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Heimatlos und ausgebeutet

Wer in Frankreich als Journalist arbeiten möchte, braucht zunächst einen exzellenten Studienabschluss. Die anschließende Ausbildung an einer der wenigen renommierten Journalistenschulen ist mittlerweile zur Pflicht geworden, inklusive zahlreicher Praktika. Bisher konnte jeder, der einen der raren Plätze an einer solchen Schule ergattert hatte, danach mit einer Festanstellung rechnen. Doch seit der Einführung der 35-Stundenwoche vor knapp vier Jahren ist es damit vorbei. Besonders bei den Regionalsendern des Öffentlich-Rechtlichen Hörfunks wurden damals alle neu geschaffenen Stellen besetzt. Die jungen Journalisten werden nicht gebraucht. Sie müssen sich oft jahrelang mit Urlaubsvertretungen über Wasser halten. Sie reisen durchs ganze Land, um mal für drei Tage, mal für mehrere Wochen bei irgendeinem Regionalsender einzuspringen, wenn dort gerade jemand gebraucht wird.

Friederike Schulz |
    Stephanie La Fourcatère sitzt im Tonstudio des Straßburger Regionalsenders von Radio France. Die 26jährige führt ein Telefoninterview mit einem Vertreter des elsässischen Regionalrats. Gemeinsam mit einigen Kollegen aus Frankreich und aus Deutschland produziert sie eine zweisprachige Radiosendung im Rahmen eines Seminars für junge Journalisten. Eigentlich könne sie sich das gar nicht leisten, sagt Stéphanie. Aber sie wolle sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit ausländischen Kollegen zusammenzuarbeiten. Sie dürfe nur nicht darüber nachdenken, wie es in der nächsten Woche weiter gehe. Stephanie gehört zu den 150 so genannten "Mitarbeitern auf Abruf" bei den Regionalsendern des öffentlich-rechtlichen Hörfunks von Radio France.

    Man muss versuchen, mindestens 15 Tage pro Monat Arbeit zu haben, um wenigstens halbwegs über die Runden zu kommen. In der Urlaubszeit zum Beispiel läuft es gut für uns. In den Weihnachtsferien brauchen sie überall Leute wie mich, die auf der Basis von befristeten Honorarverträgen arbeiten. Wir sind ständig kreuz und quer im Land auf Achse. Zwischen zwei Verträgen versuche ich, ab und zu meine Familie und meine Freunde zu besuchen. Solange ich so arbeiten muss, kann ich mir auch eigentlich keine eigene Wohnung nehmen.

    Stéphanies Name und Telefonnummer stehen auf einer Liste der Verwaltung von Radio France in Paris. Allein um auf diese Liste zu kommen, hat Stephanie diverse Bewerbungsgespräche führen müssen. Ohne ihren Hochschulabschluss mit Auszeichnung und das Diplom der renommierten Straßburger Journalistenschule wäre sie gleich abgelehnt worden. Wann immer ein Lokalsender kurzfristig einen zusätzlichen Mitarbeiter braucht, ruft er dort an und ordert eine Vertretung. Nach Ablauf eines Vertrags schreibt die Redaktion ein Zeugnis, die Bewertung wird auf der Liste vermerkt. Wer nur noch alle vier, fünf Monate angerufen werde, der wisse, dass sich ein Chefredakteur in Paris beschwert habe und könne den Job vergessen, sagt Stéphanie.

    Laurence Fradin diskutiert mit einem deutschen Kollegen über eine Reportage. Wie Stéphanie ist Laurence mit Begeisterung bei der Sache. Auch sie ist Mitte 20 und arbeitet bereits seit zwei Jahren als Aushilfs-Journalistin.

    Im Sommer sah es ganz schlecht aus für mich. Im Juli habe ich für ein paar Tage Vertretung in La Rochelle gemacht. Im August war ich für zwei Tage in Poitiers in Westfrankreich und anschließend für eine Woche in Lavalle in der Normandie. Wie es in den nächsten Monaten weiter geht, weiß ich nicht. Wir müssen viele Kompromisse machen und wirklich Opfer bringen für diese Arbeit. Wenn ich zum Beispiel meiner Familie und meinem Freund verspreche, dass wir uns am Wochenende sehen, dann ruft garantiert die Sekretärin in Paris am Freitagabend an und macht mir ein Angebot für zwei Tage Arbeit irgendwo. Und natürlich sage ich zu. Ich habe keine Wahl, je mehr Tage ich vorweisen kann, desto besser sind meine Chancen.

    Programmdirektoren und Chefredakteure bekommen so ständig motivierte, gut ausgebildete und extrem flexible Aushilfskräfte. Durch den häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes seien sie es gewohnt, sich innerhalb kürzester Zeit in die verschiedensten Themen einzuarbeiten, meint Daniel Deloy, Programmdirektor des Regionalsenders in Straßburg.

    Ich habe selbst als junger Journalist diese Schule durchlaufen. Ich habe viel mitgenommen aus dieser Zeit, weil man in jedem Sender noch etwas anderes dazu lernt, weil sie alle unterschiedliche Schwerpunkte haben. Und das ist eine einzigartige Chance. Die jungen Mitarbeiter können so ein bisschen Geld verdienen, sie sind sogar durch einen Vertrag an das Haus gebunden. Und dazu können sie weiter Berufserfahrung sammeln.

    Bis zur Einführung der 35-Stunden-Woche in Frankreich konnten die jungen Journalisten damit rechnen, nach ein paar Monaten eine Festanstellung zu bekommen. Doch dann wurden durch die Arbeitszeitverkürzung alle neu entstehenden Stellen besetzt. Seitdem herrscht Einstellungsstopp. Die Journalistengewerkschaft bemüht sich, nun wenigstens einen Verhaltenskodex für den Umgang mit den jungen Aushilfskräften aufzustellen. Stephanie La Fourcatère glaubt jedoch nicht, dass dies irgendetwas an ihrem Arbeitsalltag ändern wird.

    Ich hoffe, ich werde nicht die Motivation verlieren und den Druck aushalten, bis ich einen festen Job habe. Aber ich fürchte, dass ich noch einige Jahre mit dieser Existenzangst leben muss.