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Held und Schurke in seiner Allmacht und Ohnmacht: Georgi Dimitroff in seinem Tagebuch 1933 -1943

Er war für viele Jahre ein Held des Antifaschismus, hinter dessen strahlendem Bildnis sich mehrere andere Personen verbargen: einer der umtriebigsten Funktionäre der kommunistischen Partei in ihrer stalinistischen Epoche, ein "Steuermann" der gedachten Weltrevolution, ein wendiger Mitläufer aus der ersten Reihe und einer der einflussreichsten Ideologiebeamten. Mit dem Bulgaren Georgi Dimitroff ist die Geschichte der Komintern, der Kommunistischen Internationale, aufs engste verbunden. Sie war die Moskauer Zentrale, von der aus Gewerkschaften, Organisationen der Arbeiterbewegung. Parteien links von der SPD, auch internationale Pressebüros, Agenten unbekannter Zahl, Aufständische aller Himmelsrichtungen, ja sogar Partisanen und die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg organisieren, lenken und leiten ließen. Seine Stunde als Held schlug, als er am 9. März unter seinem falschen Namen Dr. Rudolf Steiner in einem Berliner Lokal mit zwei bulgarischen Landsleuten verhaftet wurde.

Wilfried F. Schoeller | 11.02.2001
    "Krim(inal)polizei im Reichstag hat mir weggenom: 1. Aktentasche 2. Uhr 3. Brille 4. Füllfederhalter 5. Mexikan(isches) Portmoe (ein Ehering) 6. Ein silbernen Bleistift 7. Zwei kleine Messerhen 8. Kleine deutsch-französische Wörterbuch"

    Und so fort.Mit der Verhaftung begann er, wie früher schon, wieder Notizbücher zu füllen. Diese Texte sind Gedächtnisstütze, Rechenschaftsbericht, Protokoll, Aktenersatz und Tätigkeitsbericht. Er schrieb diese Tagebücher zuerst in einem krausen Deutsch, später in einem nicht ganz korrekten Russisch, schließlich auf Bulgarisch bis 1949. Diese Texte waren im Parteiarchiv der bulgarischen KP so streng sekretiert, dass nicht einmal die Archivare vom Bestand dieser 12 Hefte wussten.

    Der Tod Schiwkows und die Wende haben sie ans Tageslicht gebracht und 1997 die Erstveröffentlichung ermöglicht. Erstmals am 3. April wird er vom Untersuchungsrichter vernommen, sein Geld bleibt beschlagnahmt, eine Berliner Freundin, mit der er unter fingiertem Namen zusammengelebt hat, darf zeitweilig nicht mit ihm korrespondieren, es werden ihm ständige Handfesseln angelegt. Er ist nur durch den Gedanken der Trennung von seiner Anny bewegt, ansonsten erträgt er die Schikanen und Repressalien mit kühlem Gleichmut. Er fühlt sich als Löwe im Käfig und seine Stunde schlägt mit dem ersten Verhandlungstag vor dem Reichskammergericht. Lakonisch bemerkt er zur Anschuldigung, er habe mit Lubbe gemeinsame Sache gemacht. Hierzu Dimitroff:

    "Vernehmung Lubbes - klägliche Eindruck!"

    Als Angeklagter zieht er die Zuhörer durch seine messerscharten Zwischenfragen, seinen Mut und seine Zwischenrufe in seinen Bann; öfter wird er von der Verhandlung ausgeschlossen. Er tritt als sein eigener Anwalt auf; er ist der Gegenspieler von Göring, der nichts unversucht lässt, den politischen Feind zu kriminalisieren. Die Absicht misslingt hochgradig, er wird samt seinen bulgarischen Mitangeklagten freigesprochen wegen erwiesener Unschuld. Lubbe wird zum Tod verurteilt und kurze Zeit danach hingerichtet. Dimitroff erhält aus ganz Europa Solidaritätsbekundungen, Ermutigungen und Einladungen, keineswegs nur von Kommunisten. Er ist zum Heros des Widerstands gegen die Nazis geworden. Aber er bleibt, unter Aufsicht der Gestapo, in sogenannter "Schutzhaft". Nach Bulgarien kann man ihn nicht abschieben, weil sich die dortige Regierung weigert, seine Staatsbürgerschaft anzuerkennen. Am 27. Februar 1934 gelingt endlich die Ausweisung in die UdSSR, weil ihm die sowjetische Staatsbürgerschaft verliehen worden war.

