
"Würden Sie mit mir sterben wollen?"
So fragt der junge, offenkundig recht schüchterne Mann sehr unvermittelt eine fremde Dame. Die errötet und blickt noch ein wenig entschlossener zu Boden, auf das geometrische Muster eines Sessels in einem alten Salon.
Der junge Mann mit dem merkwürdigen Ansinnen ist ein Dichter und heißt Heinrich - doch auch wenn dieser Film im Preußen zur Zeit Napoleon Bonapartes spielt und die Vorgeschichte eines Doppelselbstmordes am Wannsee erzählt, ist dies keine filmische Spekulation und erst recht kein Dokudrama über Heinrich von Kleist, Henriette Vogel und deren gemeinsames Schicksal.
Dies ist auch kein Film, der irgendetwas historisch Verbürgtes über jene Epoche um 1800 aussagt, in der Kleist seine Texte schrieb, die wie kaum andere zum Ausdruck der geistig-ästhetischen Revolution wurden, an der er Teil hatte. Ein paar hübsche Kleist-Sätze dekorieren zwar die Einfalle und Erfindungen der Macher. Die Kostüme und Möbel entsprechen auch weitgehend unserer heutigen Vorstellung der Epoche - mehr historischen Bezug gibt es nicht.
Die Epoche zwischen 1750 und 1848 hat in den letzten Jahren zahlreiche Filmemacher zu sehr unterschiedlichen Werken inspiriert, sei es die längst abgeebbte Flut der Jane-Austen-Verfilmungen, Massenware wie "Goethe!" und "Die Vermessung der Welt" oder seien es originellere und differenziertere Werke wie Sofia Coppolas "Marie Antoinette" oder zuletzt Dominik Grafs "Die geliebten Schwestern".
Unter diesen zahlreichen Filmen ist "Amour Fou" ein Solitär und verhält sich zu seinem historischen Gegenstand allenfalls wie der zu Unrecht vergessene "Baader" von Christopher Roth. Dazu fehlte nur noch, dass sich Jessica Hausners Heinrich am Ende des Films doch nicht umbringt. Soviel Chuzpe geht Hausner, neben Michael Haneke die interessanteste und begabteste österreichische Regisseurin nicht nur ihrer Generation, allerdings ab. Auch der Name Kleist fällt aus guten Gründen nie.
Alles in allem tut man "Amour Fou" daher einen Gefallen, wenn man ihn als völlige Fiktion begreift.
"Es gibt kein anderes Leben als dieses hier. Man kann nicht wählen" – "Doch Liebste, ich denke schon, dass manches doch gewählt werden kann ..."
Heinrich und Henriette sind lose Bekannte, sie lieben sich nicht, aber vertrauen einander, zumindest so weit, dass es zu den Vorbereitungen ihres gemeinsamen Freitods taugt. Henriette ist eher noch die Hauptfigur als Heinrich: Eine verheiratete Mutter und chronisch krank. Heinrich, jener merkwürdige Poet, ist von Hausner als egoman und frivol gezeichnet, ein Mensch ohne erkennbaren Leidensdruck. Eine Lachnummer.
Artifiziell, starr, leblos
Hausner interessiert an ihrem Stoff das Frauenschicksal und dessen feministische Konsequenzen. Henriette ähnelt darin Hausners anderen Frauenfiguren - in "Lourdes" oder "Lovely Rita": Verloren, passiv, dabei gierig auf Neues und offen, wird sie zum Opfer der Rituale einer männergeprägten Welt. Ihr letzter Satz bricht einfach ab: "Was ich noch sagen wollte..."
"Wo die Berge so blau, aus dem nebligen Grau..."
Stilistisch ist dies ein Antikostümfilm-Kostümfilm, eine didaktische Lektion für alle, die in vergangenen Zeiten schwelgen möchten: Eintauchen darf nicht sein, Anteilnahme ist Trug, zur moralisch-politischen Empörung soll es nicht kommen. Abbilder gehören gefälligst dekonstruiert und Wahrheit ist sowieso Illusion - dies allerdings ist inzwischen selbst akademischer Mainstream geworden.
Der Ton der Schauspieler schwankt zwischen Bresson'schem "leer sprechen", Rohmer'scher Zurückhaltung, und unvermitteltem Overacting, wie man es von Theaterschauspielern kennt, wenn sie selten vor der Kamera stehen.
Die Bilder von Martin Gschlacht sind makellos, aber auch clean; ihre Aseptik steigert den Eindruck des Artifiziellen noch. Alles ist starr und leblos, es gibt keine Zooms und keine Schwenks, keine einzige Kamerafahrt, bis auf eine am Ende - der Tod als Befreiung aus einem Lebenskäfig?
"Sterben muss doch wohl jeder für sich allein, daran können auch sie nichts ändern." - "Oh doch. Wir werden sehen."
Noch nie hat Hausner so wenig spielerisch gewirkt, noch nie so skrupulös, wie in ihrem ersten Werk mit einem historischen Sujet. Während Dominik Grafs "Die geliebten Schwestern" ein Film der Bewegung ist, so ist "Amour Fou" ein Film der Starre. So wie Graf uns die Figuren nahe bringen, das, was an ihnen aktuell, universal und heutig ist, herausarbeiten will, so möchte "Amour Fou" uns seine Figuren fern halten. Im Gegensatz zum konventionellen Historienkino setzt Hausner statt auf Verfremdungseffekte auf reine Künstlichkeit. Nur die Hunde sind hier lebendig. Von Kleist hätte man allerdings lernen können, dass Ratio und Anmut, Kontrolle und Grazie einander bedingen.