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Heimtückische Mitbewohner

Mikrobiologie. – Im bayrischen Wildbad Kreuth sind zurzeit die deutschen Experten in Sachen EHEC versammelt, der giftigen Variante des Darmbakteriums Escherichia coli. Zurzeit gibt es in Deutschland jährlich rund 1100 Vergiftungen mit den Produkten des Bakteriums. Bei jedem 7. Patient kommt es nach anfänglicher Durchfall-Erkrankung zu akutem Nierenversagen, das sogar tödlich enden kann.

Von Volker Mrasek | 22.07.2004
    Er ist rund 20 Jahre her, der erste Fall von akutem Nierenversagen in Deutschland, bei dem sich EHEC-Bakterien als Auslöser entpuppten ...

    Und eine der spannendsten Fragen ist eigentlich, wie sich aus einem Nützling - Kolibakterien sind ja nützlich für uns, jeder trägt sie in seinem Darm - ein derartiger Ganove entwickeln konnte.

    Der Mikrobiologe Helge Karch forscht seit dem ersten Auftauchen über den neuen Erreger. Und doch muss der Direktor des Instituts für Hygiene an der Universität Münster eingestehen:

    Als natürliches Reservoir von EHEC gilt der Darm von Rindern, Schafen und Ziegen. Die Wiederkäuer selbst erkranken nicht. Aber sie können den Keim auf den Menschen übertragen - sei es durch direkten Kontakt, sei es über tierische Lebensmittel. Rohes Fleisch und Rohmilch zum Beispiel gelten als riskant.

    Über 1100 Durchfall-Erkrankungen durch EHEC werden zur Zeit in Deutschland pro Jahr gemeldet. Weil die Bakterien potente Giftstoffe absondern, folgt auf die Darm-Infektion nicht selten viel Schlimmeres. Karch:

    Wir haben jetzt fast 700 Patienten mit einem Nierenversagen verfolgt, das durch EHEC hervorgerufen wurde. Und sehen, dass es nach einer Inkubationszeit von zwei bis drei Tagen zunächst zu wässrigen Durchfällen kommt. Zwei bis drei Tage später geht dieser wässrige Durchfall bei 60 Prozent der Patienten in einen blutigen Durchfall über. Und etwa eine Woche nach Beginn der Durchfallerkrankung kommt es bei zehn bis 15 Prozent der Patienten zu einem Nierenversagen.

    Tragisch ist vor allem, worauf auch Dirk Werber hinweist, Spezialist für Infektionskrankheiten am Berliner Robert-Koch-Institut: Dass nämlich ...

    ... 50 Prozent derjenigen, die ein Nierenversagen entwickeln aufgrund einer EHEC-Infektion, jünger als drei Jahre sind.

    Im Fall einer Darmentzündung können Ärzte nur hoffen, dass die jungen Patienten selbst mit dem Erreger fertig werden und es zu einer spontanen Heilung kommt. Denn wirksame Waffen gegen EHEC stehen bis heute nicht zur Verfügung, bedauert Helge Karch:

    Es gibt nach wie vor keine Therapie. Antibiotika können das Krankheitsbild verschlimmern. Die Impfstoff-Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen. Also, es gibt noch viel zu tun in der Zukunft.

    Gleichwohl, glaubt Karch, könne die Versorgung von EHEC-Erkrankten in Deutschland schon jetzt verbessert werden. Der Mikrobiologe orientiert sich dabei an den USA. Karch:

    In Nordamerika verfährt man so, dass Kinder mit EHEC-Erkrankungen und blutigem Durchfall hospitalisiert werden, also in ein Krankenhaus gebracht und dort intensiv überwacht werden.

    In Wildbad Kreuth verweist Karch jetzt auf eine neue US-Studie. Sie zeige,

    ...dass bei frühzeitiger strikter Überwachung und einer Zufuhr von Kochsalzlösung die schlimmsten Nierenschäden verhindert werden können.

    Die Infusion von Kochsalz kümmert die EHEC-Bakterien zwar wenig. Aber offenbar sorgt sie dafür, dass die Giftstoffe des Erregers in der Niere der Patienten schlicht verdünnt werden. Karch:

    Die Daten sind jetzt gerade publiziert worden aus dieser Studie. Und es wird sicherlich jetzt in den nächsten Wochen Initiativen geben, das auch in Deutschland nach diesem erfolgreichen Verfahren vorgegangen wird. Von Seiten der Fachgesellschaften und der Ärzte.

    Voraussetzung ist natürlich, dass Kinderärzte im Fall eines blutigen Durchfalls bei ihren kleinen Patienten eine Stuhlprobe nehmen. Und dass darin der Erreger eindeutig und rasch identifiziert wird. Karch:

    Den Nachweis können wir mit molekularbiologischen Methoden innerhalb eines Tages führen, mittlerweile.

    Nach Helge Karchs Analysen von schweren EHEC-Infektionen treten die Nierenschäden mit großer zeitlicher Verzögerung auf, erst sechs bis sieben Tage nach dem ersten blutigen Durchfall. In der Tat bliebe also genügend Zeit, um EHEC-Patienten ins Krankenhaus zu bringen und ihnen dort notfalls nierenschützende Infusionen zu verabreichen.