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"Heißes Herz und saubere Hände"

Selten geschieht es, dass ein eigentlich verspätet herausgegebener Titel dennoch bündig in das aktuelle Tagesgeschehen passt. "Das Schwarzbuch des KGB – Band 2" von Christopher Andrew und Wassilij Mitrochin gehört ganz eindeutig dazu.

Von Robert Baag | 31.07.2006
    "Moskaus Geheimoperationen im Kalten Krieg" sind auf englisch bereits vor über einem Jahr erschienen und ergänzen den schon 1999 präsentierten ersten Band, der sich – so dessen Untertitel – mit "Moskaus Kampf gegen den Westen" befasste. Genauer: mit den KGB-Aktivitäten in den Industrienationen, aber auch bei den eigenen sozialistischen Verbündeten in Ostmittel- und Südosteuropa. Bot schon dieser erste Band, der umfangreiches Archivmaterial des KGB-Überläufers Wassilij Mitrochin auswertete, spannende Lektüre genug – so steht der zweite Band diesem Eindruck keinesfalls nach.

    Hier nämlich analysiert der britische Geheimdienst-Experte Christopher Andrew in Zusammenarbeit mit dem vor kurzem im britischen Exil verstorbenen Ex-KGB-Archivar Mitrochin die sowjetischen Geheimdienst-Aktivitäten in Afrika, in Asien und in Südamerika. Die rund 160 Seiten, die alleine dem Nahen Osten bis zum Beginn der 90er Jahre gewidmet sind, liefern aufschlussreiche Hintergrund-Informationen selbst zu den jetzt aktuellen Konflikten rund um Israel, den Iran, Irak und Syrien. Die Erfolge, aber auch die Fehlschläge sowjetischer Geheimdienstoperationen im arabischen Raum und im Mittleren Osten lesen sich phasenweise spannend wie ein Kriminalroman.

    Zitat:
    "In diesem Krieg herrscht immer Stille,
    ein Schuss fällt hier nur selten,
    Heldentod im Feuergefecht kennt man hier nicht,
    keinen Nahkampf mit dem Bajonett...
    aber in diesem Krieg zu kämpfen
    ist kein bisschen leichter

    Blau leuchtet von oben das Firmament,
    über dem Vaterland, über Russland
    der silberweiß flimmernde Birkenwald
    all das sind nur Träume unter einem fremden Himmel (...)"

    So pseudo-lyrisch, verkitscht und voll verquerer Heldenromantik wie in diesem Filmlied zum sowjetischen Spionage-Thriller "Der Kampf nach dem Sieg" aus der tiefsten Breschnew-Zeit hat der Alltag der so genannten "Kundschafter für den Frieden" nie ausgesehen. Die Wahrheit des geheimen Kriegs war prosaischer, nüchterner, brutaler – manchmal aber auch nur bizarr, neurotisch und lächerlich.

    Die offenen und geheimen Stellvertreter-Kriege der beiden damaligen Supermächte USA und UdSSR in der so genannten Dritten Welt sind in diesem "Schwarzbuch des KGB – Band 2" konzentriert nachbereitet worden. Illustriert wird auf eindrucksvolle Weise deren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs knapp ein halbes Jahrhundert währende, ideologisch gefärbte, verbissene Kampf um die Vorherrschaft in der Welt.

    Der Nimbus der sowjetischen Dienste im heutigen Russland unter dem früheren KGB-Offizier Wladimir Putin ist unangefochten. Mehr noch: Seit geraumer Zeit wird wieder ohne besondere Komplexe und bar jeder selbstkritischen Reflexion in Literatur und Film das hohe Lied der "Tschekisten" gesungen, der "razvedtschiki", der Aufklärer, vulgo: der Spione.

    Immerhin gehörte auch ihr Apparat als tragende Säule zum hoch- wie post-stalinistischen Unterdrückungssystem der UdSSR. Das Selbstbewusstsein der meisten noch lebenden KGB-Spione ist indes ungebrochen, frei von jeglichem Selbstzweifel, und – wie bei dem inzwischen pensionierten KGB-Obristen Sannikov – nicht selten sogar durchtränkt mit einem gehörigen Schuss selektiver Wahrnehmung. Geradezu bockig-auftrumpfend geriert sich der verrentete Spion in einem auch ihn freundlich präsentierenden Dokumentarfilm des russischen Fernsehens, stellvertretend für viele seiner Kameraden:

    Zitat:
    "Ich glaube, ... so wie sich die Situation am Ende ergeben hat..., na, ja, also im Endeffekt haben die den Kalten Krieg gewonnen..., die Politik hat gewonnen, nicht ihr Geheimdienst! – Was nämlich den Geheimdienst betrifft: Da waren wir die Sieger! Nicht weil ich ein KGB-Patriot bin, sage ich das. Das ist eben einfach so! Das ist so!"

    Dem KGB-Oberst im Ruhestand Sannikov wäre schon allein deshalb die Lektüre des im Berliner Propyläen Verlags erschienenen "Schwarzbuch des KGB: Moskaus Geheimoperationen im Kalten Krieg" aus der Feder seines übergelaufenen Kollegen Wassilij Mitrochin sowie dessen Co-Autor Christopher Andrew sehr zu empfehlen. Ein Ratschlag, der bei Sannikov bestimmt verpuffen dürfte. Denn das Buch kratzt dann doch zu empfindlich an der bis heute in Russland gern kultivierten Legende vom allwissend-allmächtigen Eliteclub namens "KGB-Auslands-Spionage", dessen Mitarbeiter ihr Idealbild von sich gern folgendermaßen pflegen:

    Zitat:
    "Kühler Kopf, heißes Herz – und saubere Hände."

    Anspruch hier – Wirklichkeit dort. Auch dies arbeitet das Schwarzbuch überzeugend heraus. Kurz: Allen an Geheimdienst-Thematik und an der Geschichte des Kalten Kriegs interessierten Lesern wird hier ein 880 Seiten umfassendes Buch vorgelegt, das selbst den Preis von 26 Euro rechtfertigt.

    Christopher Andrew: Das Schwarzbuch des KGB 2. Moskaus
    Wassili Mitrochin, Geheimoperationen im Kalten Krieg. Propyläen Verlag, Berlin, 2006,
    880 S., 26 Euro.