    "Um 7 Uhr - zu "Hause". (...) große Mengen am Flughafen. - Begeisterte Empfang. - Lux! (...) Konferenz mit ausländische Korrespondenten, telefonische Anfrage von Redaktionen aus London, Paris und Berlin -- Blumen und Grüsse von Uljan(owa) und Krupskaja!- -Es ist schwer sich vorstellen, grandiosere Empfang und Symphatie und Liebe- Wie ist alles geändert!"

    Am 3. März wurde Dimitroff bereits von Stalin empfangen. Literarische Zelebritäten wie Henri Barbusse und Romain Rolland feierten ihn, bei den Maifeierlichkeiten in Moskau wurde er auf die Ehrentribüne gehievt, in den Tagebüchern häuft sich die Bemerkung "photografiert" Sein Aufstieg war unvermeidlich. Für den VII Weltkongress der Komintern bereitete er die Tagesordnung vor und hielt das Grundsatzreferat. 1935 wurde er Generalsekretär der Komintern, der wichtigste Mann. Als Kaderchef hatte er eine Person seines Vertrauens: Dimitri Sacharowitsch Manuilski. Es begann die im Leben Dimitroffs wichtigste Etappe seines Lebens. Er war Exponent der Stalinschen Politik, einer ihrer Exekutoren, der in die verbrecherischen Praktiken tief verwickelt war, und gleichzeitig einer wie fast alle: mit Angst vor dem Terror behaftet und von ihm gezeichnet.

    Denkwürdig sparsam sind in diesem Jahr 1935 die Eintragungen des Tagebuchs. Die großen Terrorprozesse zeichnen sich schon ab- Die handelnden Figuren tauchen auf: hinter Stalin Molotow und Kaganowitsch, Jagoda, Woroschilow, Mikojan. Bulganin. Chrustschow, Berija. Sie versammeln sich regelmäßig zu den Feiern am 1 Mai und am 7. November sowie zu den Geburtstagen Stalins. Dann werden reihum Trinksprüche ausgebracht, die vor Ergebenheit triefen, dahinter lauert die Frage, wer wohl der nächste sei, der fehlen wird- Der Mord am ZK-Sekretär Kirow im Dezember 1934, das Fanal für die Säuberungswelle, findet sich im Tagebuch nur als erstaunter Ausruf. Stalin ist mit seinem Generalsekretär sehr zufrieden, lobt die Ausführung des Kurses, der 1935 gegenüber den antifaschistischen Parteien im Westen eingeschlagen worden war. Ein Jahr später überliefert Dimitroff dessen Ausspruch:

    "Die Erfolge der Volksfront, das ist Ihr Verdienst. Sie haben, als sie hier ankamen, den europäischen Geist mitgebracht."

    Man kann den Machenschaften in der engsten Umgebung Stalins zusehen. Dimitroff hat Schwierigkeiten, die Vorgänge, vor allem den allenthalben grassierenden Vorwurf des Trotzkismus, diese mörderische Wortkeule, zu verstehen. Über die ehemaligen Vertrauten Bucharin und Rykow, die auch vor Gericht gezerrt werden, finden sich nur die knappesten Bemerkungen:

    "Tränen und Unschuldserklärungen!"

    Er selbst stellt eine Gruppe zusammen, die zum Prozess die Informationen zensiert und die Propaganda-Parolen ausgibt. In der Nähe des Diktators sind die Fronten unabseh-bar Bei den Revolutionsfeieriichkeiten am 7. November 1937 exerziert die Nomenklatura ein mächtiges Besäufnis. Auf jeden der versammelten 26 Größen wird ein Toast dargebracht, der selbstverständlich in eine hündische Ergebenheitsadresse an Stalin mündet. Der macht, ganz in der Rolle des diplomatischen Staatsmanns und bescheidenen Führers, eine Umlenkbewegung und lobt die mittleren Parteikader.

