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Heimat

Ein Beat, dessen Worte so hart skandiert waren wie die Bassschläge von Techno; und die Vision einer Welt, die Flammen und Gewalt als Erlösung zu verkaufen hoffte. Das waren die Ingredienzien, mit denen Tim Staffels erster Roman "Terrordrom" nicht allein literarisch Aufsehen erregte. Schnell avancierten sowohl das Buch als auch der Autor zu Ikonen jenes neu erstandenen Mythos Berlin, der seinen Topos aus bukowskischem Existentialismus und ruinenverliebten "ganz-unten"-Realismus zu speisen scheint. Und nun, in "Heimweh", da kehren die beiden Helden Marvin und Tizian schon nach wenigen Seiten diesem ach so hypen Berlin einfach den Rücken zu. Dazu der Autor:

Claudia Kramatscheck |
    "Wenn ich böse wäre, wurde ich sagen: Berlin hat sich erschöpft. Ich weiß nicht, ich bin nie so festgelegt gewesen auf Berlin. Und mit dieser Aufbruchstimmung Berlin, hier wird die große Kunst oder die große Literatur geschaffen, und deswegen muss das Wort Berlin auch auf jeder Seite vorkommen, das ist sowieso nicht mein Ding. "Terrordrom" war klar, das mußte in Berlin spielen. Danach bin ich zum Berlin-Experten avanciert, was mich ziemlich erstaunt hat, auf einmal wurde ich alles mögliche gefragt, meine Meinung zu Berlin war gefragt, das war schon etwas irritierend und das hatte ein Grund sein können, warum der neue Roman keinesfalls mehr in Berlin spielt, aber es war klar. Es ist hauptsächäch eine Reisestory oder eine Suchstory, und dafür ist der Berlin-Raum etwas eng."

    So sitzen nun Marvin, ein Epileptiker, und Tizian, sein bester Freund, nach einem missratenen Versuch, in einer Bank endlich den dringend nötigen Existenzgründungskredit zu erzwingen, in einem roten Ford Mustang und fliehen - ja, wohin eigentlich? Vor allem in die Hoffnung, ein anderes, ein besseres Leben zu finden. Heimat - so lautet die überraschend pathetische Inkunabel für dieses Anderswo, einem Ort, an dem noch niemand gewesen war und für den die beiden sich auf eine Reise in der Attitüde eines sentimentalen roadmovies begeben, trotz Killerkommandos und Verfolgungsjagden.

    "Dieser Satz "Heimat, der Ort, an dem noch niemand gewesen ist" von Ernst Bloch, das ist einfach ein Satz, der mich schon seit langem umtreibt, und das war auch klar, daß irgendwann eine Arbeit kommt, die den zum zentralen Mittelpunkt hat, und das ist eben dieses "Heimweh" geworden. Das Thema ist ja eigentlich in "Terrordrom" auch schon da, so eine Sehnsucht von Leuten, die auf der Suche sind, oder die getrieben sind, und eigentlich nichts anderes kennen als das Gefühl der Sehnsucht, und das gerne einlösen möchten und aber nicht genau wissen, wie sie das eigentlich tun sollen."

    Hatte Staffel diesen verzweifelten Willen zum Glück in "Terrordrom" noch eingebettet in das Motiv einer in Wahnsinn implodierenden Welt, so beleuchtet "Heimweh" nun von innen heraus jene menschlichen Gefühle, deren Verlustgeschichte das erste Buch noch bedingte: Glaube, Liebe, Hoffnung. Vor allem die Liebe, über deren Möglichkeiten wie anhand einer Versuchsanordnung nachgedacht wird; geht es doch nicht nur um die zwischen Tiziai und Marvin und Marvin und Cem, der irgenwann zu ihnen stößt, sondern auch um Tizian und Lilly, für die Tizian Marvin irgendwann in der Wüste im Stich lassen wird. Man ahnt: ein crossover der Herzensverwicklung.

    "Liebe ist für mich auch noch verbunden mit tiefsten Empfindungen von Menschlichkeit oder was einen Mensch überhaupt zum menschlichen Wesen macht. Und in dem Buch behandelt es ja vor allen Dingen auch solche Grenzbereiche von Liebe und Freundschaft, wo das eine anfängt und das eine aufhört und wie das ineinander übergeht, und ob das überhaupt noch lebbar ist."

    Es ist ein skeptisches und zugleich romantisches Bild, das Staffel von der Liebe entwirft; einer Liebe, die zwar wortwörtlich Wunden schlägt und, im Fall von Cem, auch schon mal tödlich ausgeben kann. Und dennoch wirkt sie wie der prophanisierte Glaubensersatz in einer sinnlos gewordenen Welt, bezeichnen sich doch Tizian und Cem ausdrücklcih als Marvins Schutzengel.

    "Mit Glauben hat das vielleicht auch was zu tun: Also, wie kann ich überhaupt noch jemandem ein Gefühl abnehmen: also in einer Gesellschaft oder in einer Zeit, die von Kommunikationstechnik bestimmt ist, die eigentlich immer mehr an dem tatsächlichen Austausch zwischen zwei Individuen vorbeigeht bzw. die darauf angelegt ist, eigentlich sich nur noch in Unverbindlichkeiten zu verlieren. Also die ganze Menschheit scheint ja in unglaublicher Sorge zu sein, daß man irgendwie zu offen sein könnte, daß man sich irgendwie verletzlich gibt oder die Chance bekommt, zu verletzen. Es ist eigentlich alles nur noch mit Vorsicht bedacht, und es ist alles ein großes Spiel. Und die Liebe, von der ich zu reden versuche, die versucht eben dieses Spiel auszuklammern."

