "
    Nichts Überflüssiges ist zu sehen, alles ist nur das, was es scheint - und entfesselt deshalb in seiner Rohheit theatralische Kraft. Grandioses Antiillusions- und Verlangsamungstheater. Jürgen Gosch hat "Was ihr wollt" von Angela Schanelec hervorragend neu übersetzen lassen: spröde, einfach und doch poetisch - nur das Stück, keine dramaturgischen Verschwurbelungen, sind im Programmheft abgedruckt.

    Erst nach zweieinhalb Stunden und einer Pause beginnen sich erste Längen abzuzeichnen: Es gibt dramaturgische Löcher, erste Schwächen der Schauspieler. Obwohl bei Shakespeare doch eigentlich alles gut wird, ist das Ende düster: als Orsino und Viola sich finden, setzt sie Grabesmiene auf. Auch Olivia und Zwillingsbruder Sebastian werfen sich statt erotischer Befeuerung höchstens scheue, fremde Blicke zu und der Clown singt noch ein trauriges Lied über den Regen. Nach viereinhalb Stunden ist es vollbracht: ein schauriger, anstrengend schöner Abend.