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Helene Hegemann über "Axolotl Overkill"
"Ich wollte ein paar Missverständnisse aus der Welt räumen"

Es habe auch seine Vorteile, wenn man den eigenen Roman selbst verfilme, sagte die Autorin und Regisseurin Helene Hegemann im DLF. Da brauche man keine Angst vor dem Autor zu haben. Man könne an der Vorlage bleiben, sich aber auch guten Gewissens weit von ihr entfernen. "Wer weiß, vielleicht ist es auch eine Vollkatastrophe."

Helene Hegemann im Gespräch mit Fabian Elsäßer | 28.12.2016
    Die Autorin und Schauspielerin Helene Hegemann spricht am 10.10.2014 in Frankfurt/Main bei der Verleihung des Hessischen Film- und Kinopreises 2014 in der Alten Oper als Laudatorin für den besten Experimentalfilm.
    Die Autorin und Schauspielerin Helene Hegemann bei der Verleihung des Hessischen Film- und Kinopreises. (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Fabian Elsäßer: Es hat schon was Wunderkindmäßiges – mit 15 hat sie schon ein Theaterstück geschrieben, mit 17 schon einen Film gedreht und gleich den Max-Ophüls-Preis dafür bekommen, "Torpedo". Dann, mit 18, den ersten Roman veröffentlicht, der erst zum Bestseller wurde, dann wegen Plagiatsvorwürfen Gegenstand einer Literaturdebatte beziehungsweise einer Debatte um Intertextualität. "Axolotl Roadkill" war Helene Hegemanns Geschichte eines Teenagermädchens aus zerbrochener Familie, das durchs Berliner Nachtleben irrt, Alkohol, Sex und Drogen inklusive. Jetzt wird ein Kinofilm draus, "Axolotl Overkill". Für den hat Hegemann auch das Drehbuch geschrieben und auch selbst Regie geführt. Weltpremiere hat der Film vor ehrfurchtgebietende Kulisse, nämlich beim von Robert Redford gegründeten Sundance-Festival. Dort wird er dann gezeigt werden in der Sparte World Cinema für die ausländischen Produktionen. Helene Hegemann ist uns jetzt aus Berlin zum "Corso"-Gespräch zugeschaltet. Hallo!
    Helene Hegemann: Hallo!
    Elsäßer: Frau Hegemann, wir haben leider vom Verleih nicht mal einen Trailer zu sehen bekommen. Geheimniskrämerei oder spannungssteigernde Maßnahme?
    "Ich bin so ein Kontrollfreak, das dauert dann immer seine Zeit"
    Hegemann: Ich glaube, weder noch. Der ist einfach noch nicht fertig, weil man sich nicht entscheiden kann, wie man einen Trailer für diese Art von Film überhaupt aufziehen soll. Dementsprechend ist da keine Strategie dahinter, das ist einfach reine – reines Sich-nicht-entscheiden-Können.
    Elsäßer: Also technische, noch nicht mal technische, sondern noch inhaltliche Fragen, kann man sagen.
    Hegemann: Ja, ich bin so ein Kontrollfreak, das dauert dann immer seine Zeit, bis man irgendwas auf die Menschen loslässt. Aber ja, hoffentlich bald.
    Elsäßer: Sie sagten gerade, diese Art von Film. Was ist denn das für eine Art von Film?
    Hegemann: Ich würde mal annehmen, dass es sich dabei definitiv nicht um eine typische Bestsellerverfilmung handelt und man versucht hat, die doch recht unkonventionelle Erzählweise des Romans, die sehr Stream-of-Consciousness-artig gewesen ist und einfach keine herkömmliche Geschichte, dass man die versucht hat, auf ein anderes Medium zu übertragen, oder dass ich versucht habe, das auf ein anderes Medium zu übertragen. Das ist nichts, was von vornherein sehr erfolgversprechend oder massentauglich ist, aber nicht uninteressant. Und das innerhalb von zwei Minuten auf den Punkt zu bringen, auf was sich ein Zuschauer da einlassen muss, ich glaube, da muss man trickreich einfach rangehen.
    Elsäßer: Das ist die Schwierigkeit des Trailers. Wie lang ist der ganze Film?
    "Man muss auch nicht vor einem Autor Angst haben"
    Hegemann: Ich glaube, genau 90 Minuten, da sind wir zufälligerweise im Rahmen geblieben.
    Elsäßer: Welche Vor- oder Nachteile hat es, wenn die Autorin zugleich Regisseurin ist oder in dem Fall auch Autorin, auch Drehbuchautorin und dann auch noch Regisseurin ist?
    Hegemann: Ach, den großen Vorteil, den das hat, eine Romanvorlage für einen Film selbst geschrieben zu haben, ist, glaube ich – ja, das können Sie sich vielleicht selber denken, dass man bestimmte –
    Elsäßer: Man hat alles in der Hand.
