Archiv


Helfende Hand mit Verstand

Medizintechnik. - Wer eine Gliedmaße verloren hat, muss mit erheblichen Problemen kämpfen - Prothesen sind bislang oft nur unzureichende Hilfen. Das junge Fachgebiet der Neuroprothetik sucht nach Wegen, aus Prothesen wirkliche Ersatzglieder zu schaffen, die sich per Gedanken lenken lassen.

Von Mirko Smiljanic |
    Die künstliche Hand im Labor von Thomas Stieglitz, Professor für Biomedizinische Mikrotechnik an der Universität Freiburg, erinnert nur sehr entfernt an eine Prothese, eher schon an den Greifer eines Roboters. Trotzdem könnte sie zu einem Handersatz avancieren, wie er bisher kaum vorstellbar war. Der Mensch denkt "Hand öffnen", und wie von Geisterhand öffnen kleine Motoren sich die stählernen Finger.

    "Wir machen uns zunutze, dass viele Informationen elektrisch übertragen werden auf unseren Nerven, und darum horchen wir diese elektrischen Signale ab, wie es auch beim EKG oder bei Gehirnsignalen, beim EEG der Fall ist, und versuchen Informationen daraus zu ziehen und die künstlichen Gliedmaße anzusteuern."

    Der elektrische Strom in den Nervenfasern bildet ein elektromagnetisches Feld. Dieses Feld zeichnen die Freiburger Forscher auf, machen es sichtbar und interpretieren es. Letzteres ist schwierig, weil der gedankliche Befehl "Hand öffnen" nicht nur ein Muskel, sondern sehr viele ansteuert. Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Konzepte, wie das neuronale Signal in eine technische Bewegung umgesetzt werden kann. Bei der ersten Variante wählen die Wissenschaftler ein Nervensignal aus den vielen aus und bestimmen es zum zentralen Signal "Hand öffnen". Der Patient muss dann einfach lernen, dass dieses Signal zum Öffnen der Hand führt.

    "Oder wir gucken uns genau an, was bedeutet denn Hand schließen oder Hand öffnen? Welche Reihenfolge machen wir? Und der Patient sendet nun immer irgendwelche Signale, die immer gleich ankommen, aber nicht wirklich Hand schließen bedeuten, und machen dieses Hand schließen oder öffnen in verschiedenen Schritten, Daumen hoch, Finger nach außen, Gegenstand wird gegriffen, Finger zu und Daumen runter, sodass wir gar nicht die Bewegung an sich abgreifen, sondern immer nur Startimpulse für Abfolgen geben."

    Richtig kompliziert wird es bei komplexen Bewegungen wie das Heben des Arms bei gleichzeitigem Öffnen der Hand. Hier gehen einige Arbeitsgruppen mittlerweile neue Wege: Sie greifen das elektrische Signal direkt im Gehirn ab.

    "Dort hat man herausgefunden im so genannten motorischen Cortex, das ist der Teil im Gehirn, der für die Bewegung zuständig ist, dass dort, wenn wir die Signale ableiten, dass die Richtung und die Größe des elektrischen Signals, das wir aufnehmen und dreidimensional darstellen, übereinstimmen mit der Bewegungsrichtung und der Bewegungsschnelligkeit des Arms."

    Das funktioniert allerdings nur unter massivem Einsatz von Mathematik und Computertechnik: Die Hirnsignale müssen komplett umgerechnet werden, um eine sinnvolle Aussage zu machen, was denn dieses oder jenes Signal genau bedeutet. Erste Erfolge verzeichnet die Arbeitsgruppe um Miguel Nicolelis von der Duke University im US-Staat North Carolina. Sie konnte im Tierversuch nachweisen, dass direkt im Hirn aufgezeichnete Signale technische Systeme – etwa einen Roboterarm – ansteuern können. Kaum Fortschritte machen allerdings die Arbeiten an neuronal angesteuerten Beinprothesen.

    "Die Regelung, uns im Raum aufrecht zu halten, ist doch sehr viel komplizierter, als wir, wenn wir es selber im täglichen Leben machen, uns vorstellen können, so dass die Ansätze dort also noch sehr forschungsnah sind, die Menschen nur in Gehrahmen, also mit Unterstützung von Krücken, wenige Schritte machen können."

    Ausgereifte Neuroprothesen gibt es noch nicht, trotzdem haben die Wissenschaftler in letzter Zeit viel erreicht. Aber wie das so ist in der Forschung: Neue Ergebnisse führen immer auch zu neue Fragen.

    "Das eine sind materialwissenschaftliche Fragestellungen: Wie können Implantate immer kleiner werden und trotzdem im Körper stabil bleiben und über Jahrzehnte hinweg funktionieren, und auch neurowissenschaftliche Fragen, wie denken wir überhaupt Bewegung, gibt es vielleicht Mustergeneratoren, so dass wir nicht die Bewegung als Einzelnes programmieren müssen, sondern können wir nicht Bewegungsmuster, wie sie Neugeborene noch als Reflexe haben, vielleicht im Körper wieder entdecken und damit mit einfachen Ansteuerungsmechanismen komplexe Bewegungen im Menschen hervorrufen."