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Heiße Scheinwerfer zwischen den Sternen

Auszeichnungen. – Während die beiden anderen Teilhaber an der höchsten Auszeichnung in der Disziplin Physik sich mit nahezu unwirklichen Teilchen beschäftigten, zielte Riccardo Giacconi auf Objekte von ganz anderen Dimensionen: Als der junge Physiker vor 40 Jahren einige Geigerzähler für wenige Minuten hoch in die Atmosphäre schoss, stieß er erstmals auf andere Röntgenlichtquellen neben der Sonne. Damit war das Fundament für eine weitreichende Erforschung des Kosmos gelegt.

    Der US-Amerikaner italienischer Herkunft gilt unter Kollegen als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Röntgenastronomie. Zurzeit leitet der 71jährige Giacconi das Associated Universities Institute, Inc. in Washington, einen Zusammenschluss privater Universitäten, der sich der Forschung, Entwicklung und Lehre physikalischer, biologischer und technischer Wissenschaften verschrieben hat. "Wenn man den ersten Schock einmal überwunden hat, ist es ein gutes Gefühl", freut sich Riccardo Giacconi. Interessant sei vor allem die persönliche Wahrnehmung eines gewachsenen Faches der Astronomie, in dem er das Glück habe, von Anfang an dabei gewesen zu sein, so der Wissenschaftler.

    Am 18. Juni 1962 schoss der damals gerade 30jährige Riccardo Giacconi eine mit Geigerzählern bestückte Rakete hoch in die Atmosphäre. Zwar dauerte der Parabelflug nur wenige Minuten, dennoch entdeckte der Physiker mit seinen Messinstrumenten dabei das erste astronomische Objekt, das außer der Sonne im Röntgenlicht strahlt. Mit diesem Flug begann die Ära der Röntgenastronomie und mit ihr der Blick in das "heiße" Universum. Denn die harte Strahlung wird nur bei den energiereichsten Prozessen im Kosmos frei, beispielsweise wenn Materie in ein schwarzes Loch gesogen wird und sich dabei extrem aufheizt. Die Astronomen sehen die Sterne so buchstäblich in anderem Licht. "Im Gegensatz zu herkömmlichen astronomischen Aufnahmen ist der ganze Himmel erfüllt von einem diffusen Leuchten", erklärt Günther Hasinger vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching bei München und bei vielen Projekten ein Kollege des frischgebackenen Nobelpreis-Laureaten.

    Ähnlich wie an klaren Nächten zu erkennen ist, dass die Milchstraße aus zahllosen Sonnen besteht, sind auf radioastronomischen Aufnahmen die schier unendlich vielen Quellen der Röntgenquellen zu erkennen. Doch nicht mit herkömmlichen Teleskopen, sondern mit aufwändigen Röntgensatelliten gehen Radioastronomen heute auf die Jagd nach heißen Quellen im All. "Wir entdeckten, dass das Leuchten von vielen Millionen einzelnen Objekten stammt. Dabei handelt es sich um viele Schwarze Löcher, die die Zentren von weit entfernten Galaxien bilden", erklärt Hasinger. Wie Spinnen in ihrem Netz sitzen sie im Kern der Galaxien und warten darauf, dass ihnen Materie zu nahe kommt. Die Masse der Objekte mit gewaltiger Anziehungskraft erreicht das Millionenfache der Sonne. Die nur im Röntgenbereich gut zu beobachtenden Schwarzen Löcher sind trotz ihrer vernichtenden Aufgabe geradezu existentiell wichtig für unseren eigenen kosmischen Werdegang: "Es zeigte sich, dass jedes dieser Schwarzen Löcher ein integraler Bestandteil einer Galaxie ist. Stoßen etwa zwei kleinere Galaxien zusammen, verschmelzen dabei auch ihre Schwarzen Löcher. Das diffuse Leuchten, das den Hintergrund der heißen Strahlungspunkte bildet, ist quasi der letzte Hilferuf der Materie, kurz bevor sie in das Schwarze Loch gezogen wird." Verschmelzen zwei Galaxien, dann stürzt viel Gas in die Schwarzen Löcher und erhitzt sich bei der immer schnelleren Fahrt auf viele Millionen Grad und strahlt dann im Röntgenlicht.

    Das große Fressen in der Frühzeit des Kosmos zeigt sich noch heute in den Röntgenteleskopen der Astronomen und stellt ein lebendiges Geschichtsbuch der Astronomie dar. Doch auch bei der ominösen Dunklen Materie spielt die Röntgenstrahlung eine bedeutende Rolle. Große Ansammlungen von Galaxien, so genannte Galaxienhaufen, zeigen im energiereichen Spektrum riesige Mengen heißen Gases, in das die wenigen sichtbaren sichtbaren Galaxien eingebettet liegen. Eigentlich müsste sich dieses Gas längst verflüchtigt haben, doch offenbar halten große Mengen unsichtbarer Materie mit ihrer Gravitation das heiße Gas fest im Griff. Doch woraus die Dunkle Materie besteht, ist eines der ungelösten Geheimnisse der Astrophysik. Die Röntgenastronomie wird helfen, es zu lösen. Riccardo Giacconi, der in den 90er Jahren als Chef der Europäischen Südsternwarte das so genannte Very Large Telescope zum Erfolg führte, erlebt mit der Verleihung des Nobelpreises die Blüte der von ihm begründeten Röntgenastronomie.

    [Quelle: Dirk Lorenzen]