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Heiß und klebrig

Physik. - Die so genannte Casimir-Kraft ist eines der weniger bekannten quantenmechanischen Phänomene. Dabei nutzt sie zum Beispiel der Gecko, um kopfüber an der Decke zu kleben. Ihren Ursprung hat sie in winzigen Energiefluktuationen des leeren Raumes. Die dubiose Kraft aus dem Nichts bewirkt, dass sich neutrale Atome und Moleküle elektrisch anziehen, wenn sie einander nahe kommen. Mit kalten Atomen hat der Nobelpreisträger Eric Cornell die Quantenmechanik nun genauer untersucht.

Von Ralf Krauter |
    Eric Cornell arbeitet immer noch dort, wo er einst Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat: Am JILA in Boulder, einem Forschungsinstitut das die Universität von Colorado gemeinsam mit dem nationalen Institut für Standards und Technologie betreibt. 1995 gelang es Cornell hier erstmals, aus kalten Gaswolken einen neuartigen Materiezustand herzustellen: Ein Bose-Einstein-Kondensat, in dem Millionen von Atomen zu einem Kollektiv verschmelzen. Was damals eine Sensation war, sei heute reine Routine, erklärt der Nobelpreisträger in seinem Labor.

    " Ich habe diesen speziellen Materiezustand jetzt bestimmt schon eine Million mal hergestellt. Mit der Apparatur, die sie hier sehen, gelingt das im Minutentakt. Außerdem habe ich fleißige Studenten, die 16 Stunden am Tag arbeiten. Da kommt schon einiges zusammen. "

    Eric Cornell zeigt auf einen Vakuumtank, in dem sechs gekreuzte Laserstrahlen einen Haufen Rubidiumatome auf einige Tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt kühlen. Beim Verdampfen der energiereichsten Atome sinkt die Temperatur der Gaswolke dann auf wenige Milliardstel Grad - kalt genug für die Entstehung des Bose-Einstein-Kondensats. Bei ihrer jüngsten Arbeit ging es den Forschern aber gar nicht mehr um die ultrakalten Atomkollektive an sich.

    " Es war eins der ersten Experimente, bei dem wir Bose-Einstein-Kondensate lediglich als hilfreiches Werkzeug benutzten, um ein ganz anderes Problem zu untersuchen. "

    Dazu brachten die Forscher die gleichgeschalteten Rubidiumatome auf Tuchfühlung mit einem verspiegelten Glasplättchen. Laut Quantenmechanik führen winzige fluktuierende elektromagnetische Felder dazu, dass sich die Atome schwach zu der Glasoberfläche hingezogen fühlen. Casimir-Kraft, so heißt der Effekt im Fachjargon. Die Forscher in Boulder haben sie nun genauer denn je vermessen.

    " Wir fangen unsere tiefgekühlten Atome in einer unsichtbaren Magnetschale. Gibt man den Atomen darin einen Schubs, pendeln sie wieder in ihre Ausgangslage zurück - etwa so, wie die Erbsen in einer Salatschüssel immer wieder zu Boden rollen. Wenn wir den Boden der Magnetschüssel bis auf wenige Mikrometer an das Glasplättchen heranbringen, zerrt es ein wenig an den Atomen in der Schüssel. Die winzige Casimir-Kraft verändert die Frequenz mit der die Atome in ihren Ausgangszustand zurückpendeln. "

    Indem die Forscher das Glasplättchen aufheizten, konnten sie präzise vermessen, wie sich die quantenmechanische Kraft aus dem Nichts mit der Temperatur verändert. Die Ergebnisse decken sich mit den Vorhersagen: Je höher die Temperaturdifferenz zwischen kalten Atomen und heißem Glasplättchen, desto stärker fühlen sich die Atome zur Oberfläche hingezogen. Nach praktischen Anwendungen befragt, verweist Eric Cornell auf Eidechsen und Geckos. Dass die an der Decke kleben, verdanken sie feinsten Härchen an ihren Füßen, die dank Casimir-Kraft an jeder glatten Oberfläche haften.

    " Eidechsen haben ja so einen starren Blick. Vielleicht liegt das daran, dass sie zulange über die Quantenmechanik nachgedacht haben. "

    Wirklich interessant könnten die Resultate aus Boulder vor allem für Nanotechnologen sein.

    " Beim Bau winziger Maschinen geraten Motoren und Getriebe schnell so klein, dass sich ihre beweglichen Teile extrem nahe kommen. Die Casimir-Kraft führt deshalb häufig dazu, dass sie zusammen kleben und so etwa ein Getriebe blockieren. Diese Kraft besser zu verstehen, könnte deshalb helfen, solche Nanomaschinen zu konstruieren. "