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Helden in Stein gemeißelt?!

Vom triumphalen Reiterstandbild zu Ehren Kaiser Wilhelm dem Ersten in Berlins Mitte ist allein der heute mit Asphalt bezogene Sockel übrig. Auf dem verwaisten Sockel soll ein neues Nationaldenkmal errichtet werden - unter der Ägide des Bundes: ein Freiheits- und Einheitsdenkmal.

Von Jacqueline Boysen | 09.11.2008
    "Es ergibt sich ein unglaubliches Panorama der deutschen Geschichte aller Epochen, angefangen beim Zeughaus, als dem ältesten Bau, rüber zu Schinkel mit der Friedrichwerderschen Kirche und dem Alten Museum und der Bauakademie, wo das Kunstgewerbe sein ideologisches Zentrum hatte. Dann die Verlassenschaften der DDR, nur noch im Staatsratsgebäude und dem Fernsehturm."

    Hans Ottomeyer hat sich einmal um seine eigene Achse gedreht: Der Direktor des Deutschen Historischen Museums wendet dem Berliner Dom den Rücken zu und ignoriert die in den Novemberhimmel ragenden Überreste vom Palast der Republik. Ottomeyer erklimmt ein paar Stufen. Hier erhob sich früher ein pompöses wilhelminisches Nationaldenkmal - 1897 errichtet.

    "Es war ein Reiterdenkmal wie viele, etwas qualitätsvoller durch die sorgfältige skulpturale Gestaltung. Es war ein folgenreiches Denkmal, denn es war Vorbild insbesondere für Vittorio Emanuele in Rom, das auf die Einheit Italiens hingedacht war. Dieses ist spät abgetragen und eingeschmolzen und zerstört worden genauso wie das Schloss, um einen Aufmarschplatz zu gewinnen für die herbeizitierten Volksmassen und das war nur möglich, in dem man die Erinnerung an die Hohenzollernpreußen flachlegte. Zur Zeit wird der Palast der Republik geschleift und dem Erdboden gleichgemacht. Das ist eine Unversöhnlichkeit mit der Geschichte, die leider in der deutschen Geschichte verankert ist."
    An das Kaiser Wilhelm dem Ersten gewidmete Ensemble erinnert heute nichts mehr. Vergessen, dass sich über den Denkmalstifter Wilhelm II und das opulent mit viel Getier dekorierte Monument einst der Spott der Berliner ergoss: "Wilhelm zwo liebt sein´ Zoo". Vom triumphalen Reiterstandbild ist allein der heute mit Asphalt bezogene Sockel übrig.

    "Der hat gigantische Ausmaße, weil er eine große u-förmige Kolonnade trug, die war nach unten zum Wasser und dieses Denkmal für den Reichsgründer Friedrich I. wurde im Achsenbezug für das Schloss hin errichtet und war durchaus damals gemeint für die Einigung des Reiches unter der Ägide des Monarchen."
    Auf dem verwaisten Sockel soll ein neues Nationaldenkmal errichtet werden - unter der Ägide des Bundes: ein Freiheits- und Einheitsdenkmal.

    "Mein erster Eindruck ist, die Freiheit muss schon nicht nur auf 89 oder auf den deutschen Widerstand bezogen werden, sondern auf die ganze Phase deutscher Freiheitsbestrebungen."

    Altbundespräsident Roman Herzog möchte diese in allen ihren schillernden Facetten in einem zeitgenössischen Monument wiederfinden

    "Es muss nicht unbedingt der Bauernkrieg einbezogen werden, aber schon die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit den Karlsbader Beschlüssen, der Metternichschen Politik im Deutschen Bund, dann natürlich 1848, dann der Übergang zur Republik, die Widerstandsbewegungen im Dritten Reich und der DDR müssen natürlich berücksichtigt werden und der Fall der Mauer, natürlich. Aber das muss man in einen großen Zusammenhang bringen. Denn obwohl jeder weiß, dass es sich um ganz unterschiedliche Quellen handelt - wenn schon, dann müssen auch die positiven Seiten unserer Geschichte dokumentiert werden."
    Diesem Gedanken folgte auch der Deutsche Bundestag, der ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin mehrheitlich befürwortet und im vergangenen Jahr ein solches Projekt in Angriff nahm. Zuerst muss der Sockel saniert werden, ein Brocken von vier Millionen Euro wird bereitgestellt - vom Bund. Die Stadt Berlin habe ein gestörtes Verhältnis zum Schlossplatz und dem Denkmal-Projekt, wie der Berliner Theologe Richard Schröder bemerkt:

