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Heimat hat nichts mit Hautfarbe zu tun

Marianna Salzmann ist selbst vor 17 Jahren mit ihrer Familie aus Russland nach Deutschland gekommen. Jetzt ist sie 27. Ihr Stück "Beg your Pardon" ist auch die Geschichte einer verrannten Idealistin, die ihre bürgerliche Existenz zerstört, um mit großer Geste den Migranten zu helfen.

Von Eberhard Spreng | 26.04.2012
    "Ich werde von eins bis zehn zählen und bei zehn wirst du in Europa sein. Ich sage eins und während du deine Aufmerksamkeit ganz auf meine Stimme richtest, wirst du anfangen, dich abendländisch zu entspannen."

    Autogenes Training für Migranten. Der Westen ist eine Lebenseinstellung, keine Hautfarbe, so lässt es Marianna Salzmann neues Stück vermuten. Es basiert auf Interviews, die die junge Autorin mit Politikern rechter Parteien geführt hat und mit von den europäischen Einwanderungsgesetzen betroffenen Migranten. "Das Problem unseres Landes ist die Liebe", lässt sie einen selbstgefälligen Jungpolitiker sagen, der seine junge Gesprächspartnerin mit kruden Theorien über eine übergriffige Sexualität bedrängt.

    Als typischen Macho hätten Emanzen früherer Jahre den Kerl abgehakt. Aber Thea, eine junge Frau von heute, nimmt den Kampf mit den durch nichts zu erschütternden Vertretern der herrschenden Verhältnisse noch einmal unerschrocken auf und kommt damit in einen Dauerkonflikt mit ihrem Freund Filip. Der ermahnt die Hochschwangere unentwegt, an ihren künftigen Sohn zu denken und scheitert im Alltagsgeplänkel dabei, ihr das kleine Familienglück schmackhaft zu machen. Filip ist in der Verkörperung durch Knut Berger auch nach der Geburt des kleinen David ein unerträglich geduldiger Warmduscher, der jeden von Theas Wutaufbrüchen sanftmütig aussitzt.

    Auch die beste Freundin Marwa wundert sich über Theas so unmütterlichen Furor. Marwa musste aufgrund der Einwanderungsgesetze das Land verlassen.

    Marianna Salzmann gelingt es in "Beg your Pardon" allerdings nicht, das Allgemeine der Politik und Besondere von Theas, Filips und Marwas Biografien dramaturgisch schlüssig ineinander zu verschränken. Denn schnell ist nichts weiter zu erleben, als das Seelenporträt einer jungen Frau in der Muttersinnkrise.

    Thea lässt ihr Baby und ihren Freund Filip allein zurück, findet aber auch im entfernten Malaja, das man sich am besten als mediterranes Irgendwo vorstellt, keine neue Heimat. Sie lernt dort in einer Art Kommune den blinden Enne kennen, dessen Toleranz und Gastfreundschaft allerdings plötzlich aufhört, als Thea eines Abends einen jungen Illegalen unterbringen will.

    Schon klar: Theas unbedingte Kompromisslosigkeit scheitert an der spießigen Kleinfamilienordnung ebenso wie an den ungeschriebenen Gesetzen der Freakkommune. Die Unbehauste rüttelt, wo sie geht und steht, an den Gesetzen des Miteinanders.

    Die Geschichte hat viel vom Scheitern der Aussteiger vergangener Jahrzehnte und Regisseur Hakan Savaş Mican macht dies mit leicht ironischen Songzitaten kenntlich:

    "Manchmal träume ich schwer
    und dann denk ich es wär,
    Zeit zu bleiben und nun
    was ganz andres zu tun.
    So vergeht Jahr um Jahr
    und es ist mir längst klar,
    dass nichts bleibt, dass nichts bleibt wie es war."

    Theas Suche nach dem Unbedingten, nach einer abstrakten gesellschaftlichen Freiheit muss scheitern. Jetzt ist zunächst verschwommen, dann immer klarer, ihr eigenes Antlitz auf eine Gaze in der Mitte der Bühne projiziert, die ein Ventilator ständig in eine leichte Bewegung versetzt. Er ist, auf ansonsten kahler Spielfläche, das einzige merkliche Bühnenzeichen. Jetzt ist dieser Spiegel zerbrochen, der durchscheinende Vorhang sinkt auf den Boden, Theas Reise in die Welt kommt in der Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit zum Ende. Jetzt eilt sie nach Hause, aber da ist neben Filip und dem Kind nun die beste Freundin Marwa. Filip und Marwa wollen heiraten.

    Die Abgeschobene hat die Stelle der militanten Menschenrechtskämpferin eingenommen. Jetzt sorgt Marleen Lohse in der Rolle der Marwa mit ihrem etwas verschämt-verzückten Schwärmen über die glücklichen Menschen im Frühling für ein kleines schauspielerisches Highlight im ansonsten plakativen Ausstellen der Figuren.

    Mit ihrer Besetzung der Migrantin Marwa und der Besetzung der Thea durch die im Iran geborene Maryam Zaree konterkariert der Regisseur gängige Klischees.

    Heimat hat, der Anfang ließ es schon vermuten, nichts mit Haut oder Haarfarbe zu tun. Und ist keine territoriale Identität, sondern eine innere Einstellung.

    In der Dreiecksgeschichte kriegt ein Zuhause, wer seinen Frieden mit den herrschenden Verhältnissen gemacht hat, fleißig und ordentlich Formulare ausfüllt, Sprachtest absolviert und gegebenenfalls beim Standesamt vorstellig wird.

    Emanzipation und Militanz sind in der Figur der Thea ein ernst zu nehmendes Psychoproblem und gehören in die existenzielle Leere geschickt.

    Wie man es dreht und wendet, das bleibt als merkwürdiges Fazit in Salzmanns "Beg your Pardon" übrig.