    Hegemann: Einerseits das, man hat die Thematik selbst entwickelt und kann deswegen machen mit ihr, was man will, muss also auch nicht vor einem im Hintergrund stehenden Autor Angst haben, der irgendwann rumschreit, ich habe das aber ganz anders gemeint. Das heißt, man kann gleichzeitig näher an der Vorlage bleiben, sich aber auch guten Gewissens ganz weit von ihr wieder entfernen. Und das ist sowieso das, was ich sehr interessant an dem Vorgang fand. Das ist eine Art Experiment über Zeit und Entwicklung und gleichzeitig aber auch über inhaltliche Form, die, glaube ich, jemand, der eine Vorlage nicht selbst geschrieben hat, gar nicht so gerecht werden könnte. Wer weiß, vielleicht ist es auch alles eine Vollkatastrophe, und ich nehme hier viel zu viel vorweg. Ich fand das nicht uninteressant.
    Elsäßer: Zeit, Entwicklung, dafür steht auch – jetzt sind wir beim Interpretieren, aber dafür steht ja wahrscheinlich auch dieser Axolotl, ein mexikanischer Nacktmolch, der bis zur Geschlechtsreife, glaube ich, die Gestalt nicht wesentlich verändert. Also eigentlich bleibt der – also der wird nicht erwachsen.
    "Ach, das gefiel mir damals einfach ganz gut"
    Hegemann: Erreicht er die Geschlechtsreife überhaupt? Ja, muss er ja zwangsläufig, sonst…
    Elsäßer: Denk ich schon. Sonst – das wäre magisch sonst.
    Hegemann: Nein, tatsächlich, der bleibt seine komplette Existenz über im Larvenstadium, in der Pubertät sozusagen und hat deswegen offenbar, das behaupten zumindest Wissenschaftler, auch eine Langzeitdepression sein Leben lang, das ist dem quasi angeboren, geht auch nicht weg.
    Elsäßer: Das war eine bewusste Allegorie auf die Hauptfigur?
    Hegemann: Ach, das gefiel mir damals einfach ganz gut. Ob es jetzt unmittelbar nur was mit der Hauptfigur oder auch mit den Nebenfiguren, die alle eben eigentlich schon über 30 sind und da nicht in dieser Bewegungsstarre hätten verharren dürfen, ob die damit – wahrscheinlich sind die damit auch gemeint, wahrscheinlich geht das einfach, bezeichnet das einen Grundzustand, den ich versuche, in meinen Sachen – an denen ich mich abzuarbeiten versuche, genau.
    Elsäßer: Welchen?
    "Das würde ich gern mein früheres Ich noch mal fragen"
    Hegemann: Ach, so eine – was mag das sein? So ein extremes Beschäftigtsein mit sich selber und damit, dass man aufgrund mangelnder Initiationsriten oder einer neuen Art von Gesellschaft oder wegen dem Kapitalismus, wer weiß es schon, wirklich dazu gezwungen ist, die Schuld für sein Versagen – und wir alle versagen ja auf die eine oder andere Weise – ausschließlich bei sich selber zu suchen. Das führt jetzt ein bisschen zu weit, ist auch sehr verworren.
    Elsäßer: Nein, also – da schließt sich die Frage an, wäre das ein Fluch oder eine Wunschvorstellung für Sie, nie richtig erwachsen zu werden?
    Hegemann: Das würde ich gern mein früheres Ich noch mal fragen, wenn man das so bezeichnen kann. Ich fühle mich inzwischen ganz erwachsen. Ich hab eine Waschmaschine, ich hab zwei Hunde…
    Elsäßer: Das habe ich auch nicht in Abrede gestellt.
    Scheitern: "Mach ich aber auch immer gern"
    Hegemann: Ja, aber genau deswegen kann ich mich gar nicht mehr unbedingt in den Zustand reinversetzen, in dem ich eventuell mal die Wahl gehabt hätte. Die hat man ja nicht. Aber ich weiß nicht, wie es mir damals ging. Einerseits habe ich mich natürlich nach einer extremen Souveränität, die irgendwann später erfolgen würde, gesehnt, und andererseits auch überhaupt nicht. Ich weiß nicht.
    Elsäßer: Sie haben sehr oft von Fehlern gesprochen oder auch vom Scheitern – nein, vom Scheitern haben Sie nicht gesprochen –
    Hegemann: Mach ich aber auch immer gern.
    Elsäßer: Aber von Fehlern, die einem unterlaufen. Sie haben kürzlich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" einen Essay veröffentlicht über soziale Netzwerke und die Folgen, und da habe ich einen starken Satz, wie ich finde gelesen –
    Hegemann: Wer hat das – ich hab das veröffentlicht?
