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Heiterkeit. Ein Radio-Porträt

Ist dies eine Zeit, in der die Heiterkeit am Platz ist? Das würden wohl die meisten Menschen verneinen. Zu viele schlimme Nachrichten stürmen auf uns ein, und bei manchen gibt es Gründe, der Verzweiflung näher zu sein als der Heiterkeit. Warum dennoch die Rede davon? Festzuhalten ist zunächst nur, dass die Heiterkeit zur Familie der Begriffe gehört, die in der Moderne weitgehend vergessen worden sind. Um zu prüfen, ob dies mit Recht geschah, bedarf es eines Rückgriffs auf die Geschichte des Begriffs, um seine wesentlichen Aspekte zu erschließen. Einer derer, die sehr frühzeitig aufmerksam waren auf das Vergessen der Heiterkeit, ist der Literaturwissenschaftler Harald Weinrich, der schon 1968, also zur Unzeit, "Drei Thesen von der Heiterkeit der Kunst" publizierte. Die Literatur ist auch sein Forschungsfeld in dem hübschen, kleinen Divertimento zur Heiterkeit, das nun in Buchform vorliegt, nachdem der Autor es ein Jahrzehnt lang mit sich herumgetragen und bei verschiedenen Gelegenheiten vorgetragen hat.

Wilhelm Schmid |
    Über der großen Gelehrsamkeit kommt, freilich mit ganz leichter Hand, auch die Arbeit am Begriff nicht zu kurz. Vor allem im Laufe der unvermeidlichen Präsentation vieler Zitate zur Heiterkeit aus Goethes Werk schält sich die große Spannweite des Begriffs heraus. Auch dass eine Stadt wie Venedig serenissima, "die Heiterste" genannt wird, liegt in dieser Spannweite begründet. Denn Heiterkeit ist nicht bloße Fröhlichkeit. Es ist vielmehr eine phänomenale Erfahrung, dass sie sich gerade in der Konfrontation mit der Abgründigkeit der Existenz einstellt. Gerade dann, wenn das Leben schwer wird, ist die Heiterkeit als Erleichterung zu entdecken, die sich dadurch auszeichnet, die zugrunde liegende Tragik nicht zu leugnen. Sie ist die Gratwanderung zwischen Glück und Leid, Freude und Trauer. Gerade dort, wo es ein Bewusstsein für die Unaufhebbarkeit der Abgründigkeit gibt, kann die Heiterkeit sich entfalten. Die "reine Heiterkeit", von der Goethe mit Blick auf Shakespeare spricht, beruht auf dem tragischen Bewusstsein, von dem dessen Dramen künden. Wenn Heiterkeit ein Weg ist, das Leben leichter zu nehmen, dann nur deshalb, weil sie bereit ist, die Abgründigkeit von Leben und Welt anzuerkennen. So wird sie zur Haltung, die die Melancholie nicht mehr ausschliesst, sie lediglich nicht herrschend werden lässt: Das macht bei Goethe die "größere Heiterkeit des Geistes" aus.

    In der Moderne musste die Heiterkeit dagegen "ins Exil": zweifellos aufgrund des modernen Mangels an tragischem Bewusstsein. Wo der Glaube an den Fortschritt bis hin zu dereinst herrschenden paradiesischen Zuständen vorherrscht, bedarf man der Heiterkeit nicht. Dass die Moderne der Versuch war, den fröhlichen Optimismus allein zur legitimen Haltung zu erklären, kommt noch im verzweifelten Positivdenken am Beginn des 21. Jahrhunderts, in der "Showmaster-Spaßigkeit", wie Weinrich sagt, unverfälscht zum Ausdruck. In dieser Orgie des oberflächlichen Optimismus sind nicht mehr allzu viele Menschen anzutreffen, an denen, wie noch Eckermann bei Goethe konstatieren konnte, ein "erhaben-heiteres Wesen" zu beobachten wäre, also eine Haltung, die vieles überblickt, zeitlich, räumlich, sachlich, und vieles gelten lassen kann, auch Abgründiges und Widersprüchliches: denn dies ist gegenüber dem Ernst des Lebens die höhere Heiterkeit der Kunst, die hier zur Lebenskunst wird.

    Zwei Denker des 19. Jahrhunderts, die im modernen Optimismus ein Verhängnis sahen, kamen gegen dessen Eigendynamik nicht an: Schopenhauer und Nietzsche. Sie erinnerten jedoch wieder an das ursprünglich philosophische Verständnis von Heiterkeit, denn in der Tat handelt es sich um einen der ältesten Begriffe der Philosophie, dessen Geschichte in Demokrits Abhandlung "Über die Heiterkeit" aus dem 5./4. Jahrhundert v. Chr. ihren Anfang nahm. Davon ist bei Weinrich nicht mehr die Rede, aber bei dem guten alten Plutarch, der im 1./2. Jahrhundert n. Chr. unter seinen etwa 80 "Moralia" genannten Abhandlungen eine der Heiterkeit widmete, deren Übersetzung ins Deutsche (mit einigen weiteren Texten) endlich wieder neu aufgelegt worden ist. Dass der heitere Mensch kein Gelingen im Leben anstreben sollte, um nicht getroffen zu werden vom "Schmerz über eine nicht gestillte Sehnsucht": das lässt sich von Plutarch lernen. Wenn wir dies versäumen, überfällt uns in der Seele irgendwann die "Reue", die mit ihren Stichen gleichsam der Seele Blut abzapft. Heiterkeit heisst: Ein Leben ohne Reue zu führen, denn die Reue wäre schlimmer als aller Kummer über das, was ohnehin nicht in unserer Macht steht. Es sind die "schönen Tätigkeiten", die keine Reue nach sich ziehen. Heiterkeit, so lässt sich daraus schliessen, erwächst mit der Realisierung des Schönen, womit, wenn man es zu übersetzen versucht, nichts anderes als das uneingeschränkt Bejahenswerte gemeint sein kann, das, denkt man es konsequent, auch seine unvermeidlichen Einschränkungen noch als bejahenswert begreift.

    So wird Heiterkeit vielleicht doch wieder zu einem sinnvollen Begriff für unsere eigene Zeit. Denn es ist wohl an der Zeit, davon abzulassen, immer nur die allgemeine Fröhlichkeit zu simulieren. Wenn Heiterkeit keine Angelegenheit der Moderne war, so fügt ihre Wiederkehr sich in die Konstellation einer anderen Moderne, die sich, wie die Moderne, zwar weiterhin um Veränderung und Verbesserung bemüht, ohne jedoch allzu optimistische Illusionen damit zu verbinden. Irgendwann wird die Frage nämlich nicht mehr lauten, ob die Heiterkeit denn am Platz sei, sondern: Ob ein Leben ohne Heiterkeit überhaupt lebbar ist.