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Heiner Müllers "Quartett" bei den Salzburger Festspielen

Für sein Stück "Quartet" hatte Heiner Müller eine genau 200 Jahre alte Vorlage: Choderlos de Laclos Briefroman "Gefährliche Liebschaften". Aber 1980 war der Mensch durch Psychoanalyse, Antibabypille und Frauenemanzipation geschritten und hatte eine andere Zivilisationsstufe erreicht. Oder nicht? Geblieben waren durch die Zeiten das Spiel von Macht, Erotik und Gewalt. "Quartett" wurde jetzt von Barbara Frey für die Salzburger Festspiele inszeniert.

Von Sven Ricklefs |
    Merteuil: "Was ist das die Seele, ein Muskel oder eine Schleimhaut?"

    Die Marquise de Merteuil bringt es auf den Punkt: In einer vollkommen aufgeklärten Welt ist kein Platz fürs Metaphysische und so bleibt nur übrig, den Menschen auf seinen Körper und dessen Funktionen zu reduzieren.

    "Die Qual zu leben und nicht Gott zu sein. Ein Bewusstsein haben und keine Gewalt über die Materie."

    Das Abgeklärte ihrer Lebensphilosophie ist diesen beiden Figuren längst zum Verhängnis geworden, Merteuil und Valmont, dem Expaar, das sich in einer Art ritualhaften Wiederkehr zu immer neuen alten Spielen zusammentrifft. Um die Leere ihrer parasitären Adelsexistenz irgendwie auszufüllen

    Valmont: "Unser erhabener Beruf ist es die Zeit totzuschlagen. Und zugleich die eigene Angst vor Alter, Vergänglichkeit und Tod zu überspielen. Denken Sie manchmal an den Tod Merteuil? "

    Sie spielen die Liebesintrigen ihres gegenwärtigen Lebens schon einmal zusammen durch, schlüpft einer in die Rolle des anderen und der wiederum in die Rolle des begehrten Objekts, man travestiert sich, man kennt sich bis in die geheimsten Ecken, weswegen man den anderen auch besonders gut spielen und dabei zugleich besonders gut verletzten kann.

    Merteuil: "Die Tourvel ist eine Beleidigung. Ich habe Sie nicht in die Freiheit entlassen, damit Sie auf diese Kuh steigen, Valmont."

    Man begehrt sich nicht mehr und trotzdem nagt zumindest noch die Eifersucht als Kehrseite eines Gefühls, dass man sich nicht eingestehen darf, auch wenn hinter allem noch immer das Bedürfnis nach Zärtlichkeit hervordringt. Und so fällt man jedes Mal umso grausamer übereinander her, bis auch das langweilt:

    Valmont: " Mich langweilt die Bestialität unserer Konversation. Jedes Wort reißt eine Wunde, jedes Lächeln entblößt einen Fangzahn."

    Bei den Salzburger Festspielen hat Barbara Frey - die designierte Intendantin des Züricher Schauspiels - Heiner Müllers "Quartett" dieses sezierende Requiem für zwei Seelen und vier Stimmen im barocken Ambiente der Salzburger Residenz inszeniert. Passend zur opulenten Präsenz der vorrevolutionären Figuren hat sie dafür in den fluchtartigen Carabinieri-Saal mit Deckengemälden und Prachtlüstern einen 30 Meter langen Lichtbalken bauen lassen, eine Art Laufsteg des Lebens, auf dem und um den Barbara Sukowa und Jeroem Willems ihr Endspiel zelebrieren dürfen. Herausgekommen ist sicherlich das Startheater, das diese einzige Eigenproduktion des Schauspiels der Salzburger Festspiele braucht, um dem posthumen und längst überfälligen Debüt von Heiner Müller in Salzburg den nötigen Glamour zu verleihen. Dabei hat die Regisseurin - ohnehin bekannt für eine Art Werkvertrauen - diesmal ganz auf die hochpoetische Sprache Müllers gesetzt und ihre beiden Protagonisten in eine Art gezügeltes Spiel geschickt, das die intriganten Machenschaften und sexuellen Eindeutigkeiten im szenisch eher Vagen belässt.

    Merteuil: "Was sonst haben Sie gelernt, als Ihren Schwanz in ein Loch zu manövrieren, dem selben aus dem Sie gefallen sind."

    Die Gradwanderung zwischen Anzüglichkeit und hoher Sprache gelingt der nach Jahrzehnte langer Pause auf eine deutschsprachige Schauspielbühne zurückgekehrten Barbara Sukowa noch am ehesten als Marquis de Merteuil selbst, doch auch hier scheint die Schauspielerin oft die vermeintliche Kälte der Figur mit einer gewissen Starrheit zu verwechseln.

    Problematisch wird es, wenn Sukowa in die Rolle ihres Gegenübers schlüpfen soll, da gerät ihr der werbende Mann eher zur staats-theatralen Karikatur, zu einer Art überreifem Rosenkavalier, lässt sie doch so ganz die Distanz und ironische Travestiefinesse vermissen, mit der Roger Willems bravourös sein Rollen und Geschlechterhopping zu bewerkstelligen weiß.

    Er, dieser brillante Spieler, der die Übersättigung des Barockmachos Valmont in jedem Zucken der Mimik hervor scheinen lässt, tritt schon mit einem überbordenden Perlenkollier im Anzugausschnitt auf und weiß später im Reifrock, den er von der Sukowa übernimmt, als Objekt der Begierde züchtig die Hüften zu schwingen. Doch mit seiner Spielwut immer wieder auch alleingelassen, läuft er oft ins Leere.

    Und so wird sich Barbara Frey wohl den Vorwurf gefallen lassen müssen, diesmal nicht ganz ihrem Ruf als begnadete Schauspielerregisseurin gerecht geworden zu sein. Immerhin aber konnte man wieder einmal einem Werk begegnen, das in seinem gnadenlosen Blick auf das verzweifelte Tier Mensch noch immer seines gleichen sucht.