    Als Dimitroff dran ist und seinen Lobpreis des Allerhöchsten nicht beenden will, macht Stalin eine seiner tückischen Ausfälle. Einerseits betont er die Freundschaft zum Generalsekretär der Komintern, andererseits bemerkt er, dass der sich "sogar auf nichtmarxistische Weise ausgedrückt" habe. Ein Todesbote geht durch den Raum. In der Komintern werden von Dimitroffs Stabschef Manuilski massive "Säuberungen" organisiert. Nur höchst einsilbige Bemerkungen finden sich dazu im Tagebuch. Die Verhafteten und Verschwundenen schwinden auch aus den Seiten: keine Fragezeichnen hinter den Namen, kein Erinnern an sie. Stalin zeigt hinter seinen vielen Masken bisweilen die Fratze des unverblümten Mörders:

    "Deshalb ist jeder, der versucht, der versucht, diese Einheit des sozialistischen Staates zu zerstören, der danach strebt, einzelne Teile und Nationalitäten von ihm abzutrennen, ein Feind, ein geschworener Feind des Staates, der Völker der UdSSR- Und wir werden jeden dieser Feinde vernichten, sei er auch ein alter Bolschewik, wir werden seine Sippe, seine Familie komplett vernichten. Jeden, der mit seinen Taten und in Gedanken einen Anschlag auf die Einheit des sozialistischen Staates unternimmt, werden wir erbarmungslos vernichten. Auf die Vernichtung aller Feinde, ihrer selbst, ihrer Sippe -bis zum Ende!"

    Willi Münzenberg, der ungemein erfolgreiche kommunistische Presseorganisator, dem die KP im Westen sehr viel verdankt, ist im November 1937 in den Augen Stalins zu einem schädlichen Element geworden. Im Privatgespräch:

    "Münzenberg ist ein Trotzkist. Wenn er herkommt, werden wir ihn sofort verhaften. -Geben Sie sich Mühe, ihn hierher zu locken."

    Damit sind die wahren Absichten in Bezug auf den abgefallenen Münzenberg dokumentiert und sein Tod im Herbst 1940 wird nun noch glaubwürdiger als Auftragsmord. Dimitroff ist erschrocken, als der fünfte Jahrestag des Reichstagsbrandprozesses in der Sowjetpresse nicht erwähnt wird, Ist er zur Unperson geworden? Er wird bei mehreren Anlässen offiziell nicht in der Presse erwähnt und fällt anscheinend in einen Abgrund aus Befürchtungen Zum Schlimmsten gehört, dass man nichts tun kann als warten.

    "Was tun? - Welche Schlussfolgerungen daraus ziehen? - Haben uns entschieden, abzuwarten, nachzudenken!"

    Ein ohnmächtiger Mächtiger stellt sich in diesen Aufzeichnungen dar. Selbst Ulbricht gerät einmal in die Verdachtszone:

    "Ulbricht - aus dem NKWD kam angeblich die Weisung, über ihn zu informieren (also ein 'fragwürdiges' Element)."

    Die Einschläge kommen näher. Dimitroffs enger Mitarbeiter Morkwin wird zum NKWD bestellt und kommt nicht mehr zurück. Zwei Tage später mit eisig wortloser Lakonie:

    "Habe Morkwins Funktionen übernommen."

    Gleichzeitig ist seine Aufgabe, im Gespräch mit der Geheimdienstbestie Berija und dem Chefankläger Wyschinski fixiert:

    "Eine neue Instruktion, im Auftrage von Stalin, eine Instruktion bezüglich der Verhaftungen auszuarbeiten."

    Der Antisemitismus, die Pogrome, später die Massenvernichtungen der Juden in Deutschland sind Dimitroff kaum einen Eintrag wert und wenn, dann sind sie nur ein Nutzeffekt für die Propaganda. Nach der so genannten Reichskristallnacht, am 12. November 1938 der Eintrag:

    "Funkspruch für Friedrich (Geminder): Nach Paris sind konkrete Instruktionen darüber zu übermitteln, wie die jüngsten jüdischen Pogrome in Deutschland für die allseitige Verstärkung der Kampagne gegen die profaschistische und kapitulantenhafte Politik der bürgerlichen Regierungen Westeuropas gegenüber dem deutschen Faschismus zu nutzen sind."