    Elsäßer: Haben Sie doch, oder?
    Hegemann: Ach ja, richtig, genau, das ist schon – ja.
    Elsäßer: Da stand dann, ein einziger Fehler kann Karrieren ruinieren, ein missverständlicher Tweet ein ganzes Leben. Auf die Gefahr hin, dass das jetzt zu persönlich wird, haben Sie sich so gefühlt bei der Debatte um den ersten Roman? Nach dem Motto, was für ein Fehler oder wie auch immer?
    "Ich habe auch schon im Mittelpunkt von so einer Art Shitstorm gestanden"
    Hegemann: Dieser Zeitungsartikel, dieser Essay, auf den Sie anspielen, der arbeitete sich ab an dem neuen Buch von John Ronson, einem tollen englischen Schriftsteller. Heißt der John Ronson oder Ron Johnsen – es gibt da Verwechslungspotenzial. Wie dem auch sei, das handelt sich ab an Shitstorms, an sogenannten Shitstorms, die jetzt im Internetzeitalter, im Zeitalter der neuen Medien natürlich ein extremes reaktionäres Rollback in eine Zeit, in der Leute auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Irgendwie bedeutet, weil innerhalb von kürzester Zeit eine Person, die eben mal einen Tweet missverständlich formuliert hat, ihren kompletten sozialen Status, ihren Job, ihre Familie verlieren kann, nur weil sie geahndet wird von einer riesigen, anonymen Internetcommunity. Wie dem auch sei, mich hat das Buch natürlich insofern interessiert und mich interessiert diese Entwicklung, weil ich vielleicht, wie Sie schon sagten, mal im Mittelpunkt von so einer Art Shitstorm gestanden habe.
    Elsäßer: Genau. So Shitstorm hat man es, glaube ich, noch nicht genannt, aber –
    Hegemann: Ich glaube, das fing gerade so an, so genannt zu werden. Der Begriff war recht neu, wurde dann aber schon –
    Elsäßer: Und das hat sich wahrscheinlich auch so angefühlt.
    "Ich wollte ein paar Missverständnisse aus der Welt räumen"
    Hegemann: Ja, definitiv. Abgesehen davon, dass ja, sobald man polarisiert oder sobald man zumindest dann noch die richtigen Leute auf der eigenen Seite hat, man das alles eher aus so einer Distanz heraus beobachtet, sich fragt, was mit der Welt los ist, und warum es nicht möglich ist, eine vernünftige Debatte zu führen, ohne Schaum vorm Mund. Und – ich weiß jetzt gar nicht, worauf ich damit hinaus will. Ich glaube, es hat ein Interesse in mir geweckt, mich aber nicht für meine weitere Arbeit so weit blockiert, dass ich jetzt immer noch heulend überm Zaun hängen würde. Das ist ja zum Glück nicht der Fall. Aber es ist sicher auch ein Grund dafür, dass ich mich diesem Buch oder dem Inhalt des Romans noch mal annehmen wollte, einfach, um ein paar Missverständnisse aus der Welt zu räumen, wahrscheinlich, ja.
    Elsäßer: Und mit welchen Hoffnungen für "Axolotl Overkill" – es heißt ja jetzt auch "Overkill" und nicht mehr "Roadkill" – fahren Sie zum Sundance?
    "Da wurde einfach was Negatives im Positiven erkannt, weil es so gut passte"
    Hegemann: Mit welchen Hoffnungen – ich glaube, nach Sundance fährt man – da reicht die Einladung, man fährt dahin, ohne genau zu wissen, was einen überhaupt erwartet. Und um endlich mal Skifahren zu lernen, das ist ja mitten im Mormonenstaat, im Skigebiet. Da bin ich ganz gespannt. Aber was ich mir generell von der Rezeption dieses Films erhoffe, ist, dass es eine Geschichte über ein 16-jähriges Mädchen als selbstbestimmten Menschen in die Welt setzt und nicht noch mal das, als was der Roman begriffen wurde, nämlich als ein standardisiertes Coming-of-Age-Paket, was jetzt "Christiane F."-nachfolgemäßig kurz noch mal zeigen soll, wie verzweifelt alle Frauen in dem Alter sind. Ich glaube, das hat mich immer wahnsinnig gestört damals an der Wahrnehmung des Buches, dass da einfach was Negatives im Positiven erkannt wurde, einfach, weil es so gut passte.
    Elsäßer: Heute im "Corso"-Gespräch die Autorin und Regisseurin Helene Hegemann. "Axolotl Overkill" hat im Januar Weltpremiere auf dem Sundance-Festival, im Juni soll der Film dann in die deutschen Kinos kommen. Herzlichen Dank für das Gespräch!
    Hegemann: Herzlichen Dank, ja!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.