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Heißer Herbst

Erinnern wir uns: Philippe Djian schrieb mit "37,2° am Morgen" den erfolgreichsten französischen Roman der 80er Jahre. Das Buch wurde von Jean-Jacques Beineix mit Beatrice Dalle und Jean Huques Anglade unter dem Titel "Betty Blue" verfilmt. Der Erfolg Djians schien zunächst ein bißchen anrüchig, ignorierte dieser Autor doch mit verblüffender Nonchalance alle etablierten Normen. Die alten Formalisten und die neuen Philosophen, die in Paris den Ton angaben, deprimierten ihn mehr als daß sie ihn anregten. Djian las lieber die Amerikaner: Henry Miller, Hemingway, Faulkner, Kerouac, John Fante, Bukowski, Brautigan, Carver. Bei ihnen fand er, woran es seinen Landsleuten fehlte:

Daniel Dubbe |
    "Die Freiheit des Tons, die Suche nach dem Wort, das genau traf: all das interessierte mich sehr, und es bewirkte, daß ich Lust bekam, mich meinerseits an die Arbeit zu machen". Im literarischen Milieu und in der literarischen Landschaft von Paris fühlte ich mich damals fehl am Platze, aber ich wollte mich nicht ausschließen. Ich hatte den Eindruck, dasselbe zu machen wie die Leute, die ich bewunderte. Als mein erstes Buch in Frankreich herauskam, wirkte es ein bißchen außenseiterisch, meinem eigenen Verständnis nach sollte es das aber nicht sein".

    Immer wenn ich in den 90er Jahren nach Frankreich kam - im Abstand von vielleicht anderthalb oder zwei Jahren - sah ich einen neuen "Djian" im Schaufenster liegen, in der Regel gut sichtbar in die Mitte gestellt. "Sotos" (1993), "Assassins" (1994), "Criminels" (1996), "Sainte-Bob" (1998). Dieser Autor schien mir erstaunlich produktiv. Dazu Dijan:

    "Ich bin nicht sehr produktiv. Ich weiß auch nicht: ich hab in rund zwanzig Jahren vielleicht ein Dutzend Bücher geschrieben. Das ist nicht überragend. Ich kenne Schriftsteller, die bringen wesentlich mehr als ich".

    Wer einmal ein Buch wie "Betty Blue" geschrieben hat, wird immer wieder an ihm gemessen. Das Image des hochproduktiven Romanciers des Rock-Zeitalters kann auch eine Last sein:

    "Ich hab' mich inmmer davor gehütet, "Betty Blue", das ja einen enormen Erfolg hatte, nochmal zu schreiben. Das war es, was man von mir erwartete. Es gab diesen Druck". "Ich hätte nicht die Kraft, immer wieder mit Schreiben anzufangen, wenn ich den Eindruck hätte, mich zu wiederholen. Es gibt also diesen Willen, einen anderen Ton anzuschlagen und die Perspektive zu wechseln".

    Mit "Heißer Herbst" (französischer Titel "Sainte-Bob") beendet Philippe Djian, nach den Bänden "Mörder" und "Kriminelle", seine "Sainte-Bob-Trilogie". Alle drei Bücher spielen in einer kleinen Stadt an einem imaginären Fluß mit Namen "Sainte-Bob". Teilweise haben wir es in den drei Büchern auch mit denselben Personen zu tun. Alle drei Bücher sind "typisch Djian", aber formal doch wieder sehr verschieden.

    "Mörder" hat eine interessante Story, "Kriminelle" besteht fast nur aus Dialogen und der abschließende Band "Heißer Herbst ist fast so etwas wie ein intimer, psychologischer Roman. Der Erzähler Luc Paradis ist 47, ein ehemals erfolgreicher,jetzt heruntergekommener Schriftsteller, Autor, nebenbei gesagt, der beiden Romane "Mörder" und "Kriminelle". Seit ihn vor drei Jahren seine Frau Eileen verließ, lebt Luc Paradis in der Hölle:

    "Es geht um einen Schriftsteller, dem eine entsetzliche Geschichte passiert: Seine Frau, die er immer noch liebt.. hat ihn verlassen. Und er denkt: da er Schriftsteller ist, so besteht die einzige Chance, darüber wegzukommen und sich zu retten darin, sich der Literatur zu bedienen".

    Djian benutzt immer wieder die gleichen erzählerischen Muster. Verlassene Ehemänner hatten wir bei ihm schon häufig. Aber ganz erstaunlich, was Djian aus diesem spröden Stoff macht. Wie in seinen früheren Büchern haben wir als Leser das Gefühl, selbst in der Haut seiner Hauptfigur Luc Paradis zu stecken, gebeuteit und erledigt wie er, aber auch ein wenig hinterlistig und intrigant. "Heißer Herbst' spielt im Oktober, das Klima ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Und vor der Tür von Luc Paradis steht seine Schwiegermutter Josianne, die Mutter seiner Ex-Frau.

    Frauen, die sich beim Erzähler einnisten, kommen bei Philippe Djian in allen Variationen immer wieder vor: Cäcilia, noch minderjährig, steigt in 'Erogene Zone' durchs Badezimmerfenster ein. Auch Betty Blue steht mit ihren Koffern vor der Tür. Ebenso Eileen mit den feuerroten Haaren in "Mörder". Und in "Heißer Herbst" ist es jetzt Josianne. Sie ist schon 63, aber immer noch bemerkenswert attraktiv. Besitzt Philippe Djian vielleicht selbst eine derart verführerische Schwiegermutter wie in seinem neuen Roman? Dazu Dijan:

    "Nein, das ist völlig fiktiv. Ich mag meine Schwiegermutter sehr, aber soweit geht es nicht. Sie ist nicht die Person im Roman". Es ging auch darum, mich jetzt einmal für die Sexualität einer Frau zu interessieren, die die 60 schon hinter sich hat, und die ich sehr aufregend und schön fand. Es geht immer auch darum, Wege zu erforschen, die noch nicht so ausgetreten sind".

    Nicht die Story entscheidet über die Qualität eine Romans. Auch Ideen interessieren Djian nicht sonderlich. Denn Ideen hat jeder. Was zählt, ist der Stil. Eine Bemerkenswerte Aussage bei einem Autor, der bekanntlich nicht das schreibt, was wir landläufig unter einem guten Stil verstehen:

    "Ich denke, ein Schriftsteller wird interessant, wenn man begreift, daß seine Stimme wirklich etwas Besonderes ist; daß es sich nicht um irgendeine Stimme handelt. Man muß es schaffen - und das ist sehr, sehr schwierig -, seine eigene Musik in Worte zu fassen. Das ist ein hartes Stück Arbeit. Sich eine Geschichte auszudenken, ist im Vergleich nicht sonderlich schwer. Nicht die Geschichte interessiert mich, sondern: wie und mit weichem Blick wird sie gesehen? Und wie kommt es, daß man plötzlich einen Schriftsteller und eine lebendige Person hinter einer Geschichte wiedererkennt? Was das bewirkt, das ist der Stil. Wenn ich morgen denken würde, daß ich nicht mehr originell bin, würde ich wahrscheinlich mit dem Schreiben aufhören. Es wär nicht mehr von Interesse".