Freitag, 29. März 2024

Archiv


Heinrich Ignaz Franz: Missa salisburgensis

Unter dem Stichwort "Alte Musik", verehrte Hörerinnen und Hörer, möchte ich Ihnen heute eine Neuaufnahme der Heinrich Ignaz Franz Biber zugeschriebenen "Missa Salisburgensis" vorstellen. * Musikbeispiel: Heinrich Ignaz Franz Biber - aus: Missa Salisburgensis, Kyrie Salzburg, 18.Oktober 1682: Mit einem glanzvollen Festgottesdienst feierte die Stadt den 1100-jährigen Gründungstag ihres Erzstiftes durch den Heiligen Rupert. Bürger aller Stände, Bruderschaften und Klerus haben sich zum gemeinsamen Gotteslob im gewaltigen Raum des Salzburger Doms versammelt. Die besondere Bedeutung dieses hohen Kirchenfestes für die Stadt Salzburg spiegelte sich wider in der großdmensionierten "Missa salisburgensis", die im Festgottesdienst zur Aufführung kam. Ein Aufgebot von rund 100 Sängern und Instrumentalisten war daran beteiligt - eine für barocke Verhältnisse riesige Besetzung. Diesen gewaltigen Aufwand leistete man sich später nicht mehr und die monumentale Messe, die ein Unicum der gesamten Musikliteratur darstellt, geriet in Vergessenheit. Die Musikwissenschaft konnte bis heute nicht mit letzter Gewißheit klären, wer dieses Meisterwerk mehrchöriger Kirchenmusik komponierte. Lange wurde die Messe dem Italiener Orazio Benevoli zugeschrieben, neueren Forschungen zufolge sprechen jedoch stilistische Merkmale und äußere Umstände geradezu zwingend für die Urheberschaft von Heinrich Ignaz Franz Biber. Biber wirkte seit 1670 als Geiger am Hof des Fürsterzbischofs von Salzburg und wurde 1684 in das Amt des Kapellmeisters berufen. Die Originalhandschrift der "Missa salisburgensis" ist verschollen. Das Aufführungsmaterial basiert auf einer Abschrift der Partitur, die heute im Archiv des Salzburger Doms aufbewahrt wird. * Musikbeispiel: Heinrich Ignaz Franz Biber - aus: Missa salisburgensis, Credo Credo aus der "Missa Salisburgensis" von Heinrich Ignaz Franz Biber. Die Aufnahme entstand im Juli vergangenen Jahres nach einer Aufführung des Werkes in der Londoner St.Pauls Cathedral als Gemeinschaftsprojekt von Musica Antiqua Köln unter Reinhard Goebel und des englischen Ensembles Gabrieli Consort & Players unter Paul McCreesh. Erst durch diese Zusammenarbeit zweier Ensembles der Alten Musik-Szene war es möglich, das für die Aufführung des monumentalen Werkes erforderliche Originalinstrumentarium aufzubieten. Im Begleittext zur CD beschreibt Paul McCreesh die "Missa Salisburgensis" als das "Non plus ultra im klanglich-räumlichen Ausdruck göttlicher und weltlicher Macht".

Norbert Hornig | 27.09.1998
    Der Eindruck der ersten Aufführung vor mehr als dreihundert Jahren muß in der Tat überwältigend gewesen sein. Zur vokalen und instrumentalen Virtuosität addieren sich nämlich die räumlich-perspektivische Klangwirkungen des Kirchenraums, die durch die Postierung der sechs Chöre an verschiedenen Orten entstehen. Die sich zujubelnden Vokal- und Instrumentalgruppen treten so in einen farbigen Kontrast. Der Raum gewinnt somit eine musikalische Qualität, er spielt gleichsam mit als eine Art "überirdisches Instrumentarium".

    Bereits die venezianischen Meister Andrea und Giovanni Gabrieli waren sich der Sinnlichkeit des flutenden Raumklanges bewußt, als sie ihre mehrchörigen Komposition gezielt den architektonischen Gegebenheiten des Markusdoms anpaßten. Auch der römische Kolossalstil des 17.Jahrhunderts brachte gigantische Chorwerke mit bis zu 48 Stimmen hervor. Bibers "Missa Salisburgensis" weitet den Apparat der Stimmen und Instrumente ins Gigantische aus. 16 Vokal und 35 Instrumentalstimmen, 2 Orgeln und Basso continuo werden zusammengeführt, bilden Chöre, entwickeln ein polyphones Geflecht und entfalten ein barockes Konzert von Solostimmen. Den beiden vokalen Hauptchören stehen Gruppen von je zwei Violinen und vier Violen gegenüber, dem Chor aus Blockflöten und Oboen ist ein Ensemble aus zwei Zinken und drei Posaunen zugeordnet. Die Trompeter sind in zwei Gruppen zu je vier Instrumenten und Pauken aufgeteilt. Sie leiten das "Benedictus" mit einer stahlenden Fanfare ein. * Musikbeispiel: Heinrich Ignaz Franz Biber - aus: Missa salisburgensis, Benedictus qui venit "Benedictus, qui venit" aus der "Missa salisburgensis" von Heinrich Ignaz Franz Biber. Es musizierten Mitglieder von Musica Antiqua Köln und des Ensembles Gabrieli Consort & Players unter Paul McCreesh. Die Leistungen der in dieser Aufnahme mitwirkenden Sänger und Instrumentalisten entspricht höchstem Standard. Der natürliche Hall des Kirchenraumes wurde entsprechend der räumlich-perspektivischen Dimension des Werkes annähernd realistisch abgebildet. Über die Lautsprecher sind die einzelnen Vokal- und Instrumentalchöre in ihrer räumlichen Relation zueinander ortbar.

    Diese Neuproduktion aus der Archivreihe der Deutschen Grammophon macht außerdem mit drei Kirchensonaten Bibers bekannt, die wegen ihrer erheblichen spieltechnischen Anforderungen berühmt und gefürchtet waren. Darunter die mit acht Trompeten und Pauken besetzte "Sonata Sancti Polycarpi", die an den frühchristlichen Märtyrer Polycarp von Smyrna erinnert. * Musikbeispiel: Heinrich Ignaz Franz Biber - aus: Sonata Sancti Polycarpi Die Neue Platte. In unserer heutigen Sendung brachten wir Ausschnitte aus der "Missa salisburgensis", die nach neuesten musikwissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Feder von Heinrich Ignaz Franz Biber stammt. Das Werk ist in einer Aufnahme mit Musica Antiqua Köln unter Reinhard Goebel und dem Ensemble Gabrieli Consort & Players unter Paul McCreesh in der Reihe Archivproduktion der Deutschen Grammophon erschienen. Außerdem hörten Sie zum Schluß Bibers "Sonata Sancti Polycarpi", die zusammen mit zwei weiteren Kirchensonaten des Komponisten auf derselben CD zu hören ist.

    Am Mikrophon verabschiedet sich Norbert Hornig.