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Heimkehrende Dschihadisten
Diffizile Aufgabe mit vielen Hürden

Um die 90 Männer und Frauen sollen schon nach Syrien oder Irak ausgereist sein, um sich dort terroristischen Gruppen wie dem IS anzuschließen. Seit April versucht die Nichtregierungsorganisation "Violence Prevention Network", kurz VPN, im Auftrag des Berliner Innensenators Islamisten und heimkehrende Dschihadisten zu deradikalisieren. Dabei treten viele Probleme auf.

Von Daniela Siebert | 21.05.2015
    Eine Frau schaut auf eine Website mit Propaganda des IS.
    Die Sozialarbeiter müssen meist mühevoll den Kontakt zu den Islamisten bekommen. (picture alliance/dpa/Oliver Berg)
    Die erste Hürde bei der diffizilen Aufgabe ist an die Islamisten überhaupt heranzukommen. Denn die Szene schottet sich ab, berichtet VPN-Geschäftsführer Thomas Mücke. Die radikalen Jugendlichen melden sich normalerweise nicht selbst, sondern der Kontakt läuft über die Familie, die Schule, die Jugendeinrichtung. Jeder Einzelfall erfordere dann Fantasie und Fingerspitzengefühl. Da könne auch mal ein Briefchen, das unter der verriegelten Zimmertür durchgeschoben wird, das Eis brechen und Neugier wecken, berichtet der erfahrene Streetworker.
    "Das ist manchmal mühsam, und es gibt auch Fälle, wo natürlich - das Vertrauen ist ja nicht da bei den jungen Menschen - wir auch viel Geduld haben müssen, bis es zum ersten Gespräch kommt, aber die Erfahrung zeigt, dass sich das dann auch herstellen lässt."
    All das ist für sein Team täglich Brot. Dafür sind die Sozialarbeiter ausgebildet, darin haben sie Erfahrung. Doch wenn sie dann endlich den Kontakt etabliert und Vertrauen hergestellt haben, dann müssen sie mit angezogener Handbremse agieren. Denn es gibt noch ein ganz anderes Problem, ein stetes Handicap bei der ohnehin schon heiklen Arbeit:
    "Wir unterliegen wie jeder andere Bundesbürger der Zeugnispflicht. Das heißt wenn wir vorgeladen werden vor Gericht sind wir verpflichtet, vollständig und wahrheitsgemäß eine Aussage zu machen. Und daher müssen wir auch aufpassen, unsere Arbeit, welche Informationen wir bekommen, denn es kann wenn wir vor Gericht vorgeladen werden – von welcher Seite auch immer – wäre das das Aus für unsere Arbeit."
    Ali, so wollen wir ihn hier nennen, ist einer der VPN-Mitarbeiter, der mit den Islamisten das Gespräch sucht. Er baue schon gleich vor, um das Problem gar nicht erst aufkommen zu lassen so der türkisch-stämmige Sozialarbeiter, er bitte seine Mandanten ihm nichts über Straftaten zu erzählen:
    "Kommt vor, dass sie es andeuten, manchmal auch im Affekt des Gespräches, dass die sich einfach verlaufen und einfach die Sache auch loswerden wollen. Da ist ein Bedürfnis auch dabei sich auch mitteilen zu wollen, ist halt genau der Punkt, wo wir halt in den Zwiespalt geraten: Einerseits verstehen wir das auch natürlich, dass man sich da mitteilen möchte, aber andererseits ist halt die Gesetzeslage so, dass wir sagen: Nee, wir dürfen das halt auch nicht erfahren, weil wir dann auch in die Situation geraten, darüber berichten zu müssen. So schwierig es manchmal auch ist, seitens des Mandanten muss da einfach die Stoppkarte oder die Stopptaste gedrückt werden."
    Was nach Formalie klingt ist in Wahrheit ein Riesenproblem, wenn etwa die Syrienheimkehrer keine Details erzählen dürfen.
    "Nun kann es aber sein und jetzt wird es schwierig, dass der Jugendliche traumatisiert ist aufgrund der Kriegserlebnisse, die er hatte und ein Mitteilungsbedürfnis hat. Und dann müssen wir tatsächlich abwarten, bis das Ermittlungsverfahren beendet ist, dann können wir darüber mit ihm reden. Was wir für den speziellen Bereich bräuchten ist, dass wir über das, was er in den Kriegsgebieten erlebt hat, dass er mit uns darüber reden kann und das wir hierzu auch die Möglichkeit haben, eine Zeugnisverweigerung zu machen."
    Solche Ermittlungen gegen Syrienheimkehrer können sich über viele Monate strecken. Für eine Deradikalisierung und Reintegration in die Zivilgesellschaft ist das zu lang. Berlins Innensenator Frank Henkel ist diese Schieflage bewusst.
    "Das Problem ist erkannt, es ist ganz offensichtlich wichtig, auch für die, die die Arbeit zu leisten haben, hier zu einer Regelung zu kommen, ihnen die Arbeit nicht zu erschweren."
    Auch Sozialarbeiter bräuchten ein Zeugnisverweigerungsrecht
    Das Problem könne aber nicht auf Landesebene, sondern nur auf Bundesebene gelöst werden.
    "Da kann, wenn man entsprechend klar ist, bei dem was man will, auch ein Anstoß aus Berlin kommen. Aber dass das eine schwierige Rechtsmaterie ist, das kann ich unterstreichen. Ich unterstelle bei allen Beteiligten, dass es hinreichend Problembewusstsein gibt und glaube deshalb auch, dass wir hier zu einer Lösung kommen, wie die am Ende aussieht, das kann ich jetzt noch nicht sagen."
    Martin Heger ist Professor für Strafrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Derzeit, erklärt er, gelte ein Zeugnisverweigerungsrecht nur für enge Angehörige wie Ehepartner und nahe Verwandte sowie für bestimmte Berufsgruppen wie Priester, Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten. Auch Mitarbeiter von Schwangeren- und Drogenberatungstellen können ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Eine Ausweitung auf Sozialarbeiter, die Islamisten deradikalisieren sollen, hält er daher für möglich.
    "Das ist eine politische Entscheidung, die der Gesetzgeber treffen kann. Man könnte das in die Strafprozessordnung einfügen. Ich sehe da auch kein prinzipielles Problem. Die StPO ist eine Bundesgeschichte, allerdings könnte das Land Berlin insoweit initiativ werden über den Bundesrat."
    Man müsse hierbei aber die gesellschaftlichen Interessen der Deradikalisierung und der Verbrechensahndung sorgsam abwägen warnt er. Denn bei den Dschihadisten könnte es um Delikte wie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten, diverse Beihilfen zu Verbrechen bis hin zu Mord und Totschlag gehen.
    "Und da wäre es natürlich schwierig, würde man sagen: Auch darüber muss niemand etwas als Zeuge aussagen, der davon gehört hat, bloß weil er der Person hilft, in Deutschland wieder Fuß zu fassen. Das geht aus meiner Sicht nicht, insofern muss man da irgendwo einen Mittelweg finden."