    "Sie hat es nicht blockiert, Stürme der Begeisterung hat der Berliner Senat nicht aufgebracht, das ist aber auch beim Wiederaufbau der Schlossfassade so."
    Rings um das Brandenburger Tor hat die einst geteilte Stadt sämtliche Spuren von Mauer und Stacheldraht getilgt - ein Einheitsdenkmal kann sich nicht auf authentische Relikte stützen, so wird der Sockel reaktiviert. Für einen offiziellen Gedenkort der Demokratie streitet seit Jahren der einstige Bürgerrechtler Günter Nooke, Christdemokrat und Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung:

    "Berlin hat den Sockel unter Denkmalschutz gestellt, den kann man so anders ohnehin nicht nutzen. Wir wissen, dass dort das Schloss gebaut wird und auf der anderen Seite die Bauakademie. Es ist im Grunde klar, dass an diesem historischen Ort in der Mitte etwas entstehen muss, das wahrgenommen wird und vielleicht auch einer neuen U-Bahnstation Freiheitsdenkmal einen Namen gibt. Ich glaube, dass es vor allem darum geht, dass es nicht zu klein ausfällt, wahrgenommen wird und dass es sich als der Platz herausstellt, an dem man sich gern verabredet, der Platz, wo man gern hingeht."
    Wie Richard Schröder ist auch Günter Nooke Kuratoriumsmitglied der Deutschen Gesellschaft, einem Verein zur Förderung der politischen, kulturellen und politischen Beziehungen in Europa, der für ein Denkmal in Berlins Mitte ficht. War diese einst dem kaiserlichem Pomp gewidmet, von Revolution, Großmachtstreben und Krieg zerstört, aus Ruinen auferstanden und zum Zentrum realsozialistischer Machtdemonstration umgestaltet, klafft am Rande der Schlossfreiheit heute die städtebauliche Wunde - prädestiniert, um heute offiziell an Freiheitswillen und Einheitsstreben der Deutschen zu erinnern - findet Richard Schröder

    "Es war in der Monarchie das Einheitsdenkmal gewesen, insofern als man Wilhelm als den Kaiser der deutschen Einheit gesehen hat, so wie Bismarck der Kanzler der Einheit war. Deswegen macht eine solche Umwidmung Sinn. Das Thema Einheit sehen wir in einem anderen historischen Zusammenhang, weil die weder mit Blut und Eisen, noch in einem fremden Land proklamiert worden ist. Das waren ja die heiklen Punkte in der Bismarckschen Vereinigungspolitik. Es geht darum, dass wir hier einer Vereinigung gedenken, die diesen Makel nicht hat."
    Die Errungenschaften der Friedlichen Revolution von 1989 an einem Platz zu ehren, der bereits im 19. Jahrhundert der Reichsgründung gewidmet war, ist vielleicht nicht ideal, aber doch möglich, meint der Historiker Reiner Eckert, Leiter des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig.

    "Ob es nun gerade auf dem Sockel des Nationaldenkmals sein muss, Wilhelm in der Löwengrube, die Reste dieses monströsen Werkes, die Löwen stehen heute noch im Tierpark vor dem Alfred-Brehm-Haus, da hat man eine Ahnung davon, wie groß das Denkmal war und was es transportieren sollte: imperiale Machtansprüche. Aber gut, man kann auch sagen: das ist jetzt vorbei und auf den geschleiften Resten des Kaiserreiches errichtet die Demokratie das Freiheitsdenkmal."
    Für Richard Schröder, vor nunmehr neunzehn Jahren einer der Mitgründer der SDP, der wiederauferstandenen Sozialdemokraten der DDR, erfüllt das neue Denkmal vor allem eine Funktion: Es ergänzt die in der Hauptstadt zahlreich vorhandenen Mahnmale und historischen Erinnerungsorte:

