Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Heinz Galinski - mehr als ein Repräsentant der Juden in Deutschland

Mit Heinz Galinski erhielt die jüdische Präsenz im westlichen Nachkriegsdeutschland einen besonderen Vertreter. Für ihn gab es keine Kollektivschuld, keine Verantwortung der jungen Generation für das Geschehene. Aber er erwartete, dass sich auch die Nachgeborenen mit der Geschichte ihres Landes auseinandersetzten.

Von Rolf Wiggershaus | 28.11.2012
    Im Juli 1992 fand im Jüdischen Gemeindehaus in Berlin die Trauerfeier für Heinz Galinski statt, den Vorsitzenden dieser Gemeinde und Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zum Abschluss erklang der hebräische Trauergesang "Ewiger, was ist der Mensch", gesungen von Oberkantor Estrongo Nachama – ein Überlebender von Auschwitz wie Heinz Galinski, der während mehr als vier Jahrzehnten die vernehmlichste Stimme der Juden in Deutschland gewesen war.

    "Ich komme mir manchmal vor wie ein einsamer Rufer. Aber ich habe nicht Auschwitz überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen."

    Heinz Galinski kam am 28. November 1912 in Marienburg im damaligen Westpreußen als einziges Kind einer streng religiösen jüdischen Familie zur Welt. Die Eltern hatten ein Textilgeschäft und auch der Sohn wurde Textilkaufmann. Vor zunehmenden antisemitischen Schikanen suchten die Mutter mit ihrem schwerkriegsbeschädigten Mann und Heinz Galinski mit seiner ersten Frau Zuflucht in der Anonymität der Großstadt Berlin. Dort wurden sie mit Ausnahme des kranken Vaters zur Zwangsarbeit in Rüstungsbetrieben verpflichtet. Im Februar 1943 trieben Gestapo-Leute sie zur Sammelstelle für die Transporte nach Auschwitz. Der nicht transportfähige Vater kam auf die Polizeistation des Jüdischen Krankenhauses und starb dort 14 Tage später.

    "Ich habe als einziger meiner Familie überlebt, und wenn Sie mich fragen: Wie war das möglich?, dann sage ich Ihnen: Ich bin ein Überlebender durch Zufall."

    Zurück in Berlin war er im Hauptamt für die Opfer des Faschismus tätig und maßgeblich an der Ausarbeitung der ersten Entschädigungs- und Versorgungsgesetze für rassisch, politisch und religiös Verfolgte beteiligt. Doch bleiben wollte er so wenig wie andere Überlebende. Er und seine zweite Frau standen 1948 kurz vor der Auswanderung nach Amerika und gaben dieses Vorhaben nur wegen der Frühgeburt ihrer Tochter auf.
    Fortan galt Galinskis Engagement vor allem der Jüdischen Gemeinde Berlin, deren Vorsitzender er 1949 nach der Auswanderung seines Vorgängers wurde.

    1954 wurde Galinski auch der erste Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dessen Führung übernahm er noch einmal 1988 nach dem Tod des später als Betrüger entlarvten Werner Nachmann. Sein Leitprinzip war in all den Jahrzehnten angesichts der historischen Erfahrungen der Juden: "Assimilation nein, Integration ja".

    "Ich bin stolz darauf, dass ich diese jüdischen Gemeinde ... nicht abgekapselt habe von unserer Umwelt, sondern diese jüdische Gemeinde zu Berlin ist ein lebendiger Bestandteil des kulturellen und des gesellschaftlichen Lebens in dieser Stadt."

    1987 ernannte die Stadt Berlin ihn zu ihrem Ehrenbürger. Seine Dankesrede zeugte von politischem Realitätssinn.

    "Der demokratische Aufbau des neuen Berlin war die einzige Chance, nicht nur für uns, für die Jüdische Gemeinde. Und es gab von Anfang an Menschen, die es sehr wohl verstanden haben, dass es bei der Wiederaufnahme der Bundesrepublik in die Völkergemeinschaft von entscheidender Bedeutung sein wird, ob und wie jüdisches Leben in Deutschland wieder möglich sein würde, ob und wie es dieses Land schafft, sich seiner Vergangenheit zu stellen."

    Wie in allen seinen Reden hob er auch bei dieser Gelegenheit die Bedeutung des jüdischen Staates für jüdisches Selbstbewusstsein überall in der Welt hervor. Ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens zu sein und gleichzeitig aufzutreten, als sei er der Botschafter Israels, bereitete ihm keine Schwierigkeit. Ein Repräsentant der Juden in Deutschland vom Gewicht Galinskis war nach dessen Tod noch einmal Ignatz Bubis, bei dem sich ebenfalls die moralische Autorität des Überlebenden der Shoah mit politischem Engagement verband. Welche Probleme die Zukunft bereit hielt, deutete bereits Galinski an:

    "Inzwischen sind Juden aus Polen, aus der Sowjetunion, aus Rumänien, der Tschechoslowakei gekommen, und deswegen gibt es ein Judentum in Deutschland. Was daraus einmal in 10, 15 oder 20 Jahren werden kann – das kann man nur der Zukunft überlassen."