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Heimat oder Arbeitsplätze?

Wir fahren den Tagebau auf im Uhrzeigersinn, also in diese Richtung, in Richtung Heuersdorf. Da ist dann Schluss, und vorne nur einen Bagger einzusetzen, um Heuersdorf zu umfahren, geht nicht, außerdem würde uns die ganze Kohle, die 52 Mio Tonnen komplett verloren gehen, und das kann niemand bezahlen.

Von Hanno Gries |
    ... sagt Erika Steinkopff und zeigt mit dem Arm zum Horizont. In der Ferne erhebt sich ein Kirchturm. Das sei Heuersdorf, sagt sie, und das muss weg.
    Steinkopff ist Betriebsrätin bei der Mitteldeutschen Braunkohle-Gesellschaft - kurz MIBRAG. In wenigen Monaten erreichen die Bagger die Ortsgrenze, und bis Ende des Jahres muss auch die Tagebau-Genehmigung, der Betriebsplan, erneuert werden. 140 verbliebene Heuersdorfer wohnen noch in dem beschaulichen Dörfchen, und die wollen gegen eine neue Genehmigung klagen. Es sei fünf vor 12 für die Mibrag-Kumpel, sagt Betriebsrats-Chef Mario Gierl:

    Wenn wir den Hauptbetriebsplan nicht genehmigt kriegen, oder er würde auch nur wenige Wochen hinaus geschoben, müsste der Tagebau sofort stillgelegt werden zum Neujahrsbeginn. das hat Auswirkungen sofort aufs Kraftwerk, bis hin zu Fernwärmeversorgung für Leipzig, und arbeitsplatzmäßig müssen wir davon ausgehen, dass das Auswirkungen hat für die gesamte Mibrag. Die Stimmung ist generell sehr gereizt.

    2000 Kumpel sind bei der Mibrag beschäftigt, rund 400 davon im Tagebau vereinigtes Schleenhain, zu dem Heuersdorf gehört. Bisher habe es keine Ausschreitungen gegeben, aber die Angst vor der Arbeitslosigkeit und die Wut auf die Heuersdorfer wächst. Vergangene Woche marschierten 1000 Kumpel zum Kraftwerk Lippendorf direkt neben dem Tagebau. Auf der anderen Seite will man sich geschlagen geben. Heuersdorf habe schon viele Angriffe überstanden, sagt der Umweltbeauftragte des Dorfs, Jeffrey Michel:

    Wir haben jetzt noch 70 junge Leute hier, die unter keinen Umständen umziehen wollen, die Lebensqualität hier ist weit höher als in den umliegenden Gemeinden, hier hat man Ruhe, keine Probleme mit Kinderverwahrlosung, das ist ein sehr gesundes Umfeld und eine Dorfgemeinschaft, die Sie sonst nirgends mehr finden.

    Die ist allerdings beträchtlich geschrumpft, drei Viertel der Häuser stehen leer. Die meisten haben sich von hohen Umzugs-Prämien locken lassen. Aber es gibt noch den alten Dorfplatz, gesunde Bäume, einen Briefkasten und eine funktioniere Telefonzelle. Das Dach eines Hauses wird gerade neu gedeckt.
    Michel zieht von Heuersdorf aus gegen die sächsische Energiepolitik zu Felde. Die Braunkohle samt ihrer veralteten Industrie, sagt er, schade langfristig sogar der Region, weil sie neue innovative Industrien vertreibe:

    In Deutschland ist die Braunkohle zu 27 Prozent an der Stromerzeugung beteiligt, in Sachsen zu 85 %. Und das macht die Wirtschaft hier verwundbar, weil die Konkurrenz genau weiß, dass sie unbeweglich ist. Die Energiewirtschaft in Sachsen ist statisch für die nächsten 40 Jahre, und erzeugt übermäßig viele CO2-Emissionen.

    Diese Zahlen werden auch von der Politik nicht bestritten. Vor dem sächsischen Wirtschafts- und Arbeitsministerium in Dresden steht eine ausgediehnte Lohre mit den Worten: Für eine sichere Energieversorgung - darum heimische Kohle. Das Kabinett habe ein zweites Heuersdorf-Gesetz auf den Weg gebracht, sagt Bernd Sablotny vom Staatsministerium:

    Wir haben großes Verständnis für die betroffenen Bürger in Heuersdorf, und mussten natürlich abwägen, und sind der Auffassung, dass wir die Gemeinde Heuersdorf in Anspruch nehmen, um die Arbeitsplätze sichern zu können und eine kontinuierliche Versorgung des Kraftwerks Lippendorf sicher zu stellen.

    Sachsens neuer SPD-Wirtschaftsminister Thomas Jurk bemüht sich um Entspannung und versucht zwischen den verhärteten Fronten zu vermitteln. Mit wenig Aussicht auf Erfolg, das Schicksal von Dorf und Tagebau wird wohl vor Gericht entschieden werden.