    "Hier in Berlin muss es neben den Denkmalen für die Opfer und den Mahnmalen gegen die Tyrannei und Diktatur und Trennung auch den Versuch geben, ein Denkmal für den erfreulichen Teil der Geschichte dazuzusetzen, wir kriegen in unsere Geschichtsbetrachtung etwas Schiefes hinein, wenn wir uns nur auf die dunklen Seiten des Zwanzigsten Jahrhunderts konzentrieren."
    Anders der Ansatz des christdemokratischen Denkmalbefürworters Arnold Vaatz. Der sächsische Bundestagsabgeordnete, in Dresden einst Sprecher vom oppositionellen Neuen Forum, möchte grundsätzlich die Leistungen der Demonstranten gewürdigt wissen, die im Herbst 1989 die greise SED-Führung vom Sockel gestoßen haben. Mit einem sichtbaren Zeichen müsse der Bund hochoffiziell die friedlichen Revolutionäre ehren - nicht zuletzt, um sich deren Gunst zu versichern.

    "Es ist wichtig, dass diejenigen, die nach der deutschen Wiedervereinigung ihre Arbeit verloren haben oder ähnliche Dinge, dass man ihnen wenigstens sagt, die Bundesrepublik Deutschland würdigt, was ihr damals getan habt als eine geschichtliche Leistung, die euch auch niemand nehmen kann. Man wird nur dann bereit sein, weiter Leistungen für die Allgemeinheit in Deutschland zu erbringen, und zwar auch Leistungen, die einem nicht sofort honoriert werden, wenn klar ist, dass die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland eine solche Leistung auch zu würdigen weiß. Wenn die Dinge vorbeigehen, als wären sie nicht geschehen und wenn am Ende sich die Zuschauer zu den Initiatoren erklären können, die Geschichte verdrehen können, dann wird derjenige, der die ganze Geschichte am eigenen Leib ausgefochten hat, sich natürlich sagen, Undank ist der Welten Lohn."
    Während der ostdeutsche Parlamentarier Vaatz ausdrücklich die identitätsstiftende Funktion eines Nationaldenkmals betont, üben sich westdeutsche Wissenschaftler in Nüchternheit. Einige ziehen ohnehin den Beitrag der DDR-Opposition zum Ende des Kalten Krieges in Zweifel. Der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Arnulf Baring erntete Unmut, als er ausgerechnet auf der Wartburg aus seiner Skepsis gegenüber dem geplanten Monument kein Hehl machte. Der aus Potsdam stammende Historiker Reiner Eckert dagegen empfiehlt ein Denkmal - als Denkanstoß. Gerade angesichts der Konjunkturschwäche sei den Bürgern das Nachdenken über das, was die Gesellschaft in ihrem Innersten zusammenhält, aufgegeben

    "Man wird sich schnell einigen: der Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die 1848er Revolution, genauso gehört aber der 17. Juni 1953 dazu und die Friedliche Revolution. Und es muss klar sein, das ist ein Erbe aller Deutschen und dass das Entscheidende war im Herbst 89, dass die Menschen auf die Straße gegangen sind und nicht entscheidend war, dass ein paar Politiker in Bonn, Washington oder Moskau in weiser Voraussicht die Wiedervereinigung vorbereitet hätten. Das sehe ich so nicht. Und entscheidend war es auch nicht. Darüber muss diskutiert werden."
    Der in Frankfurt am Main geborene Geschichtswissenschaftler Norbert Frei dagegen fragt, ob Bundestag oder Bundesregierung sich überhaupt eine Deutungshoheit über geschichtliche Prozesse anmaßen - und diese dann auch noch als Insignien nationalen Bewusstseins ins Straßenbild setzen sollten.

