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Held oder Massenmörder?

Einige liberale Intellektuelle in China stellen das Image von Staatsgründer Mao Zedong in Frage. Sie fordern, den großen Steuermann endlich von seinem Podest zu holen und seine menschenverachtende Politik aufzuarbeiten. Doch Neo-Maoisten und Ultralinke verteidigen ihr Idol.

Von Ruth Kirchner |
    Mit dem üblichen Pomp hat die KP China ihren 90.Geburtstag gefeiert: In der Großen Halle des Volkes sangen am Freitag die gesamte Parteiführung und 6000 Genossen die Nationalhymne vor dem gewaltigen Emblem der Kommunisten - Hammer und Sichel. Gleich neben der Großen Halle, auf dem Platz des Himmlischen Friedens, steht das Mao-Mausoleum mit dem aufgebahrten einbalsamierten Leichnam des Großen Steuermanns. Ein großes Porträt von Mao hängt seit Jahr und Tag an der Nordseite des Platzes. Mao ziert außerdem fast jeden Geldschein in der Volksrepublik.

    Er ist überall – und doch spaltet er die Nation. Während das offizielle China ihm zum Parteigeburtstag huldigt, fordert der liberale Ökonom Mao Yushi, der nur zufällig den gleichen Familiennamen trägt, endlich die große Abrechnung mit dem Staatsgründer:

    "Er war ein Diktator, ein grausamer Diktator ohne jede Nachsicht. Seine größten Fehler waren die Kulturrevolution und die verheerenden Hungersnöte Ende der 50er-Jahre. Wegen seiner Fehler sind 50 Millionen Menschen umgekommen. Es war ein gewaltiges historisches Verbrechen."

    Im Westen mag eine Abrechnung mit Mao nichts Neues sein, aber in China kommen solche Sätze im derzeitigen wenig liberalen Klima nicht gut an. Maos Gedankengut mag im Alltag keine Bedeutung mehr haben, doch als Mao Yushi kürzlich in einem Internet-Essay eine Neubewertung Maos forderte, brach ein Sturm der Entrüstung los. Angeführt wird er von jungen Neo-Maoisten und Ultralinken, die derzeit in China lautstark ihre Positionen vertreten. Sie forderten, Mao Yushi wegen Verleumdung vor Gericht zu stellen, sammelten 10.000 Unterschriften für ihr Anliegen. Die Anführer dieser Bewegung lehnen Interviews mit ausländischen Journalisten ab.

    Aber auch die KP hält weiter an Mao fest, betont Parteihistoriker Xie Chuntao:

    "Obwohl Genosse Mao Zedong in seiner späteren Jahren ein paar Fehler gemacht hat, ist er immer noch ein großer Führer Chinas. Genosse Mao hat das Land in die Unabhängigkeit geführt, in die Emanzipation, er hat die Industrialisierung des Landes begonnen. Die Partei und die Menschen werden ihn dafür für immer bewundern."

    Chinas KP will keine Debatte über Mao. Er ist zu eng verwoben mit der Identität der alleinherrschenden Partei. Der kritische Essay des Ökonomen Mao Yushi wurde aus dem Internet entfernt. Die Neo-Maoisten, die zum Kampf gegen den Kritiker geblasen hatten, ließ man weiter gewähren. Ihre Ideen von einer Rückkehr zur Planwirtschaft finden zwar weder in der Partei noch in der Bevölkerung große Unterstützung, aber ihren verklärten Blick auf die Vergangenheit nutzt die KP schamlos für ihre eigenen Zwecke aus.

    Die Neo-Maoisten treffen sich an Orten wie diesem. In diesem stickigen Keller eines Restaurants im Westen Pekings kommen am Wochenende oft hunderte von Menschen zusammen um öffentlichen Vorträgen zu lauschen. An diesem Nachmittag lästert ein bekannter Pekinger Professor, ein Idol der Ultra-Linken, über die Öffnungspolitik von Deng Xiaoping. Es sind nicht die Alten und Ewiggestrigen, die zu diesen Vorträgen kommen, sondern vor allem junge Leute, die enttäuscht sind von der Korruption in der Partei, von einem System, das, so scheint es, zu einem Selbstbedienungsladen für Kader verkommen ist, wie dieser junge Mann kritisiert:

    "Die derzeitige Gesellschaft ist chaotisch, es gibt zu viel Korruption, zu viele Probleme. Mao hat die Menschen in die richtige Richtung geführt. Natürlich gibt es Debatten, aber es gibt nur eine Wahrheit. Die Richtung war richtig."

    Zugleich findet man in diesem Milieu junge Chinesen, bei denen die Partei-Propaganda, vor allem das jahrelange Totschweigen der jüngeren Geschichte zu einer kompletten Verklärung ihres Idols geführt hat. Für die Millionen Hunger-Toten Ende der 50er-Jahre gäbe es doch gar keine Beweise, sagt einer. Auch die Gewalt, die Verfolgungen und die Zerstörung während der Kulturrevolution werden unter den Teppich gekehrt. Auf unzähligen Webseiten wie "Utopia", "Rote Fahne", oder "Der Osten ist Rot" huldigen die Neo-Maoisten dem Großen Steuermann.

    Zuspruch findet unter den Neo-Maoisten auch das Absingen von Liedern aus der Mao-Zeit. Angefangen hatte das in der Mega-Metropole Chongqing im Südwesten, wo der dortige Parteisekretär Bo Xilai, ebenfall ein Idol der Linken, einen Mini-Mao-Kult wiederaufleben lässt. Bo hofft damit nächstes Jahr in den innersten Machtzirkel der Partei, in den ständigen Ausschuss des Politbüros, aufsteigen zu können. Eine harte politische Linie scheint dafür derzeit der sicherste Weg. Wie auch eine Verklärung der Vergangenheit. Zum Jubiläum der Partei hat der rote Kult im ganzen Land seinen Höhepunkt erreicht. Der liberale Ökonom Mao Yushi hält das für extrem gefährlich.

    "Ich mache mir Sorgen. Ich bin schon 82 und lebe nicht mehr lange. Wo aber treibt China hin? Was meine Generation gelernt hat, sollte der nächsten Generation eine Lehre sein. Wir haben einen hohen Preis gezahlt – aber wofür? Wenn die nächste Generation die Geschichte nicht kennt, wird sie die gleichen Fehler machen."

    Mao Yushi weiß viele liberale Denker – auch innerhalb der Partei - auf seiner Seite. Doch nur wenige wagen sich derzeit aus der Deckung. Für eine wirkliche Aufarbeitung der Geschichte ist die Zeit offenbar noch lange nicht gekommen. Gerade erst ist eine offizielle Parteigeschichte über die die Zeit von 1949 bis 1978 erschienen, also über die Mao-Zeit. Das Buch zu schreiben und von über 60 Parteigremien absegnen zu lassen, dauerte sage und schreibe 16 Jahre. Und trotzdem bleibt es auch darin wieder bei der offiziellen Version, dass Mao deutlich mehr Gutes getan als Schaden angerichtet habe. Denn, so einer der Mitarbeiter: Man kann Mao nicht attackieren ohne die Partei anzugreifen.