    Die weitschweifigen Direktiven, die Trinksprüche und Tiraden Stalins werden verzeichnet und wirken durch die Berichtstreue wie Ergebenheitsadressen und Rückversicherungen, falls das Tagebuch in die Hände des NKWD fallen und auf Belastungsmaterial hin durchforstet würde- Dabei hätte allein die Existenz dieser Aufzeichnungen ohne spezifisch verdächtigen Inhalt unter Stalins Terror ausgereicht, ihn an den Galgen zu bringen. Man wird bei der Lektüre die Vermutung nicht los, Dimitroff habe seine Diarien auch als eine Art Verteidigungsschrift angelegt, so sehr sind sie auf die Aufmerksamkeit des höchsten Genossen zugeschrieben.

    Als der Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich im August 1939 beschlossen wird, bedeutet das eine ungeheure Kehrtwendung der sozialistischen Politik. Das über die Jahre hinweg konservierte Ideal einer Volksfront ist plötzlich weggewischt, der Internationalismus und die Komintern als Propagandaorgan des Antifaschismus sind unnütz geworden. Dimitroff ist ihr eigenster Leiter und Organisator. Aber kein einziges Wort des Protests findet sich in den Notaten. Sie beschränken sich auf die kühle Registratur:

    "22.8,39 Direktive für die Parteien aus Anlass der Verhandlungen zwischen Deutschland und der UdSSR. 23.8.39 Ribbentrop und seine Begleiter zu Verhandlungen über den Nichtangriffspakt in Moskau eingetroffen. 24.839 Der Nichtangriffspakt zwischen der UdSSR und Deutschland ist veröffentlicht. (Foto in der 'Prawda' und der 'Iswestija': Molotow, Stalin - Ribbentrop, Gaus!) 25.8.39 Sitzung des Sekretariats zur Frage des Nichtangriffspaktes. Direktive an die Parteien erarbeitet und verschickt 31.8.39 Ratifizierung des Vertrages durch den Obersten Sowjet der UdSSR."

    Eine Woche nach Beginn des Zweiten Weltkriegs übernahm er bereits eine Liste von Thesen, die sich der neuen Lage nicht nur anpassen sollten, die sie vielmehr neu deuten sollten und die den Zynismus des stalinistischen Machthungers illustrieren:

    Stalin: - Der Krieg wird zwischen zwei Gruppen von kapitalistischen Staaten geführt - (arme und reiche im Hinblick auf Kolonien, Rohstoffe usw.) um die Neuaufteilung der Welt, um die Weltherrschaft! - Wir haben nichts dagegen, dass sie kräftig aufeinander einschlagen und sich schwächen. - Nicht schlecht, wenn Deutschland die Lage der reichsten kapitalistischen Länder (vor allem Englands) ins Wanken brächte. - Hitler selbst zerrüttet und untergräbt, ohne es zu verstehen und zu wollen, das kapitalistische System - Die Haltung der Kommunisten an der Macht ist eine andere als die der Kommunisten in der Opposition."

    Doch konnte Dimitroff wie alle anderen der Nomenklatura nicht wissen, ob solches - im übrigen haarsträubendes - argumentatives Material am nächsten Tag nicht überholt war. Am 21. Juni erhält Dimitroff ein Telegramm von Tschou Enlai, das an Mao gerichtet ist und die Behauptung von Tschiang Kaischek enthält, dass Deutschland die Sowjetunion an diesem Tag überfallen werde. Am nächsten Tag wird er morgens um 7 Uhr in den Kreml beordert: der Krieg hat begonnen.

    "Erstaunlich sind die Ruhe, Festigkeit und Zuversicht Stalins und aller anderen- - Die Erklärung der Regierung, die Molotow im Radio verlesen soll wird redigiert. - An die Armee und Marine werden Anweisungen erteilt. - Maßnahmen zur Mobilisierung und zum Kriegszustand. - Ein unterirdischer Sitz für die Arbeit des ZK und des Stabes ist vorbereitet. - Die diplomatischen Vertreter, sagt Stalin, müssen aus Moskau weg und an einen anderen Ort gebracht werden, z.B. nach Kasan. - Hier können sie Spionage betreiben."