    "Noch vor 20/30 Jahren war es eigentlich doch unter denen, die sich einer kritisch aufklärerischen Geschichtswissenschaft verschrieben haben, Konsens, dass man den Staat eigentlich aus diesem Prozess soweit als irgend möglich draußen halten soll. Die Aufgabe, Geschichtsbilder zu verordnen oder zu befördern, das ist eigentlich nicht eine Sache des Staates. Überhaupt, es kann in einer freiheitlichen, in einer pluralistischen Gesellschaft nicht ein richtiges oder dann eben auch viele falsche Geschichtsbilder geben, sondern Geschichtsbewusstsein und die Frage, wie man mit Geschichte umgeht, das ist ein kontinuierlicher gesellschaftlicher Aushandlungsprozess, der Diskussion und Debatte nötig macht und nicht Verordnung von oben."
    Zudem warnt Norbert Frei davor, das Vorhaben zu überfrachten. Ein Bundesdenkmal zur Erinnerung an Freiheit und Einheit - das wecke zu hohe Erwartungen

    "Man muss sich wirklich klar machen, es ist unendlich schwer, in unserer heutigen pluralistischen modernen Gesellschaft sich noch auf ein sinnstiftendes Denkmal, ganz egal für was, zu einigen. Dass nun der Freiheitsgedanke etwas ist, wozu wir uns alle verstehen sollten und den hochhalten sollten, das ist eine Trivialität und insofern kann eigentlich kaum jemand etwas gegen ein Denkmal, das der Freiheit gewidmet ist, zumal in Deutschland mit diesen Unfreiheitstraditionen im Gepäck."
    Mit solchem Gepäck versehen ist auch die Partei die Linke. Ihre Abgeordneten im Bundestag täten gut daran, sich einem Denkmal grundsätzlich nicht entgegenzustellen. Wohl aber lehnt die Parlamentarierin Luc Jochimsen von der Linken das Projekt in Berlin ab

    "Für mich ist das eine Art Verwischtechnik, da wird eins verwischt mit dem anderen und eins hat mit dem anderen eigentlich nicht unbedingt etwas zu tun und deswegen sind wir gegen dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal, weil wir einfach nicht sehen, wie man das inhaltlich überhaupt zusammenbringen kann. Und die zweite Geschichte ist in der Tat der Standort, dass das dann auch noch in Berlin stehen soll obwohl, sagen wir mal, die Freiheitsbewegung 48 ja nicht unbedingt in Berlin war, die Freiheitsbewegung 89 hauptsächlich in Leipzig war."
    Genau aus diesem Grunde plädieren auch Bundestagsabgeordnete anderer Fraktionen dafür, das Projekt zu verändern. Der sozialdemokratische Parlamentarier Gunter Weissgerber aus Leipzig möchte ausdrücklich auch seine Stadt vom Bund gewürdigt wissen - schließlich sei die jüngste Freiheitsgeschichte ohne Leipzig nicht denkbar. Mit ihrer Demonstration am 9. Oktober 1989 hätten die Leipziger den Grundstein gelegt für die weiteren Märsche wider das diktatorische Gebaren der SED

    "Die 70.000 Teilnehmer im Oktober war eine erste Spitze von sehr vielen Menschen, aber vorher waren auch schon 25.000 und auch viele Tausende auch so noch ständig auf den Straßen. In Leipzig wird seit 1982/83 das Friedensgebet durchgeführt, also die Opposition fand hier institutionalisiert eine Heimstatt hat eine ganz lange Vorgeschichte und die ganze Welt schaute im Herbst ´89 nach Leipzig, was passiert montags in Leipzig. Viele Ostdeutsche sind nach Leipzig gefahren um daran teilzunehmen. Also eine Erhebung nationalen Ranges, die durch das nationale Parlament, durch die Bundesregierung auch entsprechend gewürdigt werden muss."
    Dass Weissgerber in der kommenden Woche erneut den Bundestag mit der Idee konfrontieren will, erfreut natürlich die Protagonisten in Leipzig - nicht allein, weil sie sich von jeher gegen eine Bevorzugung der Hauptstadt sträuben.

