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Heimlich, still und leise

Ökologisch, moralish und korrekt - so kann man in einem Elektroauto über die möchtegern coole Leopoldstrasse in München fahren. Und zu guter Letzt wird es auch noch ein Flirtmobil - wenn man sieben Stunden Strom in einem Second-Hand-Laden tanken muss.

Von Michael Watzke | 05.12.2010
    "So, weißt Du, was wir jetzt machen, Carline?"

    "Anschnallen?""

    "Anschnallen! Für den Sonntags-Spaziergang!"

    Ein Sonntags-Spaziergang durch das winterliche München. Im Elektromobil. Das ist genauso leise wie zu Fuß gehen:

    "Jetzt ist der an?"

    Ja, jetzt ist der an!"

    Totenstill! Mein Fahrrad macht mehr Geräusche beim Anfahren. Unglaublich. Man hört nur die Reifen rollen. Und den Fahrtwind so ein bisschen. Ist denn dann die Hupe lauter als bei anderen Autos? Weil man hört uns ja nicht. Wir müssen ja irgendwie auf uns aufmerksam machen. Moment, Achtung:
    Ja, die Hupe klingt schon ganz ordentlich für das kleine Auto.
    Aber weil Männer ihr Auto ganz gern hören, werden sie im E-Mobil wieder zum Kind.

    So biege ich mit meiner guten Freundin Carline, 25, auf die münchnerischste aller Münchner Straßen. Nein, nicht die teure Maximilian. Auch nicht die schicke Theatiner. Sondern die möchtegern-coole Leopoldstraße.

    Meiner Meinung nach nicht mal eine coole Straße, sondern eher die Checker-Straße. Und ich bin auch nicht so schön. Und ich fühl mich da immer ein bisschen usselig.

    Aber im E-Mobil sind wir natürlich ein Hingucker auf der Leopold. Elektro-Autos sind in München so selten wie bezahlbare Wohnungen. Carline und ich fühlen uns ökologisch und moralisch korrekt:

    Aber sind wir da jetzt eher cool oder eher öko? Ich mein, grün sein ist ja momentan sexy, oder?
    Total sexy.
    Guck mal, da rechts, das ist ein Checker-Auto. Da sitzen auch so Checker-Mädels drin. Da steht Cayenne drauf.
    Das ist schlechter Checker. Wir sind die guten Checker.
    Wir sind die guten. Wir haben den weißen Hut auf.
    Wir sind die coolsten, wenn wir cruisen, wenn wir durch die City düsen ...

    München ist auch cool, weißt Du? Jetzt fahren wir gerade an der wunderschönen Staatsbibliothek vor. Überall laufen noch dick eingemummelte Studenten ganz eilig an ihren Fahrrädern vorbei.

    Und wenn man jetzt mal so schaut, wer hier cruist: ich mein, selbst bei diesen Temperaturen ist es gut möglich, noch ein Cabrio, ein offenes Cabrio zu entdecken. Ich hab tatsächlich noch mal vor zwei drei Tagen ein Cabrio gesehen, da sind die Jungs noch offen gefahren. Haben auch so geguckt, wie man gucken muss, wenn man bei Minus-Temperaturen offen Cabrio fährt. Das ist auf der Leopoldstraße oft: heruntergekurbelte Fenster, die Fingerkuppen schleifen knapp über dem Asphalt, und dann eben diese Bässe, weißt Du? So richtig, dass der Bürgersteig unter Deinen Füßen mitvibriert. Das gibt's auch auf der Leopoldstraße ...

    Jetzt mal ehrlich, Du als junge, hübsche Dame: würdest Du eher in ein cooles Checker-Auto, so einen Porsche Cayenne, einsteigen? Oder lieber in so ein Elektro-Mobil wie meines?

    "Moment mal: kaufst Du Dir das Auto jetzt aus moralischen Gründen? Oder um besser Mädels aufzureißen?"

    Um ehrlich zu sein, das ist beides nicht voneinander zu trennen. Ein Auto, das nicht sexy ist, wird nie von Männern gekauft werden.
    Die Frage ist doch: sind die Frauen, die dann bei Dir einsteigen, auch sexy? Oder tragen die eher Birkenstock?
    Du sitzt hier neben mir, Carlinchen. Damit ist die Frage schon beantwortet.
    Weil ich ja auch meine Eier beim Biobauern kaufe.
    Da vorne geht's jetzt in die Hohenzollernstraße rein. Da sind die ganz teuren Schuhläden.
    Ja, ich weiß.

    "Sollen wir da mal reinbiegen? Drehen wir oben an der Münchner Freiheit und ... "

    Genau, und ganz wichtig an der Münchner Freiheit ist ja jetzt auch, bei der neuen Münchner Freiheit: der neue Busbahnhof, auf den wir gerade zufahren. Den der Münchner Lichtgott Ingo Maurer entworfen hat. Großes Streitthema: dieses grün-weiß-futuristische

    Der Münchner sagt auch gerne: Calatrava für Arme. Da ist jetzt die ... sagt man Tramm? Oder Trahm?
    Tram.
    Trahm?
    Tram.
    Tramm?
    Tram.
    Ich sag immer Trahmm.
    Aber da ist auch gar nicht die Tram, sondern der Bus.
    Nein, da ist jetzt neuerdings die Tram.