    So bleibt ein Fragezeichen, wie auch der Roman überhaupt mit bewußt offenen Stellen operiert, um sein Thema der Ungewissheit noch zu unterstreichen. Die Orte, an die die Helden fliehen, bleiben trotz ihrer Anklänge an den Balkan oder an Istanbul namenlos, und die Menschen und Szenerien, auf die Marvin und Tiziar treffen, scheinen - wie jener ungeheure Killer, der Ziegenherzen frisst - fast einem surrealen Zwischenreich zu entstammen.

    "Das ist genau so eine Schnittstelle: Inwieweit bin ich überhaupt noch in der Lage, Realitäten wahrzunehmen als Realität oder inwieweit bin ich Einflüssen von außen angesetzt, dass diese Grenze eben verschwimmt, dass man nicht weiß: Wo bin ich eigentlich, oder wer bin ich eigentlich wo. Es sind ja die alten Fragen, die nur immer wieder neu anfangen zu brennen, weil die Umstände in immer schnelleren Wechseln sich verändern und dieses "wer, wo und was", das bleibt halt einfach übrig. Und deswegen, fand ich das halt korrekt, dass man nur Ahnungen von Orten gibt. In dem Moment, wo ich das benenne, wird das alles wieder so dingfest, aha, das ist so und so, und da kann man sich wieder rausklinken. Entscheidend ist: Gelingt es, etwas zu schreiben, wo eine eigene Bilderwelt beim Leser entsteht. Eigentlich muß man aber ein Stück Eigenarbeit leisten, darnit das wirklich in eine Geschichte kommt."

    Das gelingt ohne Zweifel, und nicht nur, weil Staffel jeden seiner drei Helden Tizian, Marvin und Cem wie in einem Tryptichon in drei Kapiteln die je eigene Sicht auf die Dinge schildern läßt. Wie schon in "Terrordrom", faszinieren erneut auch die filmischen Erzählmittel, mit knappen Sätzen wie Regieanweisungen, hartem Cut-Up der Bilderfolge und einer Reminiszenz an Luc Bessons Film "Das fünfte Element". Doch dieser Flirt mit dem Medium Film ist mehr als nur ein ästhetischer, tauchen doch auch die Helden ab in ihre je eigenen Ersatzwelten, so als wäre das Leben nur erträglich mit der Flucht in das, was Staffel Paralleluniversum nennt.

    "Wegrennen, da sind wir halt alle ziemlich gut drin, und die führen das halt vor. Das Entscheidende an der jetzt-Generation ist ja dieser Lebenstil, es gibt nur das jetzt, es gibt kein morgen und kein gestern. Und da sehe ich ein großes Problem. Es ist eine Charakterstärke der Deutschen, überhaupt keinen eigenen Umgang zu finden mit der eigenen Geschichte. Ich glaube, da haben wir nicht sonderlich viel dazugelernt, und Verblendung und Verdrängung sind immer noch das Thema Nummer eins. Bei so einer jungen Generation heute ist das eigentlich noch viel extremer, weil es schon für die eigene Geschichte überhaupt kein Bewusstsein mehr gibt. Entscheidend ist nur das, was ich jetzt gerade im Augenblick mache. Und dadurch fängt natürlich auch eine Welt an, aus den Fugen zu geraten."

    Da wirkt es fast schon anrührend gefühlsseelig, wenn Marvin und Tizian als lost rider des Lebens ausgerechnet auf dem Gipfel eines Berges im Sinne eines veröhnenden "retour à la nature" ein fast kindliches Gefühl von Geborgenheit berauscht.

    "Es hört sich jetzt wohl irgendwie an, als sei ich Heimatdichter und kitschig, aber ich steh da drauf, ich steh total auf Natur und Naturerfahrung, und das ist auch so eine Sehnsucht von dem Personal. Das für mich aber auch viel mit denn Heimatbegriff zu tun hat in Form von so einer Friedfertigkeit."

    Es ist, als wäre auch der Autor Tim Staffel friedfertiger geworden. Tatsächlich aber siegt und überzeugt in "Heimweh" trotz aller radikalen Expressivität ein neuer, gewinnend emotionaler Ton. Die eingefleischten Fans, die "Terrordrom" nicht ganz genau gelesen haben, wird er wohl verwundern. Neue Leser aber sicherlich erobern, zu Recht.

    "'Terrordrom" musste den Ton haben, den es hat, der musste hart und brachial sein, und im Grunde auch mit hundert Silben in der Minute, so ungefähr. Und für das neue Buch mußte natürlich ein anderer Ton gefunden werden, wenn diese Themen wie Sehnsucht, Liebe, Freundschaft und Heimat da im Vordergrund stehen, und das ist natürlich insgesamt ein viel offeneres Ding, aber vielleicht auch eine Spur weit persönlicher. Wenn es mir um die schnelle Mark ging, da hätte ich vielleicht versucht, "Terrordrom 2" zu schreiben und wäre ich zimlich auf die Schnauze mit gefallen. Aber das liegt einfach überhaupt nicht in meinem Interesse. Ich kann (..) nur über Dinge schreiben, die bei mir gerade anliegen, und da bin ich manchmal selber von überrascht, aber ich kann das nicht kalkulieren. Dann wäre die Schreibarbeit eigentlich auch umsonst."