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Helden und Handlanger

Um die Pressefreiheit in Russland ist es nicht zum besten bestellt. Dabei ist physische Gewalt gegen kritische Journalisten nicht die Regel: Wirtschaft und Politik üben viel subtiler, aber wirksam auf die Presse Druck aus. Die Journalistenvereinigung "Reporter ohne Grenzen" ist in die russischen Regionen gegangen, um sich ein genaueres Bild von der Lage im Land zu machen.

Von Christoph Kersting | 07.11.2009
    Wie frei Journalisten in Russland berichten können, das hängt stark von der Region ab, in der sie arbeiten. Und: ja, es gibt sie, die Leuchttürme relativer Pressefreiheit jenseits von subtiler Zensur und Drangsalierung, so die wichtigsten Erkenntnisse der Reporter ohne Grenzen-Studie:

    Moritz Gathmann: "Wir haben uns in dieser Studie ja vor allem auf die Regionen konzentriert, weil der russische Hauptstadt-Journalismus noch mal eine andere Sache ist, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es eben sehr, sehr unterschiedlich ist in den Regionen. (...) Nordkaukasus waren wir zum Beispiel nicht, aber da ist die Lage der Pressefreiheit sehr schlimm, aber am anderen Ende der Freiheitsskala steht zum Beispiel das Gebiet Perm, wo sehr viel möglich ist und es auch eine sehr breite Medienlandschaft gibt."

    ...sagt Moritz Gathmann, einer der Verfasser der Studie. Voraussetzung für eine kritische Presse wie im Gebiet der Ural-Stadt Perm oder auch im Altai-Gebiet nahe der Mongolei ist dabei immer das allgemeine politische Klima in der Region: Wie liberal ist die Provinz-Regierung, wie entwickelt die Zivilgesellschaft?, sagt Moritz Gathmanns Kollegin Gemma Pörzgen:

    "Wir haben diese Regionen ja bewusst ausgesucht, wir mussten uns für sieben entscheiden, und da war Perm die Region, bei der uns eben interessiert hat: der Zusammenhang zwischen einer entwickelten Menschenrechtsszene, die wir eben kennen, und der Frage, ob sich das in den Medien widerspiegelt. Und das ist eben tatsächlich so."

    ....und bleibt aber dennoch eher die Ausnahme. Massiver Druck auf Journalisten wird dabei gleichermaßen von Politik und Wirtschaft ausgeübt, etwa mit der Drohung, Werbeverträge mit einer Zeitung nicht zu verlängern, wenn diese über den Auftraggeber nicht positiv berichtet. Weit verbreitet sind auch sogenannte Informationsverträge mit den politischen Organen einer Stadt oder Region:

    Moritz Gathmann: "Das sind Verträge eines Mediums mit der Verwaltung einer Stadt, also mit dem Bürgermeisteramt oder dem Gouverneursamt, über Artikel, die bezahlt werden und die Arbeit beleuchten, die Arbeit der staatlichen Organe beleuchten."

    Für viele Medien sind solche Verträge eine lebensnotwendige Einnahmequelle. Klar, dass da kritische Berichte über den Bürgermeister nicht mehr möglich sind. Und wenn dann Redaktionen trotzdem nicht so berichten, wie es einem Provinzfürsten gefällt, dann greift dieser zu Mitteln, auf die "Reporter ohne Grenzen" bei ihrer Recherche immer wieder gestoßen sind:

    Moritz Gathmann: "Das sind Anrufe in der Redaktion beim Chefredakteur, wo versucht wird, eine Veröffentlichung zu verhindern. Das sind Besuche der Brandschutzbehörde, die dann feststellt, dass in der Redaktion der Brandschutz nicht eingehalten wird, und dann wird sie dicht gemacht. Die Steuerpolizei: In den letzten Jahren ist es beliebt geworden, nicht lizensierte Software sicherzustellen, einfach mal alle Computer mitzunehmen, weil da nicht lizensierte Windows-Programme drauf sind, obwohl in Russland fast jeder nicht lizensierte Windows-Programme benutzt ..."

    Fälle von physischer Gewalt sind hingegen eher selten, sagt Gemma Pörzgen. Da entstehe schnell ein verzerrtes Bild von der Arbeitswelt russischer Kollegen, wenn westliche Medien lediglich über Beispiele wie den Fall Politkowskaja berichteten. Weit verbreitet sei vielmehr eine innere Zensur und die Tendenz, schwierige Themen lieber links liegen zu lassen:

    "Meine Beobachtung ist bei russischen Journalisten, gerade bei den jüngeren Kollegen, dass es eine gewisse Entpolitisierung gibt. Dass viele sich eher orientieren zu Hochglanz-Magazinen, zu Wirtschafts-Zeitschriften, wo man auch einfach mehr verdienen kann, und auch unkomplizierter arbeiten, weil man eben auch nicht diese heißen Themen hat, und das ist, glaube ich, so ein gewisser Trend."