    Nach Beginn des Krieges auch mit der Sowjetunion verändert sich die Stellung Dimitroffs und der Komintern völlig. Stalin will die kommunistischen Parteien in ihrem jeweiligen nationalen Handlungsrahmen stärken, was die Rolle der zentralen Organisation einschränkt. Dimitroff verstärkt statt der organisatorischen Lenkung die Propagandaarbeit erheblich. Er befasst sich mit der Umerziehung der Kriegsgefangenen, mit der Schulung von Partisanen- und Widerstandsbewegungen, mit ihrer technischen Ausrüstung und ihrer finanziellen Ausstattung. Ein ungeheuer weit gespanntes Netz zieht sich über die einzelnen Staaten, überall werden die Parolen Dimitroffs verbreitet und nachgebetet. Der Lautsprecher Stalins ist in diesen ersten Kriegsjahren vielleicht auf dem Höhepunkt seiner publizistischen Macht, obwohl die Komintern in den Hintergrund rückt.

    Der Bürgerkrieg in China spielt eine zentrale Rolle, die westeuropäischen Parteivertreter brauchen Direktiven über den politischen Kurs, Losungen für die Emigrantengruppen werden ausgegeben, die syrischen und libanesischen Genossen sollen in ihrem Kampf gegen die Achsenmächte gestärkt werden, um die iranische KP kümmert sich Dimitroff genauso wie um den schon damals unbotmäßigen Tito. Im Krieg wird das Tagebuch zunehmend zum Lagebericht, der von Schauplätzen in aller Welt handelt. Der Tod seines Sohnes Mitia im April 1943 bedeutet einen schweren Verlust für ihn; der persönliche Schmerz bricht unmittelbar wie an keiner anderen Stelle in die Aufzeichnungen ein. Aber dann verbunkert er ihn wieder im Politdenken:

    "Wir haben uns die Urne angesehen- Von dem großartigen, vielversprechenden Mitja sind Knochensplitterchen und Asche geblieben!... Welch ein wunderbarer Junge, welch ein künftiger Bolschewik ist da zu Nichts geworden... Was für ein schrecklicher Verlust' (...) Bin mit dem Bewusstsein zur Arbeit gefahren, dass es uns Bolschewiki auch unter den schwersten Bedingungen und Prüfungen nicht gestattet »st, zu verzweifeln und zuzulassen, dass unsere Sache unter persönlichem Kummer leidet. - Habe alle moralische Kraft zusammengenommen und wie immer gearbeitet, wenn auch unter schweren seelischen Schmerzen!"

    Seine Arbeit verrichtet er ohne Stockung, wenn auch mit anhaltendem Kummer. Ein Indiz, welchen inneren Belastungen er ausgesetzt war, sind seine häufigen Erkrankungen- Die Komintern wird im Mai 1943 aufgelöst. Weniger die Einsicht, dass die Kommunisten in aller Welt nicht von einem einzigen Zentrum aus zu dirigieren waren, als die Vermutung, die Parteien könnten unter den Bedingungen des Krieges in ihrem jeweiligen Land als Agentenzentralen angesehen werden, war für Stalins Beschluss bestimmend. Er wollte entsprechendem Verdacht bei seinen Westalliierten keinen Vorschub leisten.

    Mit diesem Einschnitt in Dimitroffs Tätigkeit endet der erste Band seiner Tagebücher. Sie zeigen einen Helden und einen Handlanger, ein Mitglied der höchsten Nomenklatura, das auch unter der Gnadensonne des Mörders vor Angst bebt. Da er seine persönliche Sphäre wie seine Handlungsmotive weitgehend ausklammert, bleibt er beinahe ein unbekanntes Wesen. Aber umso farbiger wird die internationale Bühne, auf der er agiert Frankreich, Spanien, China, der Balkan vor allem. Die Historiker erhalten eine Unzahl von Einzelhinweisen, die zu neuer Deutung anregen: etwa über den Verrat Stalins und der deutschen Kommunisten an Ernst Thälmann, über die Machenschatten im Spanischen Bürgerkrieg, über die Begründungen für den Nichtangriffspakt auf der sowjetischen Seite. Man darf gespannt sein, was der zweite Teil der Tagebücher bringen wird. Sie werden zu einem späteren Zeitpunkt getrennt veröffentlicht.