    "Eigentlich wäre ein Doppeldenkmal an beiden Orten die ideale Konstellation. Leipzig steht für die Freiheit am 9. Oktober, Berlin für die Einheit am 9. November,"

    findet Tobias Hollitzer. Er engagierte sich in den achtziger Jahren in oppositionellen Umweltgruppen und gehörte zu den Besetzern der Leipziger Zentrale der Staatssicherheit. Heute führt Hollitzer die Geschäfte des Bürgerkomitees Leipzig, das in der berüchtigten Runden Ecke, der ehemaligen Stasi-Niederlassung der Stadt, ein Museum betreibt.

    "Wir Leipziger wissen seit dem 9. Oktober, was wir hier geleistet haben. Aber die entscheidende Frage ist doch, ob das in Deutschland als zentrales positives Erbe, das wir in die Einheit eingebracht haben und was auch auf der alt-bundesrepublikanischen Seite als positives Erbe einer gesamtdeutschen Geschichte angenommen und mitgenommen wird."
    Unterstützung für ihr Vorhaben erhoffen sich die Leipziger von keinem geringeren als dem Bundesaußenminister. Am 9. Oktober würdigte Frank Walter Steinmeier in Leipzig die historischen Verdienste der Demonstranten von 1989 in seiner Rede zur Demokratie:

    "Der 9. Oktober in Leipzig steht für die friedliche Revolution, er ist die Wendemarke, an der sich entschieden hat, dass die Verantwortung des citoyen für die Gesellschaft ein Land, ja eine ganze Ordnung verändern kann."
    Doch die Stadt Leipzig ist auch heute schon keinesfalls arm an Monumenten. So erhebt sich auf dem Nikolai-Kirchplatz eine helle Säule, die sich aus dem Inneren der Kirche befreit zu haben scheint und deren Palmendekor himmelwärts aufblüht - so wie einst der Mut der Demonstranten unerwartet Blüten trieb. Die Symbolik verstehe man nicht, beklagt der Historiker Eckert.

    "Ich finde es schon gelungen, aber es ist eine kleine pittoreske Installation, die sich auch den Menschen, die vorbeigehen, nicht erschließt. Das zweite, das sich auch nicht erschließt, ist der Revolutionsbrunnen, der mit dem ewig überfließenden Wasser, der inzwischen eher ein Treffpunkt für Obdachlose geworden ist. Und dann das dritte, die Leuchtpunkte in der Erde, Fliesen, die im Grunde den Weg aus der Kirche heraus symbolisieren, aber von der Gestaltung her genau das Gegenteil erzeugen: es führen die Schritte in die Kirche rein. Das war wohl ein West-Künstler, der es gemacht hat, dem nicht so klar war, dass die Menschen nicht in die Kirche hineinströmen, sondern dass die rausströmten auf den Ring zur großen Montagsdemonstration."
    Auch Tobias Hollitzer gesteht, mit der Nikolai-Säule nichts anfangen zu können.

    "Das erklärt sich nur dem, der weiß, wofür sie dort steht. Insofern ist es durchaus opportun, auch nach stärker selbsterklärenden Denkmalen in Leipzig zu schauen. Außerdem denke ich, es müsste am Augustusplatz stehen, dort nahmen die Montagsdemonstrationen ihren Ausgang Der Augustusplatz, damals Karl-Marx-Platz ist der zentrale Ort und dort sollte ein solches Denkmal auch stehen."
    Diese Diskussion birgt ein Risiko: der gewünschte Terminplan gerät ins Wanken. Denn bei aller Diskussionsfreude fühlen sich doch alle den historischen Jubiläen im kommenden Jahr verpflichtet. Eine Denkmalenthüllung am 20. Jahrestag des Mauerfalls - das wird nicht mehr zu schaffen sein. Aber darin erkennt Monika Grütters, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Berlin, eine Chance

