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Heilsversprechen

Esoterisch betrachtet ist das Jahr 1998 fatal. Kurz vor der Jahrtausendwende errechnet sich das laufende Jahr, wenn man 666 mit der drei multipliziert. Die Sechs gilt Esoterikern überhaupt als äußerst bösartig - vielleicht ob ihres erotischen Nachhalls - und dann auch noch drei Mal hintereinander. So dürfen wir uns im August auf die Apokalypse einstellen. Sie wissen schon: August 1914 - 1. September 1939 - der Irak überfiel Kuwait auch im August - etwas verallgemeinert, Kriege beginnen immer im August.

Hans-Martin Schönherr-Mann |
    Trotzdem könnte die Angelegenheit hoffnungsfroh werden, zumindest für jene die zu den rechtgläubigen Menschen zählen. Denn die Apokalypse heißt nicht Weltuntergang, sondern Reinigung. Wege und Dimensionen von dergleichen Prophezeiungen analysiert der von Norbert Bolz und Willem van Reijen herausgegebene Sammelband. Unter dem Titel Heilsversprechen versammeln sich 14 Beiträge renommierter Autoren wie Jochen Hörisch, Florian Rötzer und Raimar Zons und beleuchten die Fluchtlinien apokalyptischen Denkens im Judentum und im Hellenismus, in der Literatur, in der Philosophie, in den Wissenschaften oder im Cyberspace.

    Heilsversprechen haben Konjunktur nicht nur angesichts des bevorstehenden Milleniums, sondern auch nach dem Niedergang der großen Fortschrittshoffnungen im Hinblick auf eine humanere Gesellschaft oder verbesserte technische Naturbeherrschung. Das politisch technische Heilsversprechen der Moderne ist gescheitert, nachdem es zuvor - so Adorno und Horkheimer - mit "triumphalem Unheil" drohte.

    Trotzdem, darauf weist Norbert Bolz in seinem Vorwort hin, haben sich die großen christlichen Religionen aus dem apokalyptischen Denken weitgehend zurückgezogen und meiden die Unterscheidung Heil/ Verdammnis. Heilsversprechen provozieren entweder hysterische Angst oder unendliche Hoffnung auf Erlösung aus dem irdischen Jammertal. Denn die apokalyptische Drohung prophezeit eher einen schlanken Weltuntergang, den richtigen für die Bösen, die der ewigen Verdammnis anheimgegeben werden, und den scheinbaren für die Guten, die entweder gleich ins ewige Heil aufgenommen werden, oder die im Diesseits überleben und dann den Gottesstaat auf Erden errichten können. Bereits Nietzsche stellte dagegen fest, daß ein undogmatisch werdendes Christentum an die Stelle der Heilsbotschaft die eher irdische Nächstenliebe rückt.

    Zusammen mit Sekten diversester Herkunft hat sich die Esoterik daher des apokalyptischen Denkens bemächtigt. In Form des New Age konstatiert sie, so Gernot Böhme in seinem Beitrag über "Philosophie und Esoterik", die postmoderne Orientierungslosigkeit, verweist aber auf tiefere Zusammenhänge, die einem kosmologischen Denken ganzheitliche Perspektiven eröffnen. Lösungsvorschläge heißen Selbstorganisation, wenn Politik und Gesellschaft versagen, und Eingang des Menschen in den reinen Geist: für Gernot Böhme eher kleinere Fluchten als Antworten auf die technologischen und sozialen Herausforderungen der Zeit.

    Klaus Vondung schildert die Karriere des apokalyptischen Denkens vom Buch Daniel über die Offenbarung des Johannes, Karl Marx' Hoffnung auf die Entfaltung der Produktivkräfte bis zu Samuel Huntingtons Unheilvision eines Kriegs der Kulturen. Die absurde Formel deren Heilsversprechen lautet: "Weil es keine Hoffnung gibt, könnt ihr Hoffnung schöpfen!" Denn das Heilsversprechen kann sich niemals auf eine historische Erfahrung berufen. Dabei sind selbst seine religiösen Varianten wesentlich innerweltlich und politisch gemeint. Ob biblisch oder im utopischen Denken, mit der Drohung der Katastrophe soll eine politisch soziale große Wandlung erzwungen werden. Deswegen war die Atombombe eine ungeeignete Gefahr. Sie bot keinem Heilsversprechen mehr Raum, also auch keinen Anlaß für eine Verhaltensänderung. Ob apokalyptisches Denken ob ihrer Absurdität und des von ihr verursachten Leidens in der Politik erledigt ist, ist vielleicht trotzdem nur Vondungs frommer Wunsch.

    Auch Walter Reese-Schäfer analysiert messianische Auffassungen von Politik als antimoderne Revolten, gleichgültig ob diese religiöser oder säkularer Art sind. Heilsversprechen hat es jedoch auch in der modernen Wissenschaft gegeben, z.B. beim frühen Wittgenstein und bei Rudolf Carnap. Heilsversprechen zentrieren sich politisch im 20. Jahrhundert vornehmlich auf den Sozialismus, den Faschismus und den religiösen Fundamentalismus. Sie richten sich gegen die Moderne mit Kapitalismus und westlicher Demokratie. Dabei erzeugen sie das Leid erst, demgegenüber das Heil als Versprechen erscheinen kann. Sie verlieren dabei an Schwung und veralltäglichen: Am Ende siegen doch die weltlichen Menschen, nicht die Heiligen.

    Vielleicht tangieren sich apokalyptisches und weltliches Denken in der Moderne, und zwar wenn das Individuum auf sich selbst zurückgeworfen ist, die Erlösung auf kein fremdes Heilsversprechen mehr zurückgeführt werden kann, sondern wenn etwas anderes angesagt ist, nämlich "Selbst-erlösung", so der Titel des Beitrags von Norbert Bolz. Soziologisch schließt sich hier der Kreis des durchaus abwechslungsreichen Sammelbandes. Der Mensch der Spätmoderne muß sich ununterbrochen selbst verwirklichen, muß sich also sein originelles Heil selbst versprechen, gleichgültig ob in der Kunst, bei Greenpeace oder beim Bungee-Jumping. Kein Wunder, wenn er dazu statt des Propheten den Therapeuten braucht.