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"Helfer, Retter und Netzwerker des Widerstandes"

Zum dritten Mal in sechs Jahren sind in Berlin Historiker zu einer sogenannten Holocaust-Konferenz zusammengekommen - und zwar auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung. Diesmal ging es den Wissenschaftlern besonders um die "Helfer und Retter”.

Von Frank Hessenland | 29.01.2011
    Es wäre allzu schön gewesen, wäre der Ansatz aufgegangen, den auch Innenminister Thomas de Maiziere zu Beginn der 3. Internationalen Konferenz zur Holocaustforschung voranbringen wollte, indem er den 25 vortragenden und 250 teilnehmenden Wissenschaftlern zurief:

    "Die Erinnerung darf nicht enden ... Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. ... das ist wichtig, und deswegen sind sie hier."

    Nach Jahrzehnten historischer Forschung über Opfer, Täter und Mitläufer des nationalsozialistischen Rassenwahns könnte nun eine Konzentration auf die Helfer und Retter der damaligen Zeit der Erinnerungskultur hierzulande einen neuen, positiven Schwung geben. Doch die Wissenschaft gibt das nicht her, wie sich zeigte. Einmal sind einfach europaweit zu wenig zivilgesellschaftlich-humane Retter und zu viele Nazi-Kollaborateure in der Geschichte zu finden, beschreibt Beate Kosmala am Beispiel Ungarns 1944.

    ""Mithilfe staatlicher Kollaboration großen Ausmaßes wurden in kürzester Zeit zwischen Mai und Juli 420.000 Menschen nach Auschwitz Birkenau deportiert. Beispiele von Rettung waren nur Tropfen im Meer.”"

    Ähnlich menschenverachtend kooperierten die Gesellschaften übrigens in fast allen mit Nazideutschland assoziierten oder besetzten Gebieten, deren Regime sich von der Nazi-Ideologie Profit versprachen. Die Slowaken zum Beispiel hatten bereits 1942 zwei Drittel ihrer jüdischen Bevölkerung selbstständig deportiert. Nur Dänen und Finnen retteten die meisten ihrer jüdischen Bürger. Dort war aber jeweils die Regierung gegen die rassische Ausgrenzung der Nazis offen aufgetreten. Wo sich jedoch die Regierung gegen die Juden entschieden hatte, fanden die vom Tod bedrohten Hilfe meist nur in den Grauzonen der Gesellschaften, sagt Harald Welzer vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen.

    ""Wir finden Helfer in Randbereichen der Gesellschaft, also im Milieu der Prostitution, der Kleinkriminalität. Warum? Weil diese Menschen sowieso randständig zur Mehrheitsgesellschaft sind und es auch gelernt haben, subversiv zu konspirieren.”"

    "Helfernester" machte der Historiker Bob Moore von der Sheffield Universität auch unter Alt-Kommunisten und Schmugglern aus, von denen die meisten sich nicht für eine Karriere in einer positiven, liberalen, demokratischen Gedenkkultur eignen, weil ihre Biografien auch nicht gerade hohen demokratischen, rechtsstaatlichen Werten entsprachen.

    Am ehesten eignet sich das calvinistische Pastorenmilieu zum Beispiel in Holland dazu, ein positives Beispiel widerständigen Verhaltens aufzustellen. Allerdings sind auch dort meist nur solche Menschen zu Helfern geworden, die mit ihrem Handeln im persönlichen Netzwerk Ansehen erlangten, so Moore. Die Zahl der Helfer ist auch hier im Promillebereich zu suchen. Was bleibt, ist festzustellen, dass die grundlegende humane Orientierung, dass das Menschenleben als höchstes Gut geschützt werden muss, europaweit in kürzester Zeit aufgegeben wurde, so Harald Welzer.

    " "Zu Zeiten des Nationalsozialismus, insbesondere in Deutschland ist Hilfeleistung antisozial. Nach der Maßgabe der Normen der Volksgemeinschaft, nach der Maßgabe dessen, wofür man die anderen hält, nach der Maßgabe dessen, wie man sich selber als eine bestimmte Gemeinschaft formiert hat, ist Helfen 'antisozial' und nicht 'prosozial'. Das Nichthelfen ist konform, das Ausliefern von Menschen ist konform und das Helfen ist abweichendes Verhalten.”"

    Entsprechend wurden viele Retter nach dem Krieg noch als Verräter angesehen, fanden keine Anerkennung und schwiegen. Von einzelnen Ausnahmen und Ehrungen wie dem Gedenken von Yad Vashem abgesehen, begann selbst die historische Forschung sich erst 50 Jahre nach Kriegsende um die Retter zu kümmern, wohl, weil erst eine schon im Frieden geborene Generation den Werten von universellen Menschenrechten im Gegensatz zur Ideologie des Kampfes der Völker vollends vertrauen konnte. Den Zivilisationsbruch der NS-Zeit wird auch sie nicht leicht überwinden.
    Eröffnungsrede von Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der 3. Internationalen Konferenz zur Holocaustforschung (2011)
    Eröffnungsrede von Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der Konferenz zur Holocaustforschung (Deutschlandradio - Janine Wergin)