    "Ach, komm!"

    Das ist jetzt eine Trambahn-Haltestelle. Und die genauso Elektro wie wir.
    Da schau her.

    Wir sind die neue Münchner Freiheit - ohne Benzin, ohne Abgase, ohne Feinstaub. Und ohne Geräusche. Vielleicht hat mir deshalb jener alte Mann zugeblinzelt, der jeden Tag bei Wind und Wetter an der Münchner Freiheit sitzt. Der Monaco Franze. Sein bronzenes Denkmal blickt normalerweise den hübschen Damen hinterher. Jemand hat ihm eine Pudelmütze aufgesetzt. Damit ihm nicht kalt wird.

    München ist ja schon auch eine Stadt, in der man zeigt, was man hat. Und das ist das Problem bei diesem Elektro-Auto. Da müssen die Ingenieure sich noch was einfallen lassen.
    Aber gibt es denn da nicht, da gibt es doch bestimmt so eine Sound-Anlage, die Dir die Geräusche nachstellt, oder?

    Was würdest Du dann wählen, wenn Du könntest? Würdest Du dann eher so ein lautes Brummbrumm-Geräusch wählen oder so ein leises Plimmplimmplimm?

    Es wär doch total super, wenn man in so einem hochmodernen Elektromobil führe, das Original-VW-Käfer-1963-Geräusche macht. So ein Tucker-Sprotz-Pröttl-Quietsch-Rassel-Ding. Fänd ich jetzt persönlich.

    "Huch, da ist die Polizei. Hup-hup!"

    Also, als Stadtauto ist das glaube ich sensationell. Und wenn wir beide endlich zusammenziehen und heiraten und so weiter, dann könnten wir ja zwei Autos haben. Eines für Italien und eines für die Stadt.

    Heiraten? Zusammenziehen? Plötzlich geht der Elektro-Akku meines E-mobils rapide zur Neige. Die Minustemperaturen scheinen ihm zuzusetzen. Ich frage Carline, ob sie nicht vielleicht mit der Trambahn nach hause ... ?

    Es ist nicht besonders sexy, wenn der Mann die Frau nicht nach Hause bringt, weil er Angst hat, auf dem Rückweg liegenzubleiben. Besonders sexy wär es, wenn der Mann die Frau auf jeden Fall nach hause fährt und sagt: "Baby, und wenn ich die ganze Nacht im Straßengraben schlafe: Dich bring ich nach hause."
    Ja, und das mach ich jetzt auch. Ich bring Dich nach Hause.

    "Jetzt??"

    "Ja. Da bring ich Dich jetzt hin."

    Tja, und dann hätt ich die Nacht fast im Straßengraben geschlafen. Denn kaum hatte ich Carline abgesetzt, blieb mein E-Mobil plötzlich am Straßenrand stehen.

    Oh nein oh nein oh nein.

    Keine Elektro-Ladestation weit und breit. Davon gibt's leider noch nicht so viele wie Tankstellen. Also nehme ich den Ladestecker, eine lange Kabeltrommel und stapfe los. Bis ich vor einem kleinen Geschäft stehe:

    "Grüß Gott, Entschuldigung. Ich würd gern bei Ihnen tanken."

    "Sie möchten bei mir tanken?? Sie sind hier in einem Second-Hand-Laden. Tut mir leid."

    "Aber ich hab ein Elektromobil da draußen. Ein Auto, das nur mit Strom fährt."

    "Darf ich das mal sehen?"

    "Klar, dürfen Sie gerne. Ich zeig's Ihnen, kommen Sie mit. Haben Sie denn eine Steckdose?"

    "Ich hätt eine Steckdose. Wo ist das Auto?"

    "Da vorne, sehen Sie's?"

    "Wie süß!"

    "Das sieht eigentlich aus wie ein ganz normales Auto."

    "Ist das die Steckdose?"

    "Ja, schauen Sie, hier kommt der Stecker rein."

    "Und wie ist das mit dem Laden? Ich mein, es kann doch nicht sein, dass man alle fünf Minuten nachladen muss, oder?"

    "Nicht alle fünf Minuten, aber alle 150 Kilometer. Und, das muss ich jetzt dazusagen, es dauert ein bisschen länger. Wenn ich jetzt bei Ihnen vollladen dürfte, würde das so etwa sieben Stunden dauern."
    "Sieben Stunden?? Okay ... Man soll die Umwelt ja unterstützen."

    Tja, was soll ich sagen? Es wurde noch ein schöner Abend mit Daniela. So ein Elektro-Auto ist wirklich ein Flirtmobil. Jetzt versteh ich, warum mir der Monaco Franze zugezwinkert hat.