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Archiv

Heinz Rühmann
Kindheit in der Gaststätte

Die Stadt Wanne-Eickel ist stolz auf ihren berühmtesten Sohn: Heinz Rühmann. Der verbrachte seine Kindheit in der Bahnhofsgaststätte seiner Eltern. Dort stand er bereits als Vierjähriger zur Unterhaltung der Gäste auf der Bühne.

Von Gerd Michalek | 12.01.2014
    Der Bahnhof Wanne-Eickel ist kein wirklich anziehender Ort. Der lang gezogene Flachbau unterhält heute einen Kiosk, eine Backfiliale und eine schummrige Gastwirtschaft.
    "Wir stehen jetzt vor der Gaststätte des Wanne-Eickler Bahnhofs, das ist aber nicht mehr die Originalgaststätte, in dem die Rühmanns ihr Geschäft hatten. Mit dem Neubau des Bahnhofs wurde 1913 begonnen, vorher stand der Bahnhof ein Meter vor dem jetzigen. Neben dem Bahnhof Wanne war die Gaststätte der Rühmanns, ein einfacher Holzbau."
    Stadtarchivar Jürgen Hagen steht in der Halle des Bahnhofs, der vor 100 Jahren wirtschaftlich aufblühte, zumal er an einem wichtigen Verkehrsknoten lag. In der Boomzeit von Kohle- und Stahlindustrie, genau auf der Achse Dortmund-Essen, hieß Wanne bald die "Stadt der 1000 Züge". Unzählige Waggons ratterten an der Gastwirtschaft vorbei, die Hermann Rühmann 1902 gepachtet hatte.
    "Die Bahnhofs-Wirtschaft wurde von Vater Rühmann als Goldgrube bezeichnet. Allein die Automaten, die Rühmann senior als einer der ersten zwischen den einzelnen Wartesälen aufgestellt hatte, warfen schon so viel Gewinn ab, dass davon der Lebensunterhalt der Familie bestritten werden konnte. Auch die Küche der Mutter war legendär. Es gehörte zum guten Ton der Wanner Bürger, Samstagabends oder Sonntagmittags zu den Rühmanns in die Gaststätte zu gehen und dort sein Essen einzunehmen."
    Spielwiese des kleinen Heinz
    Jürgen Hagen blättert durch die Archiv-Akte "Rühmann", bis er stolz ein DIN-A-Blatt mit schwungvoller Handschrift präsentiert. Heinz Rühmann war bereits 77, als er im Mai 1979 ein Grußwort zum 75. Jubiläum seiner alten Schule, des Gymnasiums in Eickel, schickte.
    "Mein altes Gymnasium, ich grüße dich! Damals wohnte ich auf dem Bahnhof in Wanne. Ein kleiner Junge als Sextaner marschierte durch die Fahrkartensperre hindurch, die Straßen entlang, an der Metzgerei Lesen vorbei zu deinem mir unendlich groß erscheinenden Schulgebäude. Auf dem Heimweg wurden Straßenschlachten geliefert, ich trage heute noch eine Narbe."
    Das Leben im Bahnhof muss im Jahre 1910 recht kurzweilig gewesen sein. Dort, wo heute die Filiale einer Fast-Food-Kette steht, befand sich sozusagen die Spielwiese des kleinen Heinz.
    "Und nachmittags vor dem kleinen Bahnhofsgarten: Schleuderball gespielt. Eine große Lokomotive, die vorne einen großen Haken hatte, nahm den Ball mit fort nach Gelsenkirchen, wo wir ihn abholen durften. Eine glücklich-unbeschwerte Zeit mit einer geliebten Mutter, die immer voller Sorge war, umgeben von guten Freunden, die wenn auch nicht alle, heute noch da sind. Mein altes Gymnasium, so alt bist du gar nicht, etwas jünger als ich, aus dir kann noch was werden. Ich grüße dich. Dein Heinz Rühmann."
    Klein-Rühmann auf der Gaststätten-Bühne
    Mag Rühmanns Kindheit auch recht unbeschwert gewesen sein: So ganz freiwillig waren seine ersten Bühnenauftritte im Bahnhofssaal wohl nicht.
    "Die Rühmanns hatten eine Haushaltshilfe, die gute Dame hieß Wilhelmine Mertens. Sie erinnert sich an die ersten Theaterauftritte, die der gerade einmal vierjährige Heinz unter der Regie des Vaters absolvierte. Der Vater holte den Sohn hin und wieder aus dem Bett und stellte ihn mitten unter die Gäste auf einen Stuhl. Dann sorgte Klein-Rühmann für die Unterhaltung der Gäste."
    Ein paar Kilometer vom Bahnhof entfernt entdeckte Rühmann schließlich diejenige Leidenschaft, die ihn 30 Jahre später zum Publikumsliebling im Kino machte.
    "Ja, vom Motor ist ein Stückchen weg, mit 'nem neuen könnte ich wieder starten."
    "Er berichtet selber, dass er als Junge tagelang auf dem "Flugplatz Wanne-Herten", der zu Pfingsten 1912 eingeweiht wurde, herumlungerte. So nannte er es. In seiner Erinnerung sagte er: Ich bin immer glücklich gewesen, wenn ich bei Mechanikern und Piloten sein durfte, wenn sie an etwas herumbastelten. Es roch so schön nach Öl und Benzin. Später machte er ja selbst den Flugschein und übernahm sogar bei den Dreharbeiten zu dem Film "Quax der Bruchpilot" selber die Flugszenen - und auch die Kunstflugszenen, die dort zu bewundern sind."
    Umzug nach Essen
    1913 - genau vor 100 Jahren - endete das Wanner Bahnhofsleben für den elfjährigen Schüler. Familie Rühmann ging zurück in die alte Heimat Essen, weil dort der Vater Chef des mondänen "Hotel Handelshof" wurde. Doch dies war keine gute Wahl. Der Senior übernahm sich finanziell und musste bald Insolvenz anmelden. Die Ehe zerbrach. Es wird vermutet, dass sich Hermann Rühmann 1915 in Berlin das Leben nahm.
    "Die Mutter musste jetzt mit einer knappen Witwenrente auskommen und zog mit den drei Kindern nach München, da ihr gesagt wurde, dass diese die billigste Stadt in Deutschland sei. Kann man heute gar nicht mehr so nachvollziehen!"