    "Wichtig ist, dass am 9. November 2009, zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls ein paar Festlegungen getroffen werden. Erstens zum Ort, diese hat es gegeben, zweitens, dass dort zumindest ein symbolischer Festakt stattfinden kann, zum Beispiel auch, dass man sich für einen Wettbewerbsentwurf entschieden hat. Viel mehr, also die Realisierung eines solchen Denkmals halte ich für unseriös, sie für das nächste Jahr zu projizieren. Kleinräumige Lösungen bieten sich an diesem Ort und in Berlin überhaupt nicht an. Es geht um ein großes Projekt, das einzige Denkmal, das kein Mahnmal wird und uns verpflichtet, seriös nachzudenken. Wir haben Erfahrung mit ähnlich großen Denkmalen, zum Beispiel bei dem für die ermordeten Juden Europas und sollten daraus lernen, uns Zeit lassen, gute gestalterische Lösungen für so einen Platz zu finden."
    Denn so strittig bisher Standort und inhaltlicher Umfang eines Denkmals, das Freiheit und Einheit in Deutschland würdigen soll - erst richtig losbrechen wird die Debatte, wenn der Bund das Denkmal ausschreibt: Traditionalisten und Avantgardisten werden sich über die Gestaltung die Köpfe heiß reden oder einschlagen. Schon jetzt gibt es Vorschläge: Im vergangenen Jahr hatte die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur junge Künstler zu einem Wettbewerb aufgerufen. Eine symbolische Mauer aus Wasser, eine niedersinkende Fontainenreihe, hatte es Anna Kaminski, Geschäftsführerin der Stiftung besonders angetan. Sieger des Wettbewerbs aber wurde ein Entwurf, der den Spitznamen Bagel trägt und aus zwei halben, aufrecht stehenden Kringeln aus Metall besteht

    "Es sind zwei Halbkreise, die je nachdem, wo der Betrachter steht, sich zu einem Kreis vereinen oder mehr oder weniger Distance zueinander halten. Das ist eine sehr nette Idee, bedarf aber einiger Erläuterung. Allerdings hat die Künstlerin in den Boden im Umkreis der Stahlskulptur Bodenplatten gelegt mit verschiedenen Jahreszahlen, die Meilensteine in der Geschichte von Teilung und Annäherung markieren. Und je nach Jahreszahl und dem Standpunkt entfernen sich die Halbkreise oder nähern sich an und steht der Betrachter auf der Platte vom 3. Oktober, dann bildet er die Einheit vollendet als Kreis."
    Konkret oder abstrakt? Hans Ottomeyer vom Deutschen Historischen Museum empfiehlt die durchaus prominenten Vorbilder aus der Vergangenheit

    "Tatsächlich gab es im europäischen und internationalen Kontext eine lange andere Tradition von Freiheits- und Einheitsdenkmalen, die der Republiken und von den konstitutionellen Monarchien, das waren eher abstrakte Konstruktionen, Säulen und Obelisken wie auch das figürliche Denkmal, wie die Statue of Liberty in NY und die Figur der Freiheit, Genie de la Liberté auf dem Bastille-Platz."
    Die Allegorie aber scheint heute nicht mehr zeitgemäß. Der Vorliebe moderner Künstler für abstrakte Darstellungen indes trauen die Denkmalbefürworter auch nicht

    "Das möchte ich schon, dass man es davorstehenden Kindern erklären kann. Das muss dann in einer Dimension des Konkreten sein. Ich halte nichts von Glaubensgrundsätzen, die Figürliches verbieten, weil die Zeit vorbei sei. Das Moment des Erzählenden finde ich wichtig."
    Günter Nooke schließt die Augen. Er ruft sich den monumentalen Sockel an der Schlossfreiheit vor Augen, versucht ihn mit der Erinnerung an die Ereignisse vor nunmehr fast zwanzig Jahren in Einklang zu bringen und die inhaltlichen Stützpfeiler des demokratischen Gemeinwesens einzuziehen

    "Es muss ziemlich groß sein und eine Einfassung haben, die an die alten Balustraden erinnert. Vor allem muss es auch den Gedanken der Freiheit ausdrücken. Aber die Helden der Revolution in Stein zu meißeln, das wird es nicht sein, das waren viele Tausend, die eine Stunde zuvor noch nicht wussten, dass sie mit über den Ring in Leipzig laufen. Und diese anonymen Helden der Friedlichen Revolution, die kann man schlecht in Stein meißeln."